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Alles offen Wie geht es weiter mit OpenOffice?

Auf jedem fünften PC in Deutschland werkelt OpenOffice, die einzige echte, zudem kostenlose Konkurrenz zu Microsoft Office. Ob der Erfolg anhält, ist fraglich, denn es herrscht Streit: Viele ehrenamtliche Entwickler haben sich vom Projekt getrennt, der neue Besitzer will es kommerzialisieren.
OpenOffice: Von verschiedenen Gruppen unter verschiedenen Namen weitergeführt

OpenOffice: Von verschiedenen Gruppen unter verschiedenen Namen weitergeführt

Das Bürosoftware-Projekt OpenOffice  steht am Scheideweg. Acht Monate, nachdem das amerikanische IT-Unternehmen Oracle den bisherigen Betreiber Sun Microsystems übernahm, kam es zum Eklat: Ein großer Teil des Kerns der Entwicklermannschaft verabschiedete sich aus dem seit 1999 von Sun unterstützten Projekt. Die Unterstützung durch Oracle sei nicht hinreichend gewesen.

Damit hört OpenOffice auf, so etwas wie ein Community-Projekt zu sein, denn tatsächlich wurde und wird die Büro-Suite als quelloffenes Programm entwickelt und vertrieben. Hervorgegangen ist die Office-Suite, die mit angeblich mehr als 100 Millionen Installationen rein numerisch heute die einzig nennenswerte Konkurrenz zu Microsofts Office-Suiten darstellt, aus dem 1985 von Marco Börries entwickelten StarWriter, später StarOffice - schon in den Anfangstagen des PC ein durchaus schwergewichtiger Konkurrent zu Word und WordPerfect. Es machte Börries zum Millionär, bereits 1998 begann er, sein Office-Programm kostenlos an Privatanwender zu verteilen.

Ein Jahr später machte Sun Microsystems als neuer Besitzer das noch StarOffice genannte Programm zum Open-Source-Projekt. Mit anhaltendem Erfolg: OpenOffice entwickelte sich zur echten Office-Alternative.

Und blieb doch an Sun gebunden, das die ehrenamtliche Entwicklerschar des bald als OpenOffice.org firmierenden Non-Profit-Projekts aber nicht nur unterstützte, sondern auch die Namensrechte behielt - und die Verwertungsrechte an dem Programm und seinen ehrenamtlichen Weiterentwicklungen.

Die liegen nun bei Oracle, aber da bleiben sie wohl auch: Als sich der Kern der Entwicklermannschaft im September von Oracle und OpenOffice.org lossagte, kündigte sie zwar an, das Projekt in Eigenregie weiterführen zu wollen. Das aber will auch Oracle - und das US-Unternehmen denkt gar nicht daran, irgendetwas abzutreten. In der letzten Woche bekräftigte Oracle öffentlich, OpenOffice als Open-Source-Projekt fortführen zu wollen. Wie zum Beweis veröffentlichte Oracle dann noch ein Minimal-Update der Suite auf Version 3.2.1. Auf der Web-Seite der OpenOffice.org jedenfalls findet sich keine Spur eines Streits - alles erscheint eher als Business as usual.

Das Ende der Einigkeit

Spätestens hier wird die Sache wirklich kompliziert. Sun - und nun Oracle - hatte nicht nur OpenOffice.org unterstützt, sondern deren Arbeitsergebnisse auch in eine kommerzielle Version der OpenOffice-Suite einfließen lassen, für die Sun bis Anfang des Jahres den Namen StarOffice weiterführte.

Jetzt heißt diese Oracle Open Office  und ist die kommerzielle Version des Community-Projekts. Damit wird das Geschäftsmodell solcher hybrider Ansätze aus unternehmensunterstützter Open Source klar: Man lässt die Community entwickeln, verschenkt das resultierende Produkt, vermarktet dieses aber in leicht modifizierter Form auf dem Business-Markt. Es ist das Linux-Modell, wenn man so will, dagegen ist nichts zu sagen. Bei OpenOffice aber führte es zum Dissens, weil Teilen der Entwicklermannschaft die unternehmerischen Begehrlichkeiten zu groß, die Unterstützung dagegen zu mau ausfiel.

Auch diese Open-Source-Entwickler wollen weitermachen, und weil sie den Namen der von ihnen geschriebenen Software nicht weiter nutzen dürfen, heißt die nun LibreOffice . Die ehemalige org-Entwicklergruppe, die sich nun The Document Foundation  nennt, kooperiert zudem mit anderen Gruppen und Unternehmen, die in der Vergangenheit und aktuell Beiträge zur OpenOffice-Entwicklung geleistet haben.

Wer übernimmt die zentrale Rolle?

"Forks", also Gabelungen des Projektes, die Modifikationen der Software hervorbringen, sind typisch für die Open-Source-Szene. Das ist kein Problem, sondern eine Stärke, solange man sich an einem gemeinsamen Kern orientiert, bestimmte Standards teilt. Tut man dies nicht, droht die Spezifizierung, wie ein Evolutionsbiologe sagen würde: Aus der Trennung entwickeln sich langsam verschiedene Produkte, aus Versionen werden verschiedene Programme, die irgendwann ihre Kompatibilität verlieren könnten.

