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Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 5. Oktober 2020 wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 15.000 Euro festgesetzt.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
21. Die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegen nach den insoweit maßgeblichen Darlegungen der Klägerin (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) nicht vor. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit eines Urteils bestehen dann, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung der angegriffenen Entscheidung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird.
3Vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Juli 2020 - 1 BvR 561/19 -, juris, Rn. 16.
4Das ist hier nicht der Fall.
5a) Erfolglos rügt die Klägerin, das Verwaltungsgericht sei fehlerhaft davon ausgegangen, dass maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufs der Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung Hebamme der Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung gewesen sei. Richtigerweise sei abzustellen auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
6In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts,
7vgl. Urteile vom 28. April 2010 - 3 C 22.09 -, juris, Rn. 10f., vom 16. September 1997 - 3 C 12.95 -, juris, Rn. 25, und vom 27. April 1990 - 8 C 87.88 -, juris, Rn. 12, sowie Beschlüsse vom 18. August 2011 ‑ 3 B 6.11 -, juris, Rn. 9, und vom 30. September 2005 - 6 B 51.05 -, juris, Rn. 5,
8der der Senat folgt, ist geklärt, dass für die Anfechtungsklage - um eine solche handelt es sich hier - im Allgemeinen auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung abzustellen ist, es sei denn, das materielle Recht regelt etwas Abweichendes. Letzteres trifft auf das Hebammengesetz in der bis zum 31. Dezember 2019 geltenden Fassung (HebG a.F) bzw. auf das seit dem 1. Januar 2020 geltende Gesetz über das Studium und den Beruf von Hebammen vom 22. November 2019 (BGBl. I 2019, 1759) nicht zu. Insoweit gilt für den Widerruf einer Erlaubnis zum Führen der Bezeichnung Hebamme wegen des Wegfalls der erforderlichen Zuverlässigkeit (vgl. § 7 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 5 Abs. 2 Nr. 2 HebG n.F., § 3 Abs. 2 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 2 HebG a.F.) nichts anderes als für das Berufsrecht der Ärzte und der sonstigen Heilberufe.
9Vgl. BVerwG, Urteil vom 28. April 2010 - 3 C 22.09 -, juris, Rn. 10f.; BayVGH, Beschluss vom 21. Januar 2020 - 21 C 19.439 -, juris, Rn. 15 f.; Nds. OVG, Beschluss vom 18. Januar 2017 - 8 LA 162/16 -, juris, Rn. 18.
10Anders als die Klägerin unter Berufung auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Göttingen vom 29. April 2015 - 1 A 43/14 -, juris, Rn. 18, vorträgt, folgt aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht, dass Veränderungen bis zur letzten Entscheidung des Tatsachengerichts zu berücksichtigen sind.
11Vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. August 2011 - 3 B 6.11 -, juris, Rn. 9, für den Widerruf einer Approbation.
12Dem mit dem Widerruf der Erlaubnis bewirkten Eingriff in die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) ist bereits bei der Auslegung des Begriffs der Unzuverlässigkeit Rechnung zu tragen. So ist der Widerruf im Lichte des Art. 12 Abs. 1 GG aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nur dann gerechtfertigt, wenn der mit der Maßnahme bezweckten Abwehr von Gefahren für das Gemeinwohl ein Gewicht zukommt, das in einem angemessenen Verhältnis zu der Schwere des damit verbundenen Grundrechtseingriffs steht. Darüber hinaus ist dem Verhältnismäßigkeitsgebot genügt, weil das Gesetz die Möglichkeit eröffnet, einen Antrag auf Wiedererteilung der Erlaubnis zu stellen. Ein solches Verfahren ist in dem Berufsrecht der Hebammen zwar nicht ausdrücklich vorgesehen, ergibt sich aber ohne weiteres aus dem Umstand, dass bei Wiedervorliegen der Voraussetzungen ein Anspruch auf erneute Zuerkennung der Erlaubnis besteht. In dem Wiedererteilungsverfahren sind im Rahmen einer Gesamtbetrachtung Art und Schwere des Fehlverhaltens, aber auch der zeitliche Abstand zu den die Unzuverlässigkeit begründenden Verfehlungen sowie alle Umstände, die nach Abschluss des behördlichen Widerrufsverfahrens eingetreten sind, zu berücksichtigen. Allein der Umstand, dass das Hebammengesetz keine Möglichkeiten vorsieht, sich nach einem erfolgten Widerruf im Beruf zu bewähren, gebietet es vor diesem Hintergrund nicht, auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht abzustellen.
13Vgl. BayVGH, Beschluss vom 17. Juni 2020 - 21 ZB 18.1807 -, juris, Rn. 16f.
14b) Das Zulassungsvorbringen begründet weiter keine ernstlichen Zweifel an der Annahme des Verwaltungsgerichts, der Klägerin habe es an der erforderlichen Zuverlässigkeit zur Ausübung des Berufs als Hebamme gefehlt (§ 3 Abs. 2 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 2 HebG a.F.), weil die bezogen auf den Zeitpunkt des Bescheiderlasses am 26. Juni 2019 zu treffende Prognose nicht die Annahme rechtfertigte, die Klägerin sei nach den gesamten Umständen des Falles willens oder in der Lage, künftig ihre beruflichen Pflichten zuverlässig zu erfüllen.
