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Was war. Was wird. Die Fappening-Edition.

"Märchenfraktion". Tja. Was bleibt, ist ein schöner Text. Aber keine Information. Hal Faber geht weiter.

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Märchen, Bücher, Buch

(Bild: tomertu / shutterstock.com)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Das Fest der Liebe – und der Familie – steht vor der Tür. Ehe dieses Türchen geöffnet wird, befasst sich Hal Fabritius mit dem fappenden Journalismus.

*** Das hier, liebe Leserinnen und Leser, ist eine Nachricht, geschrieben von Gerald Himmelein von der c't-Redaktion. Ein Hacker wird verurteilt. Welche Strafe er bekommt, wie er vorgegangen ist und warum das Strafmaß so hoch ist, wird in der Nachricht erwähnt. Das war's. Von den Heise-Foristen wurde noch das Strafmaß diskutiert und auch die Frage, ob es wirklich ein "Hack" ist, wenn jemand die Funktion "Kennwort vergessen" nutzt, um ein Webmail-Konto zu knacken. Das war es dann.

*** Das hier ist ein ausführlicher Bericht über das Vorgehen des Hackers, geschrieben von Nate Anderson. Es wird deutlich, wieviel Energie der Hacker Christopher Chaney in seine Angriffe auf Mailkonten von Prominenten steckte und dass die "dunkle Unterwelt" des Web alles andere als dunkel ist. Gerade die Glitzerwelt der Hollywood-Promis ist für den Angriffsvektor "Social Engineering" anfällig, da viele "private" Details eben nicht privat sind und mit etwas Recherche die notwendigen Fakten und Namen gefunden werden können.

*** Das hier ist großer deutscher Journalismus. "Der Mann, der Hollywood in Angst versetzte", ist der Hacker Christopher Chaney. Angeblich hat Claas Relotius den Hacker mit der Häftlingsnummer 814 an fünf Tagen im Gefängnis besucht und im Besuchertrakt 5 mit ihm gesprochen. Danach schrieb er "mit beispielloser Leichtigkeit, Dichte und Relevanz" eine große Reportage über den Mann, dessen Augenhöhlen graue Abgründe sind, in denen es funkelt, wenn er von seinen Hacks erzählt. Und so geht das journalistische Fappening munter weiter, bis hin zu dem Unsinn, dass sich das andere Fappening mit den von Chaney erbeuteten Bildern an schwer erreichbare dunklen Unterwelt-Orten wie 4Chan abspielte. Das Ganze garniert mit feinfühliger deutscher Küchenpsychologie: "Es war auch die Leere in seinem eigenen Leben, die dazu beitrug, dass Chaney sich immer weiter in der Parallelwelt Hollywoods verlor. Er selbst hatte nie eine Freundin gehabt, war mit Anfang 30 noch Jungfrau. Auch hatte er nie weite Reisen unternommen, um die Welt zu sehen, oder war je abends ausgegangen."

*** Noch ein Schmankerl, noch eine Jungfrau? Diesmal nicht aus Jacksonville, sondern aus Fergus Falls, diesmal mit der Jungfrau Andrew Bremseth, 27, Stadtangestellter, der niemals das Meer gesehen hat. Ja so ist das Leben "In einer kleinen Stadt", wo es für überheblichen Kolonialismus-Journalismus Reporterpreise gibt: "Ich hatte das Gefühl, dass die Menschen dort froh waren, dass jemand aus Deutschland kam und ihnen zuhört." Kein Wunder, wenn einer wie Tom Kummer Verständnis hat für das journalistische Fappening und über Claas Relotius schreibt: "Grossartiger Autor, der ganz offensichtlich genau verstanden hat, was Journalismus ist und wie man ihm beikommt. Grossartige Reportagen. Ich kann nur nicht verstehen, warum ihm das alles im Nachhinein leid tut oder er sich sogar für "krank" erklärt. Ich lese meine Lieblingsautoren in den Zeitungen ja nicht, weil ich glaube, dass sie mir Fakten erzählen. Sondern weil ich ihren Stil mag, ihre Haltung. Guter Journalismus, der, den man gerne liest, hat mehr mit den Ramones oder David Bowie zu tun als mit Rudolf Augstein." Was für packende Sätze Kummer da im "regen Mailwechsel" raushaut. Oder?

*** Lieber Let's Dance oder Komm Tanz, das singt sich wahrlich besser als "Sagen was ist", wo selbst die Aufklärung über den fappierenden Journalismus gut geschrieben sein muss. Es soll ja Preise geben, da muss dann halt die Märchenfraktion an die Front. Sicher ist schon der nächste ambitionierte Journalist am Fappen, vielleicht eine unheimliche Mord-Geschichte dank kopierter Sprachhypnose mit Hilfe von Alexa, irgendwo in einem abgeschieden gelegenen Hotel, das leer steht und von einen hausmeisternden Schriftsteller bewohnt wird. Oder ein packender Bericht von einer medizinischen Behandlung der Knochenbrüche einer Meeres-Jungfrau, die die Fallhöhe des Urheberrechtes unterschätzte. "Gigantisch, los, hau rein", irgendwer bestimmt schon ruft.

