Wie China Gesundheitsplattformen zensiert

Im Reich der Mitte werden wissenschaftliche Debatten zunehmend zu ideologischen Konflikten. Nun hat es eine wichtige Info-Website erwischt.

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(Bild: muhammadtoqeer/Shutterstock.com)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Zeyi Yang
Inhaltsverzeichnis

Wo ist nur DXY hin? Die führende Informationsplattform zum Thema Gesundheit in China ist in den sozialen Medien verstummt. Seit dem 9. August bekommen die 80 Millionen Follower keine neuen Nachrichten. Dahinter steckt der chinesische Staat – beziehungsweise die Internetzensurbehörde. So wurden fünf Weibo-Konten von DXY plötzlich mit der vagen Erklärung gesperrt, sie hätten gegen "einschlägige Gesetze und Vorschriften" verstoßen. Die DXY-Konten auf WeChat und Douyin (dem chinesischen Namen von TikTok) sind zwar noch da, doch es gibt keine frischen Inhalte mehr.

Weder die betroffenen Social-Media-Plattformen noch DXY selbst haben eine öffentliche Erklärung zu den Gründen für die Sperrung abgegeben. "Nikkei Asia" berichtete allerdings, dass die Anordnung aus Regierungskreisen in Peking kam und ohne offizielle Genehmigung von oben nicht mehr aufgehoben werden könne.

Der Zensur gingen Anschuldigungen nationalistischer Blogger voraus, DXY erhalte Gelder aus dem Ausland und verunglimpfe sowohl die traditionelle chinesische Medizin als auch das chinesische Gesundheitssystem. In dieser Szene, die offen von der Regierung unterstützt wird, ist der Jubel nun groß.

DXY war zuvor einer der Spitzenreiter in Chinas digitaler Gesundheits-Start-up-Szene. Es beherbergt die größte Online-Community, die chinesische Ärzte nutzen, um berufliche Themen zu diskutieren und untereinander Kontakte zu knüpfen. Es bietet auch einen medizinischen Nachrichtendienst für die allgemeine Öffentlichkeit und gilt damit als die einflussreichste populärwissenschaftliche Publikation im chinesischen Gesundheitswesen.

"Ich glaube, es gibt niemanden, der diesen Konten [von DXY] nicht folgt, solange er in irgendeiner Weise mit dem medizinischen Beruf zu tun hat", sagt Zhao Yingxi, Forscher im Bereich des globalen Gesundheitssystems und Doktorand an der Universität Oxford. Auch er selbst nutze den WeChat-Kanal von DXY.

In dem zunehmend polarisierten Umfeld der sozialen Medien in China wird das Gesundheitswesen jedoch mittlerweile zur Zielscheibe von Kontroversen. Viele glauben tatsächlich, dass die Sperre mit den Beziehungen zu ausländischen Unternehmen zu tun hat, die DXY pflegte – und seine allgemein kritische Verarbeitung des Bereichs Gesundheitsthemen.

Seit seiner Gründung im Jahr 2000 hat DXY fünf Finanzierungsrunden von prominenten Unternehmen wie Tencent sowie Risikokapitalfirmen erhalten. Doch selbst dieser wirtschaftliche Erfolg hat dem Unternehmen nun Probleme bereitet. Einer der Hauptinvestoren, Trustbridge Partners, sammelte Gelder aus Quellen wie den Stiftungen der Columbia University und der staatlichen Holdinggesellschaft Temasek aus Singapur für DXY ein. Nachdem die Social-Media-Konten der Plattform gesperrt wurden, nutzten Blogger diese Tatsache aus, um ihre Behauptung zu untermauern, dass DXY die ganze Zeit über "unter ausländischem Einfluss" gestanden habe.

Die Sperrung ist auch deshalb so schockierend, weil DXY als eine der vertrauenswürdigsten Online-Quellen für Gesundheitsaufklärung in China gilt. In den ersten Tagen der COVID-19-Pandemie stellte es Fallzahlen zusammen und veröffentlichte eine täglich aktualisierte Datenkarte, die zur wichtigsten Quelle für Chinesen wurde, die sich über die COVID-Trends im Land informieren wollten. DXY machte sich auch einen Namen, indem es mehrere bekannte betrügerische Gesundheitsprodukte in China zu Fall brachte.

