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ASBEST Drastischer Einbruch

Ein Verbot des krebserregenden Asbests träfe vor allem den Schweizer Industriellen Schmidheiny, der ein weltweites Asbest-Kartell kontrolliert. Schmidheiny ist Großaktionär der westdeutschen Eternit AG.
aus DER SPIEGEL 17/1981

Den Chef der Berliner Eternit AG traf die Sache wie ein Naturereignis. »Es war für unser Unternehmen«, so Wolf Lehmann, »wie ein Erdbeben.« Was den Baustoffproduzenten so erschütterte, war der Ende letzten Jahres erschienene Bericht des Umweltbundesamts über die tödlichen Gefahren von Asbest.

Die Berliner Umweltschützer hatten festgestellt, daß der Baustoff, der in Häuserfassaden und Dachschindeln, Abflußrohren und Lüftungsschächten steckt, Hunderttausende von Bundesbürgern gesundheitlich bedroht. Die krebsauslösende Faser, so forderten die Berliner Wissenschaftler, müsse möglichst schnell aus dem Verkehr gezogen werden.

Der Appell wirkte. Architekten und Bauingenieure änderten bereits ausgezeichnete Baupläne und planten anstatt asbesthaltiger Wellplatten asbestfreie Werkstoffe ein. Bauherren und Baugesellschaften stoppten die Verwendung asbesthaltiger Materialien und stornierten frühere Bestellungen. In Heidelberg stellten die Mieter einer mit Asbestzement verkleideten Wohnsiedlung aus Protest gegen die tödliche Gefahr gar die Zahlung der Monatsmieten ein.

»Nahezu irreparable Schäden«, so Eternit-Lehmann, bescherten die Warnungen der Mediziner und Umweltschützer den Herstellern der brisanten Faser. Innerhalb weniger Wochen sank der Umsatz der Eternit AG, so Lehmann, »in zweistelliger Größenordnung«. Auch die Eternit-Konkurrenten Wannit, Fulgurit und Toschi verzeichneten drastische Absatzeinbußen.

Der Einbruch war vorauszusehen. Schon bevor der Asbestbericht erschienen war, hatten die Betriebsräte der Eternit AG ein Warnschreiben an den Bonner Arbeitsminister Herbert Ehrenberg geschickt. Bis zu 1000 Arbeitsplätze, menetekelte die Arbeitnehmer-Lobby, seien gefährdet, wenn das Umweltbundesamt ein Asbestverbot empfehlen sollte.

Die Betriebsräte wiederholten in ihrem Schreiben ein Standardargument, mit dem die Asbestzement-Hersteller schon seit Jahren die Gesundheitsgefährdung durch Asbest rechtfertigen. Ohne die Giftfaser, so die Asbestverarbeiter, könnten wichtige Baustoffe nicht hergestellt werden.

Weder Dachschindeln noch Wellplatten, weder Fassadenverkleidungen noch Wasserleitungen, behaupten die Eternit-Techniker, wären zur Zeit ohne Asbest denkbar. Die Faser nämlich trotzt Hitze ebenso wie Kälte, ist zugfest und elastisch, weist Wasser ab und ist zudem noch säurefest.

Ein angemessener Ersatz für die Wunderfaser, so Eternit-Techniker Paul Bornemann, sei »noch lange nicht in Sicht«. Kein Werkstoff weise die gleichen positiven Eigenschaften auf.

Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Es trifft zwar zu, daß der Werkstoff Asbest nur mit Mühe völlig zu ersetzen ist. Aber die Wissenschaftler haben inzwischen eine Reihe von Alternativen zu den Giftstoffen entwickelt.

So können zum Beispiel Dächer von Wohnhäusern statt mit Asbestschindeln ebensogut mit herkömmlichen Dachpfannen gedeckt werden. Statt der üblichen Eternit-Wellplatten könnten, bei einer anderen Bautechnik, Aluminiumbleche verlegt werden.

Auch Hausfassaden müssen keineswegs mit asbesthaltigen Platten verkleidet werden. Anstelle der Asbestfaser läßt sich Putzmasse, Naturstein oder Kunststoff einsetzen. Wasser fließt ebenso durch Kunststoff- oder Stahlrohre wie durch Asbestzement-Leitungen. Pflanzen und Blumen brauchen erst recht nicht in den üblichen Asbestkübeln wachsen. Selbst dort, wo auf die Zumischung der Asbestfasern gegenwärtig noch nicht verzichtet werden kann, stehen schon bald Ersatzfasern zur Verfügung.

So experimentieren die Baustoffhersteller seit längerem mit textiler Glasfaser, Gesteinswolle und Kohlenstoff-Fasern als Asbestersatz. Diese Substitute leisten -- bei unterschiedlicher Zusammensetzung -- den gleichen Dienst wie das gesundheitsgefährliche Mineral. Lediglich Erfahrungen mit der Haltbarkeit stehen noch aus.

»Bei einer Bewertung der technischen und ökonomischen Gesichtspunkte«, urteilen die Baustofforscher Wolfgang Lohrer und Eva Poeschel in einer Studie, »seien die meisten textilen Produkte als Asbestsubstitute zu empfehlen.«

Auch den Einwand der Asbestindustrie, die Ersatzfasern seien ebenfalls krebsfördernd, lassen die Wissenschaftler nicht gelten. »Hinsichtlich der Kanzerogenität«, so die Forscher Poeschel und Lohrer, könnten die künstlichen S.100 Fasern »als unbedenklich angesehen werden«.

Daß die Zementwerke dennoch nicht auf neue Fasern und andere Produkte ausweichen, hat andere Gründe: Obwohl in Ländern wie Schweden oder Holland Asbestprodukte schon seit längerem verboten sind, haben sich die westdeutschen Zementmischer kaum auf ein Asbestverbot in der Bundesrepublik vorbereitet.

