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Sascha Lobo

Trumps Pressekonferenz Lehrstunde in Nazi-Verharmlosung

Nach dem Attentat in Charlottesville bedient sich Donald Trump der gängigen Diskussionstricks der Neonazis. So, wie der amerikanische Präsident in seiner Pressekonferenz sprach, wird im Internet schon lange argumentiert.
Donald Trump

Donald Trump

Foto: Pablo Martinez Monsivais/ AP

"Es gab einige sehr gute Leute, auf beiden Seiten." Man muss dieses Zitat der Pressekonferenz von Donald Trump über die Demonstration "Unite the right" in Charlottesville in den richtigen Kontext setzen. Dafür reicht in diesem Fall ein Bild:

Dieses Foto reicht aus, weil es nicht allein steht, sondern ein treffendes Symbol ist. Für die Vielzahl von Armen, die zum Hitlergruß hochgereckt wurden, für die antisemitischen Aufrufe und Gesänge , für die offene, hasserfüllte Gewalt wie dem terroristischen Angriff auf die Gegendemonstranten. Unter dem Motto "Unite the right", das auch das Verhalten der gesamten Gruppe zusammenfasst: keine Einzelfälle, sondern gemeinsame Basis. Man kann kein treffenderes Wort für diese Leute finden als "Neonazis".

Lange vor der US-Wahl entdeckte ich einen damals noch witzigen Tweet. Er lautete: "Trump ist, als würde sich die Kommentarspalte im Internet in einen Menschen verwandeln und als Präsident kandidieren." Inzwischen ist die Dimension dieses Vergleichs erkennbar.

Denn bei der Pressekonferenz zu den Ereignissen von Charlottesville verwendete Trump exakt die Kommunikationsmuster, mit denen die "Alt Right" (ein Euphemismus für Rechtsextremisten und Neonazis) seit langer Zeit im Netz operiert. Natürlich verbergen sich dahinter wiederum oft uralte Diskussionstricks, von altgriechischer Rhetorik bis zu Schopenhauers Eristik . Aber ob als Strategie oder aus einem Gespür heraus: Donald Trump hat die debattengestählte Online-Kommunikation der "Alt Right" in eine Pressekonferenz verwandelt .

"Sie können es nennen, wie Sie wollen"

Es beginnt mit der Antwort auf die Frage, weshalb er so lange mit einem klaren Statement gewartet habe. Trump antwortet: "Ich habe nicht lange gewartet… [...] Es dauert seine Zeit, um die Fakten zu bekommen. Sie kennen noch immer nicht die Fakten. …[...] Ganz ehrlich, die Leute wissen immer noch nicht alle Fakten."

Es ist ein wiederkehrendes Muster in Netzdiskussionen, zu erklären, man kenne ja nicht alle Fakten. Damit wird impliziert, man könne noch nicht abschließend urteilen. Das hört sich zwar logisch an - aber ist doch ein Trick, denn es geht selten um "alle Fakten". Es geht um das Wesentliche, und das konnte man sehr wohl erkennen, ohne um jedes Detail zu wissen.

Auf diese Weise wird ein Argument der rationalen Herangehensweise ins Gegenteil verkehrt. Denn natürlich braucht man Fakten, um urteilen zu können. Aber wer wie Trump angesichts von Eindeutigkeiten wie Hakenkreuzfahnen, Hitlergrüßen und Judenvernichtungsfantasien  immer noch erklärt, man kenne ja nicht alle Fakten - der will verschleiern und in der Öffentlichkeit Zweifel säen.

Auf die Frage: "War das Terrorismus?", antwortet Trump: "Sie können es Terrorismus nennen, sie können es Mord nennen, Sie können es nennen, wie Sie wollen. … [...] man stößt da an juristische Wortbedeutungen. Der Fahrer des Wagens ist ein Mörder." In dieser kurzen Passage sind gleich zwei Botschaften versteckt, die den Neonazis der "Alt Right" hervorragend in den Kram passen. Es "…nennen, wie Sie wollen" ist mehr als eine flapsige Anmerkung. Mit diesen Worten macht er das terroristische Attentat letztlich zu einer eher persönlichen Definitionsfrage.