Noch ist das nicht so weit, und LibreOffice ist nur eine von vielen Versionen des Kernproduktes OpenOffice. Eine davon kommt von IBM, bei denen die Office-Suite Lotus Symphony  heißt. Die soeben vorgestellte Version 3 beruht auf OpenOffice 3.2, ist aber um Lotus-spezifische Funktionen wie die Anbindung an die gleichnamigen Mail-Lösungen aufgebohrt. Damit richtet sich die Software vornehmlich an Firmenkunden: Auch dieses Beispiel zeigt, wie sich OpenOffice/LibreOffice künftig entwickeln könnte. Mittelfristig ist jedoch zu erwarten, dass die verschiedenen OpenOffice-Derivate sich zunehmend auseinanderentwickeln, wenn der grundsätzliche Konflikt zwischen dem Libre- und OpenOffice-Lager nicht versöhnt wird.

Bisher hatte es eine ganze Reihe von kleineren, teils spezialisierten Derivaten gegeben, die sich aber alle an OpenOffice.org als zentrales Produkt gruppierten und ihre verwertbaren Beiträge auch dorthin zurückfließen ließen (zu den bekannteren zählen Go-oo, NeoOffice und OxygenOffice). Eine der wichtigsten Fragen, die sich nun stellen, ist, wer nun diese Rolle einnimmt: LibreOffice? Oder weiterhin Oracle, der Inhaber des Markennamens und der Verwertungsrechte an OpenOffice.org?

Denn auch, wenn die Document Foundation die Symphatien großer Teile der Open-Source-Community haben mag: Längst nicht alle Programmierer von OpenOffice.org haben mitgezogen. Die Arbeit an OpenOffice geht weiter, mit einem "wachsenden Team" (Oracle), und nicht nur Sun- und Oracle-Angestellte arbeiten hier zu: Auch IBM lässt angeblich 35 Programmierer an dem Projekt mitarbeiten. Mit LibreOffice solidarisierten sich hingegen kurz nach Verkündigung der Aufspaltung des Projektes die Firmen Canonical, Google und Red Hat. Das ist fein für LibreOffice, bedeutet aber auch, dass auch die Linux-Gemeinde, die bisher so gut wie geschlossen OpenOffice unterstützte, jetzt gespalten ist: Canonical ist Hauptentwickler des populären Ubuntu-Linux.

ODF: Das einigende Element

Allen geht es letztlich darum, das mit OpenOffice verbundene Open Document Format ODF als Konkurrenz zu den von Microsoft präferierten Standard-Dokumentformaten voranzubringen. Nur will Oracle dies im Rahmen eines Modells, in dem kollaborativ zum gemeinsamen Nutzen an kommerziell verwertbaren Projekten gearbeitet wird, während die Document Foundation eine Trennung des Open-Source-Projekts von allen Business-Interessen vorzieht.

Klingt aus Verbrauchersicht nach einem ideell motivierten Kleinkrieg, der Nutzer nicht interessieren muss, ist aber mehr als das.

Verlässliche Zahlen über den weltweiten Marktanteil von OpenOffice und seiner Derivate gibt es nicht. Wohl aber Erkenntnisse über begrenzte Märkte: In Deutschland, wo selbst Behörden wie das Außenministerium oder das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik komplett auf OpenOffice umgesattelt haben, liegt der Marktanteil angeblich bei satten 21 Prozent. Generell lässt sich sagen, dass OpenOffice überall da stark ist, wo Open-Source-Software eine hohe Akzeptanz erfährt. Salopp gesagt boomt OpenOffice da, wo auch Firefox Erfolge feiert.

Und das ist vor allem in Europa der Fall. In den USA hingegen liegen OpenOffice und Co. bei gerade einmal neun Prozent (alle Zahlen: webmasterpro.de ). Rund die Hälfte aller OpenOffice-Anwender verwenden darüber hinaus zusätzlich auch noch entsprechende Microsoft-Produkte.

Selbst dahin zu kommen, war ein mühseliger Weg. Zu den Hauptverbreitungswegen von OpenOffice zählen Downloads und Beipacker-CDs in PC-Zeitschriften. Vorinstalliert auf Windows-Neurechnern findet man es hingegen selten: Häufiger sind dort Test-Versionen der Microsoft-Anwendungen, obwohl die meist zeitlich limitiert und danach kostenpflichtig sind.

Es hat gedauert, bis sich OpenOffice.org zu einer Marke entwickelt hat, der man so etwas wie einen Bekanntheitsgrad nachsagen kann. Das formell erst wenige Wochen alte LibreOffice (basiert auf OpenOffice 3.2) kennt bisher kaum jemand, und dass es OpenOffice nun in verschiedenen Formen geben soll, wird mit Sicherheit Vermittlungsprobleme geben.

Freuen kann sich Microsoft. Aus Perspektive des unbestrittenen Marktführers wird gerade ein Gegner von respektabler Größe zu mehreren miteinander konkurrierenden Gegnerchen dezimiert. Erst, wenn eine Software eine gewisse kritische Masse erreicht hat, erreicht sie auch die Masse der eher unkritischen Anwender. Das hat das Beispiel Firefox gezeigt: Was der Laie nicht kennt, das nutzt er auch nicht. Was er überall sieht und hört, probiert er gerne aus.

Wenn künftig jeder gut informierte PC-Anwender seinem weniger gut informierten Nachbarn eine scheinbar andere, eben seine liebste kostenlose Office-Alternative empfiehlt, verliert dieses Produkt in der öffentlichen Wahrnehmung an Aufmerksamkeit, Bekanntheit und Marktchancen. Die Spaltung der OpenOffice-Gemeinde mag aus verschiedenen Gründen verständlich sein, bedauerlich ist sie auf jeden Fall.