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Entscheidung S 20 KR 125/19


Metadaten

Gericht SG Neuruppin 20. Kammer Entscheidungsdatum 19.03.2021
Aktenzeichen S 20 KR 125/19 ECLI
Dokumententyp Gerichtsbescheid Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Klagen werden abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Gerichtskosten werden in Verfahren der vorliegenden Art nicht erhoben.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der an einem primären Parkinson-Syndrom mit mäßiger bis schwerer Beeinträchtigung leidenden im September 1943 geborenen Klägerin auf Erstattung von bereits entstandenen und von zukünftig entstehenden Kosten für Fahrten anlässlich von ambulanten Serienbehandlungen.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes verweist die Kammer gemäß § 105 Abs 1 S 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) iVm § 136 Abs 2 S 1 SGG auf die Ausführungen auf Seite 1 (dort unter der Überschrift „I. Sachverhalt“) bis Seite 2 (dort bis zu dem zweiten Absatz) des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 15. Mai 2019, mit dem diese den Widerspruch der Klägerin vom 11. April 2019 gegen die auf die zum nächsterreichbaren Leistungserbringer – die Ruppiner Kliniken GmbH in 16816 Neuruppin – und auf den Zeitraum vom 01. März 2019 bis zum 30. August 2019 beschränkte Fahrtkostengenehmigungsverfügung der Beklagten vom 28. Februar 2019 als unbegründet zurückgewiesen hat. Wegen der Begründung der Beklagten verweist die Kammer gemäß § 105 Abs 1 S 3 SGG iVm § 136 Abs 2 S 1 SGG auf die Ausführungen auf Seite 2 (dort unter der Überschrift „Rechtliche Würdigung“) bis Seite 5 (dort bis zum dem sechsten Absatz) des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 15. Mai 2019.

Mit Schriftsatz vom 07. Juni 2019 – bei dem Sozialgericht Neuruppin eingegangen am 11. Juni 2019 – hat die Klägerin bei dem erkennenden Gericht Klagen erhoben, mit denen sie ihre auf Erstattung von bereits entstandenen und von zukünftig entstehenden Kosten für Fahrten anlässlich ihrer ambulanten Serienbehandlungen gerichteten Begehren weiter verfolgt. Zur Begründung ihrer Begehren bringt sie im Wesentlichen vor, bei der Ruppiner Kliniken GmbH handele es sich nicht um den nächstgelegenen, an der kassenärztlichen Versorgung teilnehmenden Arzt, da deren neurologische Abteilung weder über das erforderliche Fachwissen zur Diagnostik und Behandlung von Parkinsonkrankheiten noch über die erforderlichen medizinischen Gerätschaften verfüge. Die nächstgelegene Behandlungseinrichtung sei deshalb das Neurologische Zentrum für Bewegungsstörungen und Diagnostik in Berlin, wo die Klägerin auch regelmäßig in Behandlung sei. Im Übrigen seien auch die weiteren nach Rechtshängigkeit ergangenen und die Fahrtkostenerstattung regelnden Verfügungen der Beklagten Gegenstand des vorliegenden sozialgerichtlichen Klageverfahrens geworden.

Die Klägerin beantragt (nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß),

die Beklagte unter Aufhebung der mit dem Bescheid der Beklagten vom 09. April 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Mai 2019 verlautbarten ablehnenden Verfügung zu verurteilen, ihr die entstandenen und die zukünftig entstehenden Kosten für Fahrten anlässlich ihrer ambulanten Serienbehandlungen zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klagen abzuweisen.