Trump öffnet damit in einem Nebensatz die Tür für andere Deutungen, die im Netz von den Neonazis bereits verbreitet werden: Es habe sich um einen Akt des Widerstands gehandelt. Eben noch sprach Trump von juristischer Uneindeutigkeit, jetzt schon bezeichnet er den Fahrer als "Mörder". Der Grund: Ein Mörder handelt in der Regel allein, aber terroristische Taten beinhalten per Definition eine Mitschuld des Umfelds. Auf diese Weise spricht Trump die Neonazis von "Alt Right" frei und vereinzelt den Täter.

Die entsprechende Strategie ist von rechten Kommentatoren im Netz häufiger zu beobachten: Etwa wird bei islamistischen Mordanschlägen grundsätzlich eine Mitschuld sämtlicher Muslime unterstellt - während rechtsextremer Terrorismus stets von irgendwie fehlgeleiteten oder zeitweise nicht ganz zurechnungsfähigen Einzelpersonen verübt wird. So ist die eine Seite immer mitverantwortlich und die andere Seite niemals.

Ein Standardtrick der Online-Kommunikation

Auf die Frage nach der von Senator John McCain genannten "Alt-Right-Gruppe" in Verbindung mit der Gewalt in Charlottesville würdigt Trump zunächst McCain herab. Dann sagt er: "Wenn Sie sagen 'Alt Right' - definieren Sie 'Alt Right' für mich". Trump weiß genau, was "Alt Right" ist, mit Steve Bannon hat er die mächtigste Figur des neonazistischen "Alt Right"-Umfelds ins Weiße Haus geholt. Aber hier tut er, als sei das alles diffus, als könne man es nicht genau sagen, als gäbe es da ja ohnehin Definitionsschwierigkeiten. Auf diese Weise macht er die Gruppierung weniger greifbar, sie ist damit schwieriger zur Verantwortung zu ziehen. Eine weitere Parallele zur Netzkommunikation der Neonazis von "Alt Right".

Denn auch dort bleibt der Begriff oft unscharf - aber nicht immer. Überall dort, wo es der Gruppierung selbst passt, wird sie als gut organisierte Struktur von Aktivisten verkauft. Und dort, wo die Neonazis Probleme bekommen, wird die diffuse Unschärfe, die Schwierigkeit der Definition hervorgehoben. Exakt, wie Trump es in der Pressekonferenz tut.

Als Trump durch die lautstarken Fragen der Journalisten nach der Gewalt der Neonazis von "Alt Right" stärker unter Druck gerät, sagt er: "Was ist mit der 'Alt Left'? [...]… Haben sie eine gewisse Schuld? …[...] Ich glaube, sie haben." Damit greift er zu einem der wichtigsten Standardtricks der Online-Kommunikation, insbesondere auch von "Alt Right" verwendet: Whataboutism .

Im Video: Donald Trump verteidigt Rechtsextremisten

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Diese amerikanische Wortschöpfung lässt sich grob übersetzen mit "Aberwasistmit-mus". Bei jeder Frage zu Taten, Schuld, Verantwortung wird eine Gegenfrage gestellt: Aber was ist mit der anderen Seite? Den hungernden Kindern in Afrika? Den vielen Toten des Ersten Weltkriegs? Auf diese Weise packt man den Gegner vermeintlich bei den eigenen moralischen Maßstäben, tatsächlich handelt es sich um eine reine Ablenkungsstrategie, mit der unangenehme Fragen aus dem Fokus gedrängt werden sollen. So schützt man diejenigen, bei denen gerade kein Argument zu ihrem Vorteil erkennbar ist.

Dabei ist die offensive Erwähnung von "Alt Left" kein Zufall. Trump konstruiert so als Gegner nicht etwa diejenigen, die als Zivilgesellschaft gegen Neonazis protestieren - sondern eine ähnliche Splittergruppe mit ähnlichem Namen. Auf diese Weise tut Trump, als sei in Charlottesville gar nicht "Alt Right" gegen die normale amerikanische Bevölkerung aufgetreten - sondern rechte Aktivisten gegen linke Aktivisten.