Auch vor heiklen Themen schreckten die Macher nicht zurück. So veröffentlichte DXY am Internationalen Tag gegen Homophobie, Transphobie und Bisexuellenphobie im Jahr 2019 die Berichte mehrerer Opfer der sogenannten Konversionstherapien und wies darauf hin, dass diese Praxis nicht durch einen medizinischen Konsens gedeckt wird.

"Der Artikel stellte die Stimmen von Opfern in den Mittelpunkt und machte auch keinen Bogen um die beunruhigende Tatsache, dass die Konversionstherapie [in China] immer noch weit verbreitet ist und sogar von hochrangigen öffentlichen Krankenhäusern und Professoren gefördert wird", sagt Darius Longarino, Senior Fellow am Paul Tsai China Center der Yale Law School.

Mehr über China

Die plötzliche Sperrung der Konten von DXY in den sozialen Medien kam für die Nutzer der Plattform überraschend. "Ich glaube nicht, dass sie etwas Unrechtes getan haben", sagt Zhao. Doch DXY-Gegner suchten schnell nach einer politischen Erklärung. In den sozialen Medien verteidigten einige die Zensur mit der Begründung, DXY habe die Wirksamkeit der traditionellen chinesischen Medizin (TCM) in Frage gestellt.

Im April 2022 veröffentlichte DXY tatsächlich einen Artikel über "Lianhua Qingwen", ein TCM-Produkt, das von der chinesischen Regierung als Mittel zur Behandlung von COVID-19 angepriesen wurde. In dem inzwischen gelöschten Artikel wiesen die DXY-Autoren darauf hin, dass das Medikament nie ordnungsgemäß in einer klinischen Studie getestet wurde, zudem seien einige der Inhaltsstoffe in anderen Ländern verboten.

Der vielgelesene und häufig geteilte Artikel führte dazu, dass der Wert des hinter Lianhua Qingwen stehenden Pharmaunternehmens, Shijiazhuang Yiling Pharmaceutical, an der Börse um 1,05 Milliarden US-Dollar fiel. Für die meisten Fachleute des Gesundheitssektors war der Artikel vernünftig geschrieben und keineswegs umstritten.

Aber er machte DXY zu einer Zielscheibe für TCM-Anhänger. Seitdem wird DXY beschuldigt, mit westlichen Pharmaunternehmen wie Pfizer, das das COVID-19-Mittel Paxlovid herstellt, zusammenzuarbeiten, um die TCM zu diffamieren. TCM-Anhänger feierten die Sperrung der Konten von DXY als Beweis für das Fehlverhalten der Plattform.

Wie in den USA sind auch in China bestimmte Themen aus dem Bereich der öffentlichen Gesundheit stark politisiert, darunter COVID-19. Sich in wissenschaftlichen Debatten in China für eine Seite zu entscheiden, wird oft mit der Wahl einer Seite im ideologischen Kampf zwischen China und dem Westen gleichgesetzt.

Obwohl DXY das prominenteste Beispiel ist, ist es nicht die erste populärwissenschaftliche Publikation, die in China Opfer von Social-Media-Kampagnen geworden ist. Mehrere digitale Wissenschaftspublikationen und Videokanäle wie "Elephant Magazine" und "Paperclip" wurden von nationalistischen Influencern getrollt und ins Visier genommen.

Sie hätten Geld von ausländischen NGOs erhalten und Inhalte veröffentlicht, die China in einem schlechten Licht darstelle, hieß es. Diese Publikationen wurden inzwischen entweder aufgelöst oder verschwanden aus den sozialen Medien, nachdem sie zensiert wurden. Die Fans von DXY befürchten, dass es der Plattform genauso ergehen könnte.

"Dies ist die beste lokale Plattform zur Gesundheitserziehung. Sie hat viel zur Popularisierung der evidenzbasierten Medizin beigetragen", schrieb Wang Zhian, ein chinesischer Journalist, dessen Social-Media-Konten selbst 2019 zensiert wurden, bevor er nach Japan auswanderte, auf Twitter. "Ich hoffe, sie kann überleben."

(jle)