Zur Begründung ihres Antrages meint sie zunächst, das klägerische Begehren dürfe sich angesichts der mit den angegriffenen Verfügungen vorgenommenen zeitlichen Begrenzung auch zulässigerweise nur auf diesen Zeitraum beschränken. Die den Zeitraum vom 31. August 2019 bis zum 28. Februar 2020 sowie vom 02. März 2020 bis zum 31. August 2020 regelnden weiteren Verfügungen der Beklagten vom 07. Oktober 2019 sowie vom 23. März 2020 seien mangels Erhebung eines Widerspruches bestandskräftig geworden. Im Übrigen trägt sie ua unter Verweis auf die Regelung des § 76 Abs 2 SGB V sowie die im sozialverwaltungsbehördlichen Verfahren eingeholten Stellungnahmen des MDK vom 04. April 2019 und vom 29. April 2019 im Wesentlichen vor, eine Erstattung der geltend gemachten Fahrtkosten sei nicht möglich, weil es sich bei der von der Klägerin ausgewählten Behandlungseinrichtung nicht um die nächstgelegene Behandlungsstätte handele. Vielmehr seien dies die wohnortnah gelegene Ruppiner Kliniken GmbH und weitere wohnortnahe niedergelassene Fachärzte für Neurologie. Es sei kein zwingender Grund erkennbar, welcher die Inanspruchnahme der Hauptleistung in der von der Klägerin ausgewählten Behandlungseinrichtung in Berlin rechtfertigen könne.

Auf entsprechende gerichtliche Nachfrage hat der Chefarzt der Klinik für Neurologie der Ruppiner Kliniken GmbH – Dr. med. T. J. Müller – mit Schreiben vom 06. Januar 2021 mitgeteilt, dass dort grundsätzlich Patientinnen und Patienten mit primärem Parkinsonsyndrom mit mäßiger bis schwerer Beeinträchtigung behandelt würden. Darüber hinaus hat er darauf hingewiesen, jede Fachärztin und jeder Facharzt für Neurologie sei in der Lage, derartige Patientinnen oder Patienten zu behandeln, aber dass sich je nach Schwere der Erkrankung auch eine stationäre Behandlung anbieten könne.

Das Gericht hat die Beteiligten zuletzt mit Verfügung vom 25. Februar 2021 zu der beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, die Prozessakte sowie auf die die Klägerin betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.

Entscheidungsgründe

Die Klagen, über die die Kammer gemäß § 105 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch Gerichtsbescheid entscheiden konnte, weil die Sache keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten aufweist, der Sachverhalt geklärt ist, die Beteiligten zuvor mit der gerichtlichen Verfügung vom 25. Februar 2021 zu dieser beabsichtigten Entscheidungsform ordnungsgemäß angehört worden sind, eine ausdrückliche Zustimmung der Beteiligten hierzu – entgegen der Auffassung der Klägerin – nicht erforderlich ist und weil das Gericht – ebenso wie im Rahmen der mündlichen Verhandlung – weder zur Darstellung seiner Rechtsansicht (vgl Bundessozialgericht, Beschluss vom 03. April 2014 – B 2 U 308/13 B, RdNr 8 mwN) noch zu einem umfassenden Rechtsgespräch verpflichtet ist (vgl Bundessozialgericht, Urteil vom 30. Oktober 2014 – B 5 R 8/14 R, RdNr 23), haben keinen Erfolg.

1. a) Streitgegenstand des Verfahrens – mithin der aus einem bestimmten Sachverhalt abgeleitete Anspruch der Klägerin auf Verurteilung des Beklagten zu der begehrten Leistung (vgl § 123 SGG), der dem auch im Zivilprozessrecht herrschenden zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff entspricht (vgl hierzu etwa Bundessozialgericht, Urteil vom 26. März 2014 – B 10 EG 2/13 R, RdNr 9 mwN) – ist (demgegenüber) unter Berücksichtigung der Darlegungen durch die anwaltlich vertretene Klägerin deren (grundsätzlicher) Anspruch auf Gewährung der ihr bereits entstandenen und zukünftig entstehenden Fahrtkosten.

b) Gegenstand des Klageverfahrens ist die mit dem Bescheid des Beklagten vom 09. April 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Mai 2019 verlautbarte Verfügung, mit der die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Fahrtkosten für ihre ambulanten Serienbehandlungen in Berlin für den Zeitraum vom 01. März 2019 bis zum 30. August 2019 abgelehnt hat.

Entgegen der Auffassung der Klägerin sind allerdings die weiteren sozialverwaltungsbehördlichen Verfügungen der Beklagten vom 07. Oktober 2019 sowie vom 23. März 2020 nicht Gegenstand des Klageverfahrens geworden, weil diese angesichts der dort geregelten – abweichenden – Zeiträume die hier klagegegenständlichen Verfügungen nicht im Sinne des § 96 Abs 1 SGG abgeändert oder ersetzt haben.

