„Hochverrat grüner Politik an geflüchteten Menschen“

Geflüchtete kritisieren Grünen-Migrationspolitik – und treten aus der Partei aus

Tareq Alaows hat mit einer Gruppe anderer Geflüchteter, die Funktionen bei den Grünen hatten, seinen Austritt aus der Partei erklärt.

Tareq Alaows hat mit einer Gruppe anderer Geflüchteter, die Funktionen bei den Grünen hatten, seinen Austritt aus der Partei erklärt.

Sie flohen zwischen 2014 und 2016 aus ihrer Heimat und fanden in Deutschland ein neues Zuhause. Ein Ort, an dem sie sich politisch bei den Grünen einbringen konnten. Damit ist jetzt Schluss: Sechs Grünen-Mitglieder veröffentlichten heute eine Austrittserklärung aus ihrer Partei. Der Grund: die Flüchtlingspolitik und die neuesten Entscheidungen der Ampelregierung im Zuge der EU-Asylentscheidungen. „GEAS war der letzte Nagel im Sarg unserer Parteimitgliedschaft bei den Grünen“, sagt Mouatasem Alrifai dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Er ist Mitglied im Nürnberger Rat für Integration und Zuwanderung und seit Anfang 2021 Grünen-Mitglied.

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Er und seine Mitunterzeichner seien nicht einverstanden mit der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Die grüne Strategie laute: „Wir stimmen in der Ampelregierung dafür, im Europaparlament dagegen und behaupten anschließend, dass wir dagegen waren.“ Die Zustimmung zur Reform des GEAS schaffe das Asylrecht „faktisch ab“, das sogenannte Rückführungsverbesserungsgesetz stelle „einen Hochverrat grüner Politik an geflüchteten Menschen“ dar.

„Wir glaubten an eine offene und gleichberechtigte Gesellschaft“

Er und seine Parteigenossen hätten in den letzten Monaten über verschiedene Kanäle versucht, mit dem Bundesvorstand und Entscheidungsträgerinnen und -trägern innerhalb der Partei in Kontakt zu treten und Impulse einzubringen – laut Alrifai ohne Erfolg. Die Einigung der EU über GEAS sei der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht habe. Der Austritt der Partei habe ihn und seine Kollegen deshalb erleichtert.

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„Wir glaubten an eine offene und gleichberechtigte Gesellschaft, in der wir unabhängig von Herkunft, Religion oder Hautfarbe gemeinsam und mutig unsere Zukunft gestalten können“, sagt Alrifai dem RND. „Die derzeitige Ausrichtung der Partei stellt jedoch ein Hindernis für unsere Bemühungen als Betroffene und die Anstrengungen zahlreicher Ex-Parteikolleg*innen dar, eine menschenwürdige Asylpolitik zu verwirklichen.“

„Die Grünen müssen zu den Grundsätzen ihrer eigenen Partei zurückkehren“

Die Entscheidung der Partei sei nicht nur in der Hinsicht wichtig, dass eventuell Familienmitglieder oder Freundinnen und Freunde betroffen sein könnten, sondern auch, weil er und seine Mitunterzeichner „diese unmenschlichen Maßnahmen nicht tolerieren dürfen“. Auch hätte sich die Partei nicht auf „die flüchtlingsfeindliche Rhetorik einlassen sollen“, weil sie somit der AfD zu mehr Stärke verhelfe. „Die Grünen müssen zu den Grundsätzen ihrer eigenen Partei zurückkehren“, sagt Alrifai.

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Europäisches Asylsystem: Theoretisch gut – praktisch zweifelhaft

Dass sich die EU auf ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem geeinigt hat, ist gut. Ob das System selbst human ist und funktioniert, muss sich aber erst noch zeigen. Zweifel daran sind erlaubt, kommentiert Markus Decker.

Die Unterzeichner der Austrittserklärung stammen aus verschiedenen Landesverbänden. Darunter auch Tareq Alaows, der flüchtlingspolitischer Sprecher bei Pro Asyl ist. Alaows war 2021 von den Grünen in Nordrhein-Westfalen als Kandidat für die Bundestagswahl aufgestellt worden. Später zog er seine Kandidatur zurück. Nach Auskunft eines Parteisprechers hatte es zuvor anonyme Morddrohungen gegen die Familie des Politikers in Syrien für den Fall gegeben, dass Alaows an der Kandidatur festhalte.

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Reform des gemeinsamen Asylsystems

Vertreterinnen und Vertreter der EU-Staaten und des Europaparlaments hatten sich am Mittwoch auf Details einer Reform des gemeinsamen Asylsystems geeinigt. Vorgesehen sind zahlreiche Verschärfungen der bisherigen Regeln. Ziel ist es, die irreguläre Migration einzudämmen.

Die Bundesregierung hatte sich zwar mit einigen Bedenken zu Menschenrechtsfragen mit Bezug auf die geplanten Asylprüfungen an den EU-Außengrenzen nicht durchsetzen können, sich insgesamt aber zufrieden zu dem Kompromiss geäußert. Ebenfalls am Mittwoch hatten sich die Fraktionen von SPD, Grünen und FDP auf Änderungen an zwei Gesetzentwürfen zu beschleunigten Einbürgerungen und Verfahrenserleichterungen bei Abschiebungen geeinigt. Letztere sehen unter anderem eine Verlängerung des Ausreisegewahrsams vor.

Die Grünen äußerten sich auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur bisher nicht.

Mit Agenturmaterial