15aa) Durchgreifende Fehler hinsichtlich des vom Verwaltungsgericht zu Grunde gelegten Sachverhalts zeigt die Klägerin nicht auf. Zu dem bereits erstinstanzlich erfolgten Vortrag der Klägerin, sie habe keine Betäubungsmittel konsumiert, ihr könne nur eine unzureichende Dokumentation der Entnahme vorgeworfen werden, zudem habe es sich nur um ein einmaliges Fehlverhalten gehandelt, hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, der Beklagte habe sich in tatsächlicher Hinsicht auf die Ausführungen in dem gegen die Klägerin gerichteten rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts J. vom 18. Dezember 2017 stützen dürfen, der sich die Feststellungen in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft I. vom 12. Oktober 2017 zu eigen gemacht habe. Gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Feststellungen bestünden nicht. Ausgehend hiervon sei davon auszugehen, dass sich die Klägerin während ihrer Tätigkeit als Hebamme im C. -Krankenhaus in J. in der Zeit vom 1. Januar 2015 bis zum 27. Juli 2016 in 85 Fällen unter der falschen Behauptung, das Medikament sei ärztlich für eine Patientin verordnet worden, das dem Betäubungsmittelgesetz unterliegende Medikament Q. aushändigen ließ und dies selbst konsumiert habe (UA Bl. 10f.).
16Diesen Ausführungen setzt die Klägerin mit ihrem Zulassungsvorbringen nichts Durchgreifendes entgegen. Umstände, die eine Unrichtigkeit der im Strafbefehl zugrunde gelegten Feststellungen belegen könnten, hat sie mit ihrer pauschalen Behauptung, die Feststellungen seien fehlerhaft, nicht aufgezeigt. Soweit die Klägerin mit Hinweis auf die fünfjährige Tilgungsfrist des § 46 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) BZRG meinen sollte, der abgeurteilte Sachverhalt dürfe dem Widerruf nicht mehr zu Grunde gelegt werden, verfängt dies nicht. Im Zeitpunkt des Bescheiderlasses war eine fünfjährige Tilgungsfrist noch nicht abgelaufen. Die wiederholte Behauptung der Klägerin, sie habe sich nichts zu Schulden kommen lassen, sondern lediglich die Entnahme der Medikamente unrichtig dokumentiert, erklärt im Übrigen nicht den Verbleib der Opiate. Nach den Zeugenaussagen im Strafverfahren wurde das Medikament Q. nicht an Patientinnen verabreicht, da diese zu entsprechenden Zeitpunkten noch schwanger waren und die Gabe des Opiats kontraindiziert war bzw. entsprechende Patientinnen nicht von der Klägerin betreut wurden, zudem hatte die Klägerin unter Verweis auf persönliche Probleme gegenüber Zeugen den Eigenkonsum zugegeben (Bl. 2f., 19, 21ff., 82ff. der sich in Kopie in den Verwaltungsvorgängen befindlichen Strafakte des Amtsgerichts J. ).
17bb) Das Verwaltungsgericht ist weiter zutreffend davon ausgegangen, dass aus den im Strafbefehl zugrunde gelegten Taten die Unzuverlässigkeit der Klägerin zur Ausübung ihres Berufs folgt, weil sie in zahlreichen Fällen über einen längeren Zeitraum in schwerwiegender Weise gegen ihre Pflichten im Umgang mit Medikamenten, die dem Betäubungsmittelgesetz unterliegen, verstoßen habe. Für die Annahme der Unzuverlässigkeit war aus Sicht des Verwaltungsgerichts unerheblich, ob sie die Medikamente selbst konsumiert oder anderweitig verwendet hat (UA Bl. 12). Aus Sicht des Verwaltungsgerichts wurde die vom Beklagten bei Bescheiderlass getroffene Prognose, die Klägerin werde auch zukünftig ihre Berufspflichten nicht umfassend erfüllen, dadurch erhärtet, dass sie gegenüber Arbeitskollegen und in medizinischen Unterlagen unwahre Angaben gemacht hatte, um an Betäubungsmittel zu gelangen, und gegenüber der Verwaltungsbehörde einen manipulierten Laborbericht vorgelegt hatte (UA Bl. 12). Hierzu verhält sich der Zulassungsantrag nicht in der gebotenen Weise. Die diesbezügliche Angabe der Klägerin, sie habe den manipulierten Laborbericht nicht vorgelegt, um eine Drogenfreiheit vorzutäuschen, sondern aus Angst und Verzweiflung, ihre Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung zu verlieren, mag ihr Verhalten zwar erklären, bestätigt aber, dass die Klägerin bereit war, die Behörden zu täuschen, um nicht die Verantwortung für ihr Fehlverhalten tragen zu müssen. Anders als die Klägerin meint, relativiert der Umstand, dass sie bereits 48 Jahre alt ist, die Schwere ihrer beruflichen Verfehlungen nicht.
18Entgegen der Auffassung der Klägerin hat sie in dem im Widerrufsverfahren maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (s.o. zu 1. a)) ihre berufsrechtliche Zuverlässigkeit auch nicht durch ihre fortwährende Erwerbstätigkeit in weiteren Krankenhäusern wiedererlangt. Auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts (UA Bl. 12f.) wird Bezug genommen.
192. Die Berufung ist schließlich auch nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Die von der Klägerin für grundsätzlich klärungsbedürftig gehaltene Frage, auf welchen Zeitpunkt bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage im Rahmen der Prognoseentscheidung abzustellen ist, ist, wie aus den Ausführungen zu 1. a) folgt, bereits geklärt. Einen darüber hinausgehenden Klärungsbedarf zeigt die Klägerin nicht auf.
20Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG.
21Der Beschluss ist unanfechtbar.