2. a) Die – auf Aufhebung der mit dem Bescheid der Beklagten vom 09. April 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Mai 2019 verlautbarten ablehnenden Verfügung und auf Verurteilung der Beklagten zur Erstattung der bereits entstandenen und zukünftig entstehenden Fahrtkosten für ihre Fahrten zu ambulanten Serienbehandlungen in Berlin gerichteten – Begehren sind als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklagen statthaft (vgl § 54 Abs 1 S 1 Regelung 1 SGG und § 54 Abs 4 SGG sowie § 56 SGG) und auch im Übrigen zulässig, soweit die Klägerin die Erstattung von Fahrtkosten begehrt, die ihr im Zeitraum vom 01. März 2019 bis zum 30. August 2019 entstanden sind.

b) Soweit die Klägerin allerdings darüber hinaus Fahrtkosten begehrt, die den soeben genannten Zeitraum nicht betreffen, sind die auf dieses Begehren gerichteten Klagen unzulässig.

aa) Die Anfechtungsklagen im Sinne des § 54 Abs 1 S 1 Regelung 1 SGG sind mangels zuvor erfolgter ordnungsgemäßer Durchführung eines Vorverfahrens im Sinne des § 78 Abs 1 S 1 SGG unzulässig; insoweit steht der Zulässigkeit der Anfechtungsklagen auch und gerade die gemäß § 77 SGG von den Beteiligten und auch dem Gericht zu beachtende Bindungswirkung der zuvor ergangenen – bestandskräftig gewordenen – ablehnenden Verfügungen der Beklagten vom 07. Oktober 2019 für den Zeitraum vom 31. August 2019 bis zum 28. Februar 2020 sowie vom 23. März 2020 für den Zeitraum vom 02. März 2020 bis zum 31. August 2020 entgegen.

bb) Wenn danach die Anfechtungsklagen unzulässig sind, erweisen sich auch die mit ihnen kombinierten Leistungsklagen (§ 54 Abs 4 SGG iVm § 56 SGG) als unzulässig: Nach § 54 Abs 4 SGG kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsaktes gleichzeitig die Leistung verlangt werden, wenn der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung betrifft, auf die ein Rechtsanspruch besteht. Die Regelung setzt voraus, dass die Verwaltung über die begehrte Leistung entschieden hat und diese Entscheidung noch nicht bestandskräftig geworden ist (vgl § 77 SGG). Letzteres ist hier jedoch der Fall, weshalb den Leistungsklagen jedenfalls das Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Im Übrigen setzen in Verfahren der vorliegenden Art zulässige Leistungsklagen wegen des der Kombination immanenten Stufenverhältnisses ihrerseits zulässige Anfechtungsklagen voraus.

cc) Schließlich wäre eine auch in Fällen der vorliegenden Art im Grundsatz denkbare vorbeugende Feststellungsklage im Sinne des § 55 Abs 1 Nr 1 SGG – gerichtet auf die Feststellung, dass für die Klägerin für Fahrten zwischen ihrer Wohnung und dem Ort der ambulanten Behandlung die Fachärzte des Neurologischen Zentrums für Bewegungsstörungen und Diagnostik in Berlin die nächsterreichbaren Ärzte im Rechtssinne sind – angesichts der die einzelnen Zeiträume tatsächlich regelnden und bindend gewordenen (vgl § 77 SGG) sozialverwaltungsbehördlichen Verfügungen der Beklagten mit Blick auf den Grundsatz der Subsidiarität unzulässig (vgl dazu Bundessozialgericht, Urteil vom 08. September 2015 – B 1 KR 27/14 R, RdNr 23 ff, in der dortigen Fallgestaltung hatte die dortige Beklagte – anders als hier – eine feststellende und nicht zeitraumbezogene Verfügung getroffen).

dd) Ob die genannten – nicht konkret zeitraumbezogenen – Klagen der Klägerin begründet oder unbegründet sind, durfte die Kammer dagegen nicht prüfen, weil die Befugnisse des gesetzlichen Richters nur so weit reichen, wie die Sachurteilsvoraussetzungen gegeben sind.