Zwar bemühte sich die deutsche Eternit AG, ihre Asbest-Monostruktur durch Firmenkäufe aufzulockern. So nistete sich der Branchenführer etwa bei dem Neusser Flachdach-Spezialisten Esser ein, und er beginnt gerade eine eigene Betondachstein-Produktion.

Aber trotz dieser neuen Aktivitäten bleibt die Eternit AG noch immer vom Asbest abhängig: Die neuen Produktionszweige machen bisher nur etwa zehn Prozent des Eternit-Umsatzes aus.

Daran wird sich wohl auch in Zukunft nur wenig ändern, sofern nicht ein Verbot den Eternit-Managern das Geschäft verdirbt.

Und es ist ein gutes Geschäft. Denn die westdeutsche Eternit AG ist nur der Ableger einer Firmengruppe, die weltweit -- vom Abbau des Rohstoffs bis zur Verarbeitung -- am Asbest verdient. Dem Eternit-Großaktionär gehören Asbestminen in Italien ebenso wie in Kanada. Er verarbeitet das Mineral in Südafrika und in Brasilien, in Belgien und in Guatemala.

Gesteuert wird das Asbest-Firmenkonglomerat über die Schweizer Holding Amiantus AG, die sich im Besitz der Familie Schmidheiny, einer der reichsten eidgenössischen Industriedynastien, befindet.

Die Schmidheinys besitzen Zementfabriken und Ziegeleien, Anteile an S.101 Maschinenbauunternehmen und Elektrizitätsgesellschaften, Tanklager und Luxus-Hotels. Auch attraktive Latifundien, etwa ein Weingut im kalifornischen Napa Valley oder Farmen in Texas und Colorado, nennen sie ihr eigen.

Zu den Perlen im Schmidheiny-Imperium gehören Beteiligungen an dem Schweizer Weltkonzern BBC ebenso wie an einer Schweizer Geschäftsbank, der Privatbank und Verwaltungs AG. Auch weltweit bekannte Hersteller optischer Geräte, die Schweizer Wild AG und die deutsche Firma Leitz GmbH, werden von den Schmidheinys kontrolliert.

Chef des Industrie-Klans ist der 73jährige Max Schmidheiny, ein Enkel von Jacob Schmidheiny, der vor 130 Jahren mit dem Erwerb einer Ziegelei den Grundstein für den sagenhaften Reichtum legte.

»Wenn jemand in der Schweiz modernen Kapitalismus vorexerziert«, schreibt der eidgenössische Autor Carl M. Holliger, »dann sind es die Schmidheinys.« Sippenchef Max, so Holliger, sei ein Geschäftsmann, wie er heute »weltweit nur noch in ganz wenigen Exemplaren« vorkomme. Ihn interessiere nur das Geschäft, »egal ob die Religion oder die Politik stimmen«.

Das Zentrum des Schmidheiny-Imperiums ist die Holderbank-Gruppe, einer der fünf größten Zementkonzerne der Welt. Die Herrschaft des Zementriesen erstreckt sich über ein weitverzweigtes Netz von Tochtergesellschaften und Beteiligungen auf allen Kontinenten. Auch in der Bundesrepublik mischt Holderbank über die Firmen Nordcement und Alsen-Breitenburg kräftig im Zementmarkt mit.

Am besten läuft das Geschäft in den Entwicklungsländern. Schmidheinys Zementfabriken S.103 arbeiten auf den Philippinen und in Australien, in Neuseeland und in Ägypten.

Die Gruppe floriert so gut, daß sich Senior Max in den letzten Jahren einen allmählichen Rückzug aus den Tagesgeschäften glaubte erlauben zu können. Die Holderbank-Gruppe wird nun von seinem ältesten Sohn Thomas, 36, gemanagt; Neffe Jacob, 38, kümmert sich um die Ziegeleien.

Die Führung der Asbest-Gruppe Amiantus ist Sohn Stephan, 34, übertragen. Der in Südafrika, Brasilien und Italien ausgebildete Jurist konzentrierte sich darauf, seine Firmen von der einseitigen Asbestabhängigkeit zu befreien.

Stephan Schmidheiny betrieb die Übernahme der Durisol AG, die den asbestfreien Baustoff Duripanel herstellt; und Stephan sorgte auch für den Kauf der Holdinggesellschaft Distral AG.

Zur Distral-Gruppe gehören vor allem Beteiligungen an Kiosk-Ketten und eine Zeitungsvertriebs-Organisation. Auch Fast-Food-Läden betreibt die Distral AG.

Doch trotz der emsigen Bemühungen von Sohn Stephan ist die Amiantus noch immer so stark vom Asbest abhängig, daß ein Verbot des giftigen Minerals in der Bundesrepublik das Schmidheiny-Reich empfindlich treffen würde. Denn mit Asbest macht Stephan Schmidheiny noch immer das meiste Geld.

Folgerichtig konzentriert sich der Schweizer Industrielle nun darauf, ein Verbot von Asbestzement in Westdeutschland zu verhindern. Vor allem mit dem probaten Arbeitsplatz-Argument sollen die Politiker weichgeklopft werden.

Erste Erfolge zeichnen sich schon ab. Um »wirtschaftliche Härten unter den Asbest-Zement-Herstellern weitgehend zu vermeiden«, will Bundesinnenminister Gerhart Baum von »einem Verbotsvorschlag von Asbest-Zement-Produkten« für die nächsten »fünf bis zehn Jahre« erst einmal absehen. Bis dahin soll »strenge Kennzeichnungspflicht« die Bundesbürger vor Krebs durch Asbest bewahren.

S.98Gebrüder Stephan (l.) und Thomas (r.) Schmidheiny, Vetter Jacob(M.).*

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