*** Weihnachten, das Fest der Liebe steht draußen vor der Tür, doch für einen hat sich die Tür geschlossen. Der große deutsche Dichter F.W. Bernstein ist gestorben, was überall in den vom Kulturjournalismus betreuten Spalten zu langen Betrachtungen über das Drinnen und Draußen in der Kultur geführt hat. Aber warum? Der Reim muss bleim! Seinen Abschied hat F.W. im "Weinaxgedicht" beschrieben, das muss reichen.

Am Zweiten Weinaxfeiertag,
als ich grad im Schterben lag,
war im Flur ein großer Krach,
und der drang ins Schlafgemach.

Als ich dieses Lärmen hörte,
das mich so beim Schterben schtörte -
ich wäre eine dumme Sau,
schtürbe ich bei dem Radau,
bei so einem Heidenlärm
kann kein Schwein mehr ruhig schterm -

schtand ich auf und ging nach draußen,
sah dort meine Kinder zausen,
schlug ein Hühnerei entzwei,
briet mir draus ein Spiegelei
in der Küche, wo der Krach
nur noch schwach zur Tür reinbrach.

Derart wurd ich abgelenkt
und dem Leben neu geschenkt.
Dankbar aß ich noch ein Ei,
und dann kam der Tod herbei.

*** Auch Wolfgang Pohrt ist tot, was an dieser Stelle natürlich dazu führt, dass wir uns an Kapitalismus forever erinnern und den Satz zitieren, mit dem er als Kritiker des neuen Religionskrieges in Erinnerung bleiben muss. Er ist nach wie vor aktuell, man ersetze nur Bahrein durch ein anderes Land der Region. "Es ist ziemlich blöde, den Moslems Nachhilfeunterricht geben zu wollen, wenn man es nicht mal im eigenen Land schafft, die Ausfuhr von Waffen nach Saudi-Arabien zu verhindern, die von der saudischen Armee bei der Niederschlagung von Aufständen in Bahrain eingesetzt werden können."

Während in den USA der dritte Shutdown des Jahres nach einem Wutanfall Trumps offenbar durchgezogen wird und mal wieder ein letzter Erwachsener die Regierung verlassen hat, bahnt sich hierzulande eine ganz andere große Kinderei an. Etwa 17.000 Menschen verwandeln das öde Leipziger Messezentrum in ein nerdiges La-La-Land, das ganz im Zeichen einer kleinen grünen Rakete und "Refreshing Memories" steht. Erwachsene spielen, während Kinder stempeln gehen, der CCC-Chor probt und ein monströser Fahrplan abgearbeitet wird. Spätestens am zweiten Tag wird es in den leucht-psychedelisch aufgepeppten Hallen zunehmend schwieriger, dieses "Sagen, was ist" durchzuziehen, wenn alle voll unter Sillivaccine stehen. Der Kongress beginnt ganz passend zu Trump mit den US-Wahlen 2020, die der Orangene auf Biegen und Brechen allein mit seinen Anhängern gewinnen will, ohne Hilfe von Putin. Da sind die Wahlmaschinen natürlich von besonderem Interesse.

Die Fairy Dust auf dem 34. Charos Communication Congress in der Messe Leipzig

(Bild: Freddy2001, Lizenz Creative Commons CC BY-SA 3.0 )

Was die deutschen Verhältnisse anbelangt, könnte interessant sein, was CCC-nahe Mitarbeiter von Bundestagsabgeordneten über die Digitalisierung der Politik berichten, in der Faxgeräte immer noch eine große Rolle spielen. Das Ganze muss als Antidot zu den großspurigen Digitalgipfeln und Digitalklausuren der Bundesregierung aufgefasst werden. Auch zu den kleinen Dingen gibt es genug zu hören und zu sehen. In Ergänzung zu dieser fesselnden Reportage gibt es Vorträge zum BAMF und der dort benutzten Hard- und Software. Denn natürlich entscheiden heute Computer über Tod und Leben, nicht die Akhlaq.

Im neuen Jahr geht es munter weiter, wenngleich nicht ganz so anspruchsvoll wie in Leipzig. Die Truppe von Digital, Life, Design, die kurz vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos ("Globalizatzion 4.0") in München mit Facebooks Sheryl Sandberg als Keynote-Star das neue Land von Digitalien feiert, hat sich ganz im Sinne von Claas Relotius für Optimism & Courage als Motto entschieden, bei Ticketpreisen ab 3450 Euro. Weiter geht es dann etwas günstiger im Norden der Republik mit dem Motto Land hat Zukunft. Digital., was manche an eine Bundeswehrkampagne erinnert. "Der echte Norden", das war einmal. (jk)