3. Die nach alledem nur hinsichtlich des Zeitraumes vom 01. März 2019 bis zum 30. August 2019 zulässigen Klagen sind jedoch unbegründet.

4. Die mit den Leistungsklagen kombinierten Anfechtungsklagen sind unbegründet, weil die angegriffene Verfügung rechtmäßig ist und die Klägerin durch sie nicht in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten beschwert ist (vgl § 54 Abs 2 S 1 SGG). Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, die der Klägerin im Zeitraum vom 01. März 2019 bis zum 30. August 2019 entstandenen Mehrkosten für die Fahrt zu den ambulanten Serienbehandlungen nach Berlin zu gewähren.

a) Einzige Anspruchsgrundlage für die Erstattung der Kosten ist § 13 Abs 3 S 1 Regelung 1 SGB V. Der Krankentransport stellt nach § 60 SGB V grundsätzlich eine Naturalleistung dar. Dass bei bestimmten in § 60 Abs 3 SGB V genannten Verkehrsmitteln mangels vertraglicher Beziehungen keine unmittelbare Abrechnung der Krankenkasse mit dem Leistungserbringer in Betracht kommt, rechtfertigt nicht den Schluss, der Naturalleistungsgrundsatz sei bei Krankenfahrten generell außer Kraft gesetzt (vgl hierzu Bundessozialgericht, Urteil vom 02. November 2007 – B 1 KR 4/07 R, RdNr 10 mwN sowie Urteil vom 02. November 2007 – B 1 KR 11/07 R, RdNr 10 mwN). Ein Naturalleistungsanspruch gemäß § 60 SGB V kommt jedoch jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr in Frage, weil die maßgeblichen Fahrten bereits durchgeführt worden sind.

b) Gemäß § 13 Abs 3 S 1 Regelung 1 SGB V ist eine Krankenkasse zur Kostenerstattung verpflichtet, wenn sie eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte und dem Versicherten dadurch für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind. Offen bleiben kann, ob es bei der Fahrt zu der ambulanten Behandlung überhaupt um eine unaufschiebbare Leistung ging. Die Voraussetzungen des § 13 Abs 3 S 1 Regelung 1 SGB V sind jedenfalls deshalb nicht erfüllt, weil die Klägerin von der Beklagten die Fahrten zu der ambulanten Behandlung nicht in dem von ihr begehrten Umfang als Naturalleistung beanspruchen konnte.

Der Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3 S 1 SGB V reicht nicht weiter als ein entsprechender Naturalleistungsanspruch (vgl hierzu Bundessozialgericht, Urteil vom 02. November 2007 – B 1 KR 4/07 R, RdNr 11 mwN sowie Urteil vom 02. November 2007 – B 1 KR 11/07 R, RdNr 11 mwN; vgl hierzu auch Bundessozialgericht, Urteil vom 11. Mai 2017 – B 3 KR 6/16 R, RdNr 15 mwN). Das Unvermögen der Krankenkasse, die Leistung rechtzeitig zu erbringen (§ 13 Abs 3 S 1 Regelung 1 SGB V) berechtigen den Versicherten, sich die Leistung in Durchbrechung des Sachleistungsprinzips selbst zu beschaffen. Deshalb besteht ein Anspruch auf Kostenerstattung grundsätzlich nur dann, wenn die Voraussetzungen des primären Sachleistungsanspruchs vorliegen (vgl hierzu Bundessozialgericht, Urteil vom 11. Mai 2017 – B 3 KR 6/16 R, RdNr 15). Er setzt daher voraus, dass die selbstbeschaffte Leistung – hier: die Fahrten zu der ambulanten Behandlung – zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistungen zu erbringen haben. Daran fehlt es.

aa) Die Klägerin konnte von der Beklagten die Fahrten zu ihrer ambulanten Behandlung als Fahrt nach § 60 SGB V nicht in dem begehrten Umfang verlangen.