Ganz ähnlich tun die Neonazis von "Alt Right" schon so, als seien nicht normale Bürgerinnen und Bürger gegen sie, sondern nur komische Linksradikale. In einem so groben wie bitteren amerikanischen Witz wird die Gefährlichkeit dieser Verschiebung deutlich:

- Neonazi: "Tötet alle Juden!"

- Gegendemonstrant: "Nein!"

- Ein Zuschauer: "Das sind also Extrempositionen, jetzt sollten wir einen Kompromiss finden."

Die Strategie der Neonazis von "Alt Right" ist, die Ablehnung ihrer extremistischen, menschenfeindlichen Positionen als ebenfalls extremistisch darzustellen. Und Trump bedient mit seiner "Alt Right"/"Alt Left"-Gegenüberstellung genau diese Erzählung.

Trump sagt: "Es gab eine Gruppe auf der einen Seite, die war schlecht, und es gab eine Gruppe auf der anderen Seite, die war auch sehr gewalttätig, und niemand will das sagen, aber ich sage es jetzt." Trump betont im Verlauf der Pressekonferenz die Gewalttätigkeit der "Alt Left", während er die rechtsextremistischen Demonstranten eher in Schutz nimmt: Es habe dort auch "bad people" gegeben, aber die meisten hätten "unschuldig protestiert" und seien "fine people". Dieses Diskussionsmuster gehört zu den boshaftesten, denn völlig unabhängig von eventueller Gewalt durch Gegendemonstranten gab es ein Mordattentat durch die Rechtsextremen auf eine friedlich protestierende Frau.

Wenn man diesen essenziellen Niveau-Unterschied verschweigt, ist das eine absichtsvolle Verharmlosung eines terroristischen Mordes. Abgesehen von der Formulierung "niemand will das sagen, aber ich sage es jetzt" - die geradezu klassisch rechte Inszenierung eines vorgeblichen Tabubruchs, des Aussprechens einer von allen verschwiegenen Wahrheit. Dann steigert er die Schuldverteilung noch: "Es gab eine Gruppe auf der einen Seite, Sie können sie 'die Linken' nennen [...], die kam und griff die andere Gruppe gewalttätig an." Damit verschiebt Trump die Verantwortung auf die Gegendemonstranten.

Es geht um keine Demonstrationserlaubnis, sondern um Mord

"Es gab auf der anderen Seite eine Gruppe, die kam angreifend dazu, ohne Demonstrationserlaubnis, und die waren sehr, sehr gewalttätig. [...]… Es gab eine Menge Leute in dieser Gruppe [die "Unite the right"-Demo], die waren da, um unschuldig zu protestieren und sehr legal zu protestieren. [...] Sie hatten eine Erlaubnis, die andere Gruppe hatte keine Erlaubnis …[...] ein schrecklicher Moment für unser Land."

Der Eindruck, den Trump hier erwecken möchte, findet sich in Onlinediskussionen in großer Regelmäßigkeit: Die Betonung der Rechtsstaatlichkeit genau dort, wo sie legitimierend erscheint. Aber es geht in keiner Sekunde um eine Demonstrationserlaubnis, weil ein Mordanschlag stattgefunden hat.

Trump dagegen hebt mehrfach hervor, dass die Neonazi-Demo rechtskonform gewesen sei und die der Gegner nicht. Die Mehrheit der Neonazis mit Fackeln, Hitlergrüßen, antisemitischen Gesängen und einem terroristischen Mord erklärt Trump zu unschuldigen und "sehr legal" Protestierenden, die, Zitat Trump, bloß "gegen die Demontage einer für sie sehr, sehr wichtigen Statue waren". Fast möchte man Mitleid bekommen mit den armen Nazis und der für sie so wichtigen Statue.

Der Präsident der Vereinigten Staaten hat jeden Zweifel an seiner Haltung ausgeräumt und eine Lehrstunde gegeben - in Nazi-Verharmlosung. Aber natürlich nicht ohne einen trumphaften Abschluss: "Ich besitze übrigens eines der größten Weingüter der USA. Es ist in Charlottesville."

Im Video: Trumps Rassismus-Rückwärtsrolle

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