zum Hauptinhalt

Kultur: Mohammed im Hühnerimbiss

Theatertreffen Berlin: Auch der Stückemarkt feiert Jubiläum – und ist mit 35 Jahren noch auffallend jung geblieben.

Schöne Bescherung. Die Welt geht unter, und kein Baumarkt ist in Sicht. Der freundliche Apokalyptiker mittleren Alters, der im Regencape so unruhig auf und ab wandert, macht sich Sorgen. Er hat im Traum einen göttlichen Auftrag erhalten. Eine Arche soll er zimmern, nach präzisen Maßangaben. Aber der Themenkomplex Sintflut stellt den Auserwählten vor Probleme. Zum Beispiel: Dürfen auch Borkenkäfer an Bord? Und welche Frau soll er zum Zwecke der Weltneubevölkerung mitnehmen? Eine Muslimin, um nicht als Rassist zu gelten? Fragen, die an Dringlichkeit gewinnen. Denn tatsächlich beginnt es, während man auf der zugigen Terrasse im 10. Stock der Endzeit-Rede lauscht und den grauen Himmel über Berlin beargwöhnt, zu regnen. „Das bleibt jetzt so. Für 40 Tage“, prophezeit der Mann zum Abschied.

„Wir werden uns nie wiedersehen“, heißt das zehnminütige Stück von Thomas Jonigk, das mit dem großartigen Andreas Döhler in der Rolle des bauplanlosen Jüngers auf dem Stückemarkt des 50. Theatertreffens zu sehen war.

Der feiert in diesem Jubiläumsjahr seinen 35. Geburtstag. Was die Stückemarkt-Leiterin Christina Zintl und ihr Team auf gleich zwei gute Ideen gebracht hat. Zum einen: als Aufführungsort für die szenischen Lesungen mal nicht die Kassenhalle des Hauses der Berliner Festspiele zu wählen, sondern die coole PanAm-Lounge im Eden-Hochhaus an der Budapester Straße. Eine wunderbar aus der Zeit gefallene Location mit 60er-Jahre-Interieur, wo vormals die Angestellten der amerikanischen Airline den Blick über die geteilte Stadt schweifen lassen konnten. Zum anderen: diesmal nicht die üblichen Schreibschultexte von Newcomern ins Rennen zu schicken, sondern 35 kurze Stücke von namhaften Autorinnen und Autoren verschiedener Generationen zu Gehör zu bringen, deren Karriere mit dem Stückemarkt verbunden ist. Die meisten davon noch unter den Lebenden.

Keine Frage: als Forum für junge Dramatik hat der Stückemarkt Pionierarbeit geleistet. Auch wenn das in Zeiten inflationärer Uraufführungen leicht übersehen wird. Wie Festspiele-Intendant Thomas Oberender, selbst ein Ex-Dramatiker, es auf den Punkt brachte: „Wenn Intendanten gar nichts mehr einfällt, um zu beweisen, wie innovativ und wichtig sie sind, gründen sie einen Stückemarkt.“ Sympathischerweise ist aber auch die Jubiläumsausgabe mit ihrer Spannweite von Herbert Achternbusch über Elfriede Jelinek bis Nis-Momme Stockmann nicht zur blinden Selbstfeier ausgeartet. Der Stückemarkt als Erfolgsbeschleuniger? Oft ja. Manchmal auch nicht.

Der Dramatiker Werner Buhss, ein ostdeutscher Bakunin-Fan in Jackett und Sandalen, erzählte während eines munteren Autorengesprächs vom ganz eigenen Erlebnisweg. Sein Stück „Friedrich Grimm“, 1991 für den Stückemarkt ausgewählt, wurde danach nie aufgeführt. Und warum er nun die Miniatur „Landschaftsbild Lichtenhagen“ zum Jubiläumsjahrgang beigesteuert hat, ist schnell erklärt: „Weil’s ein bisschen Kohle dafür gab.“ Umarmenswert!

Aber keine Sorge. Der Stückemarkt ist auch reich an deutsch-deutschen Erfolgsgeschichten. Besonders in jüngerer Vergangenheit haben hier eine ganze Reihe steiler Theaterkarrieren ihren Anfang genommen: von David Gieselmann, Anja Hilling, Rebekka Kricheldor bis Oliver Kluck. Sie alle haben einen Text zum diesjährigen Motto „Verfall und Untergang der westlichen Zivilisation?“ beigesteuert. Teils in szenischen Lesungen dargeboten (unter anderem von Stephan Kimmig inszeniert), teils an einer der Hörstationen zu erlauschen, die über das PanAm-Penthouse verteilt sind. Darunter sind auch Perlen. Der Rumäne Peca Stefan (Stückemarkt-Beteiligter 2010) nimmt in „Best New Europlay“ pointiert die Gier des Westkünstlers nach authentischem Elendserleben hoch. Vital auch „Zwanzig Mohammed-Witze in zwei Minuten“ von Dirk Laucke, der Fragen von Humorgrenzen in einem Kreuzberger Hühnerimbiss verhandelt.

Den Toten dagegen gehört die Suite. Zwei Stockwerke unter der Lounge hat Hans-Werner Kroesinger in einem Sixties-Apartment ein tolles interaktives Archiv mit Texten von Thomas Brasch, Ernst Jandl und anderen eingerichtet. Hier kann man tief in die Stückemarkt-Historie eintauchen. Sich selbst am Vortrag von Gert Jonkes „Sanftwut oder Der Ohrenmaschinist“ versuchen. Oder einfach auf die nächtlichen Lichter von Charlottenburg herabschauen und Einar Schleef lauschen: „Berlin, ein Meer des Friedens“. Patrick Wildermann

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false