§ 60 SGB V setzt generell dafür, dass Krankenkassen Fahrten Versicherter übernehmen, durch die bewusst abschließende Regelung voraus, dass der Versicherte transportiert wird und der Transport einer bestimmten Hauptleistung seiner Krankenkasse dient. § 60 SGB V benennt dabei abschließend die Hauptleistungen, für die eine Fahrt des Versicherten aus zwingenden medizinischen Gründen notwendig sein muss (Abs 2 S 1 Nr 1: stationäre Leistungen; Verlegung; Abs 2 S 1 Nr 2: Rettungsfahrten zum Krankenhaus; Abs 2 S 1 Nr 3: Krankentransporte; Abs 2 S 1 Nr 4: Krankenhausbehandlung ersetzende Behandlungen; Abs 1 S 3: ambulante Behandlungen; anders dagegen Abs 5 S 1: Verweisung auf § 73 Abs 1 SGB IX und § 73 Abs 3 SGB IX bei Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, hier nicht einschlägig).

§ 60 Abs 1 S 1 SGB V verlangt für die Fälle des § 60 Abs 1 SGB V bis § 60 Abs 3 SGB V zusätzlich, dass der Transport aus zwingenden medizinischen Gründen notwendig ist. Die Norm regelt die allgemeinen Voraussetzungen für die Übernahme von Fahrkosten und dabei die notwendige Abhängigkeit der Fahrt von einer Hauptleistung. Danach übernimmt die Krankenkasse nach den Absätzen 2 und 3 die Kosten für Fahrten einschließlich der Transporte nach § 133 SGB V (Fahrkosten), wenn sie im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse aus zwingenden medizinischen Gründen notwendig sind. Welches Fahrzeug benutzt werden kann, richtet sich nach der medizinischen Notwendigkeit im Einzelfall (§ 60 Abs 1 S 2 SGB V).

Die Krankenkasse übernimmt Fahrkosten zu einer ambulanten Behandlung unter Abzug des sich nach § 61 S 1 SGB V ergebenden Betrages nur nach vorheriger Genehmigung in besonderen Ausnahmefällen, die der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Abs 1 S 2 Nr 12 SGB V festgelegt hat (§ 60 Abs 1 S 3 SGB V). Diese hat der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Abs 1 S 2 Nr 12 SGB V festgelegt. Nach § 8 der Richtlinie über die Verordnung von Krankenfahrten, Krankentransportleistungen und Rettungsfahrten nach § 92 Abs 1 S 2 Nr 12 SGB V <Krankentransport-Richtlinie in der Fassung vom 22. Januar 2004, veröffentlicht im Bundesanzeiger Nr. 18 (S 1342) vom 28. Januar 2004, in Kraft getreten am 01. Januar 2004, zuletzt geändert am 17. September 2020, veröffentlicht im Bundesanzeiger <BAnz AT 30.09.2020 B2>, in Kraft getreten am 01. Oktober 2020) können in besonderen Ausnahmefällen auch Fahrten zu ambulanten Behandlungen außer den in § 7 Abs 2 Ziffer b und Ziffer c geregelten Fällen bei zwingender medizinischer Notwendigkeit von der Krankenkasse übernommen und vom Vertragsarzt verordnet werden (Abs 1 S 1). Sie bedürfen der vorherigen Genehmigung durch die Krankenkasse (Abs 1 S 3). Voraussetzungen für eine Verordnung und eine Genehmigung sind, - dass der Patient mit einem durch die Grunderkrankung vorgegebenen Therapieschema behandelt wird, das eine hohe Behandlungsfrequenz über einen längeren Zeitraum aufweist, und - dass diese Behandlung oder der zu dieser Behandlung führende Krankheitsverlauf dem Patienten in einer Weise beeinträchtigt, dass eine Beförderung zur Vermeidung von Schaden an Leib und Leben unerlässlich ist (Abs 2 S 1).

Diese Voraussetzungen sind in den in Anlage 2 dieser Richtlinie genannten Ausnahmefällen in der Regel erfüllt (Abs 2 S 2). Diese nicht abschließende Liste (Abs 2 S 3) benennt dabei als Ausnahmefälle: die Dialysebehandlung, die onkologische Strahlentherapie sowie die parenterale antineoplastische Arzneimitteltherapie und parenterale onkologische Chemotherapie. Daneben kann die Fahrt zur ambulanten Behandlung für Versicherte verordnet und genehmigt werden, die einen Schwerbehindertenausweis mit dem Merkzeichen „aG“, „Bl“ oder „H“ oder einen Einstufungsbescheid gemäß SGB XI in den Pflegegrad 3, 4 oder 5 bei der Verordnung vorlegen und bei Einstufung in den Pflegegrad 3 wegen dauerhafter Beeinträchtigung ihrer Mobilität einer Beförderung bedürfen (Abs 3 S 1). Die Verordnungsvoraussetzungen sind auch bei Versicherten erfüllt, die bis zum 31. Dezember 2016 in die Pflegestufe 2 eingestuft waren und seit dem 01. Januar 2017 mindestens in den Pflegegrad 3 eingestuft sind (Abs 3 S 2). Die Krankenkassen genehmigen verordnete Fahrten zur ambulanten Behandlung von Versicherten, die keinen Nachweis nach Satz 1 besitzen, wenn diese von einer der Kriterien von Satz 1 vergleichbaren Beeinträchtigung der Mobilität betroffen sind und einer ambulanten Behandlung über einen längeren Zeitraum bedürfen (Abs 3 S 3).

bb) Die Klägerin erfüllt nicht die Voraussetzungen für eine Übernahme der Fahrtkosten gemäß § 60 SGB V in dem von ihr begehrten Umfang. Zwar gehen die Beteiligten übereinstimmend und zu Recht davon aus, dass der Klägerin dem Grunde nach ein Anspruch auf Gewährung von entsprechenden Fahrten nach Maßgabe der Regelung des § 60 Abs 1 S 3 SGB V zusteht, weil bei ihr die Voraussetzungen des § 8 Abs 3 S 1 der Krankentransport-Richtlinien iVm § 8 Abs 3 S 2 der Krankentransport-Richtlinien vorliegen.

Allerdings müssen nach dem Rechtsgedanken des § 60 Abs 1 S 1 SGB V in allen Fällen des § 60 SGB V die Fahrten im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse aus zwingenden medizinischen Gründen notwendig sein, um einen Anspruch auf Übernahme der Kosten zu begründen. Versicherte können dabei zwischen den für die vertragsärztliche Versorgung zugelassenen, näher im Gesetz bezeichneten Leistungserbringern frei wählen (§ 76 Abs 1 S 1 SGB V). Nimmt der Versicherte allerdings ohne zwingenden Grund einen anderen als einen der „nächsterreichbaren an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte, Einrichtungen oder medizinische Versorgungszentren“ (im Folgenden: Leistungserbringer) in Anspruch, hat er die Mehrkosten zu tragen (§ 76 Abs 2 SGB V). Dem entspricht ein zweistufiges Prüfverfahren: Zunächst sind die tatsächlich räumlich nächsterreichbaren Leistungserbringer – unter Berücksichtigung des gebotenen „Facharztstandards“ der Fachgebietsgruppe – festzustellen. Spricht ein zwingender Grund für die Inanspruchnahme eines anderen Leistungserbringers als des räumlich nächsterreichbaren, ist der dann räumlich nächsterreichbare Leistungserbringer unter den verbleibenden Leistungserbringern festzustellen, gegen dessen Inanspruchnahme kein zwingender Grund besteht. Das ist der „im Rechtssinne nächsterreichbare“ Leistungserbringer (vgl dazu Bundessozialgericht, Urteil vom 08. September 2015 – B 1 KR 27/14 R, RdNr 11).

Der „tatsächlich räumlich nächsterreichbare“ Leistungserbringer ist anhand der Entfernung vom Ausgangs- zum Zielort nach der kürzesten Wegstreckendistanz zu bestimmen. Maßgeblich ist dabei die Entfernung zwischen dem durch die äußeren Umstände vorgegebenen Ausgangsort des Versicherten – hier die Wohnung der Klägerin – und dem Ort, an dem der geeignete Leistungserbringer behandelt. Soweit sich ein oder mehrere weitere Leistungserbringer genau auf dem so bestimmten Radius um den Ausgangsort befinden, sind sie alle nächsterreichbar. Nur mindestens ein zwingender Grund lässt die Inanspruchnahme eines anderen Leistungserbringers zu. Dies folgt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der die Kammer folgt, weil sie sie für überzeugend hält, nicht nur aus dem Wortlaut, sondern auch aus Entstehungsgeschichte, Regelungssystem und Regelungszweck (vgl zu den Einzelheiten Bundessozialgericht, Urteil vom 08. September 2015 – B 1 KR 27/14 R, RdNr 12 ff).

cc) Die Vertragsärzte, die die Klägerin auswählte, sind in diesem Sinne keine tatsächlich räumlich nächsterreichbaren Leistungserbringer. Die Entfernung ihres Praxissitzes von der Wohnung der Klägerin übersteigt die Entfernung der von der Beklagten benannten „nächsterreichbaren“ Leistungserbringer.

aaa) Die Beklagte verneinte rechtmäßig einen zwingenden Grund dafür, dass die Klägerin die von ihr benannten Vertragsärzte mit einem weiter entfernt gelegenem Praxissitz in Anspruch nimmt. Der in § 60 Abs 1 S 1 SGB V und in § 76 Abs 2 SGB V wurzelnde Begriff „zwingende Gründe“ ist bewusst wertungsoffen gefasst, was einer abschließenden, umfassenden Definition entgegensteht. Nach dem Regelungszusammenhang müssen die Fahrten im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse aus zwingenden medizinischen Gründen notwendig sein, um einen Anspruch auf Übernahme der Kosten zu begründen (§ 60 Abs 1 S 1 SGB V). Diese Vorgabe lässt es – zweckgerecht – zu, hierbei zwingende Gründe im Sinne von § 76 Abs 2 SGB V einzubeziehen. Welche zwingenden medizinischen Gründe einen Anspruch auf Kostenübernahme von Fahrkosten bei ambulanter Behandlung ausnahmsweise rechtfertigen, hat der GBA ermächtigungskonform in § 8 Krankentransport-Richtlinien konkretisiert. Diese Grundvoraussetzungen geben kaum Anlass, einen anderen als den nächsterreichbaren Arzt in Anspruch zu nehmen. Sie lassen es zu, die Wertungen des § 60 Abs 1 S 1 SGB V durch weitere zwingende Gründe im Sinne von § 76 Abs 2 SGB V zu ergänzen. Diese wurzeln regelmäßig in der Behandlungsebene, etwa wenn ein besonderer Behandlungsbedarf die Inanspruchnahme eines weiter entfernt praktizierenden Arztes zwingend erfordert. Ein besonderes Vertrauensverhältnis, das sich aus positiven Erfahrungen in der Vergangenheit speist, genügt hierfür in aller Regel nicht. Spezielle Kenntnisse oder Fähigkeiten eines Arztes können erst dann eine Inanspruchnahme zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung rechtfertigen, wenn sie sich in einem besonderen, vom räumlich nächsterreichbaren Arzt nicht oder nicht ausreichend vorgehaltenen Leistungsangebot niederschlagen, das nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse Teil einer zweckmäßigen medizinischen Behandlung der betreffenden Krankheit ist (vgl dazu Bundessozialgericht, Urteil vom 08. September 2015 – B 1 KR 27/14 R, RdNr 19 mwN).

Ausnahmsweise können aber insbesondere nicht vom Versicherten provozierte, objektiv fundierte, besonders schwerwiegende Störungen des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient ausreichen, wenn sie sich nach außen manifestiert haben, den Behandlungserfolg gefährden und dem Versicherten deshalb die Inanspruchnahme des Arztes unzumutbar machen, um zwingende Gründe für die Inanspruchnahme eines anderen Leistungserbringers zu bejahen. So liegt es namentlich bei nachgewiesenen oder mit erheblichen Verdachtsgründen untermauerten vermuteten schwerwiegenden Behandlungsfehlern. Der Begriff der „zwingenden Gründe“ ist bewusst eng gefasst, um eine allgemeine Härteklausel auszuschließen. Bei der gebotenen restriktiven Auslegung kommen hierfür nur solche Umstände in Betracht, die in ihrer Wertigkeit zwingenden medizinischen Gründen entsprechen (vgl dazu Bundessozialgericht, Urteil vom 08. September 2015 – B 1 KR 27/14 R, RdNr 20).

bbb) Nach Auffassung der Kammer streiten indes keine zwingenden Gründe im dargelegten Sinne zugunsten der Klägerin. So hat die Klägerin nicht einmal selbst konkret behauptet, dass die tatsächlich räumlich nächsterreichbaren Leistungserbringer Behandlungsfehler begangen haben, die eine Behandlung für die Klägerin unzumutbar machen könnten. Soweit die Klägerin pauschal eingewandt hat, die von der Beklagten benannten nächsterreichbaren Leistungserbringer verfügten nicht über die erforderliche Kompetenz oder die erforderlichen „Gerätschaften“, um sie zu behandeln, fehlt hierfür angesichts der von dem Gericht eingeholten Auskunft des Chefarztes der Klinik für Neurologie der Ruppiner Kliniken GmbH – Dr. med. T. J. Müller – vom 06. Januar 2021 jeder Anhaltspunkt. Vielmehr hat dieser im Gegenteil ausdrücklich darauf hingewiesen, dass dort grundsätzlich Patientinnen und Patienten mit primärem Parkinsonsyndrom mit mäßiger bis schwerer Beeinträchtigung – wie die Klägerin – behandelt würden. Darüber hinaus hat er darauf hingewiesen, dass jede Fachärztin und jeder Facharzt für Neurologie in der Lage sei, derartige Patientinnen oder Patienten zu behandeln. Soweit er ergänzend darauf aufmerksam gemacht hat, dass sich aber je nach Schwere der Erkrankung eine stationäre Behandlung anbieten könne, ist dies hinsichtlich der Klägerin, die bei den von ihr gewählten Leistungserbringern auch nur ambulant behandelt wird, für die vorliegende Fallgestaltung unerheblich.

Weil schließlich auch sonst keine Gründe ersichtlich sind, die die dargelegten Voraussetzungen eines zwingenden Grundes erfüllen, insbesondere genügt hierfür auch kein über die Jahre gewachsenes Vertrauensverhältnis oder etwas kürzere Wartezeiten auf einen Termin (vgl dazu Bundessozialgericht, Urteil vom 08. September 2015 – B 1 KR 27/14 R, RdNr 22), hat die Klägerin die ihr entstandenen Mehrkosten selbst zu tragen.

5. Wenn danach die Anfechtungsklagen unbegründet sind, sind auch die mit ihr kombinierten Leistungsklagen im Sinne des § 54 Abs 4 SGG iVm § 56 SGG unbegründet, weil in Verfahren der vorliegenden Art zulässige und begründete Leistungsklagen wegen des der Kombination immanenten Stufenverhältnisses ihrerseits zulässige und begründete Anfechtungsklagen voraussetzen und weil der Klägerin der geltend gemachte Anspruch auf höhere Kostenerstattung – wie aufgezeigt – nicht zusteht.

6. a) Die Kostenentscheidung folgt aus § 105 Abs 1 S 3 SGG iVm § 193 Abs 1 S 1 SGG. Es entsprach dabei der Billigkeit, dass die Beteiligten insgesamt einander keine notwendigen außergerichtlichen Kosten des sozialgerichtlichen Verfahrens, welches das Vorverfahren einschließt, zu erstatten haben, weil die Klägerin mit ihren Begehren im Klageverfahren vollumfänglich unterlegen ist.

b) Die Aufwendungen der Beklagten sind schon von Gesetzes wegen nicht erstattungsfähig (vgl § 105 Abs 1 S 3 SGG iVm § 193 Abs 4 SGG iVm § 184 Abs 1 SGG).

7. Gerichtskosten werden in Verfahren der vorliegenden Art nicht erhoben (§ 105 Abs 1 S 3 SGG iVm § 183 S 1 SGG).