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Gerwald Claus-Brunner, Menschenfreund und Mörder

Vor dem Mord ging er noch zum Kiosk

Der Piratenpolitiker Gerwald Claus-Brunner hatte den Mord an Jan L. offenbar geplant. Das zeigen Aufnahmen einer Überwachungskamera. Gegen die Piratenpartei gibt es zudem neue Vorwürfe.

Quelle: Die Welt

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Einer der bekanntesten Politiker der Piraten hat einen Freund missbraucht, erschlagen und anschließend sich selbst getötet. Manche Partei-Mitglieder fragen sich nun, ob sie mitschuldig daran sind.

In der fünften Etage des Berliner Abgeordnetenhauses landen Ordner, Kalender und Broschüren in Altpapiercontainern. Nachdem die Fraktion der Piraten vor fünf Jahren mit sagenhaften 8,9 Prozent der Stimmen 15 Sitze im Landesparlament erobern konnten, müssen sie nun die Segel streichen. Bei den Wahlen am vergangenen Sonntag bekamen sie noch 1,7 Prozent.

Doch der größte Schock kam für die Piraten erst nach der Wahl. Gerwald Claus-Brunner, einer ihrer bekanntesten Politiker, hat einen Menschen umgebracht. Ob es Mord oder Totschlag war, spielt für die Justiz keine Rolle mehr. Claus-Brunner hat sich umgebracht, die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen eingestellt.

Noch steht der Name des Täters an seinem alten Büro. „Das mussten wir so machen, aus rechtlichen Gründen“, erklärt ein Abgeordneter und betont: „Seit drei Jahren war der politisch nicht mehr in der Fraktion tätig.“ Die Berliner Piraten geben sich im Fall Claus-Brunner einsilbig, wollen nur noch ihre Sachen packen.

Die Tat wurde akribisch geplant

Gerwald Claus-Brunner, ein zwei Meter hoher Hüne mit Palästinenser-Kopftuch, Latzhose, Kette mit Davidstern – war im politischen Betrieb von Berlin nicht zu übersehen. Wie kaum ein anderer demonstrierte der schwule Elektriker, ganz anders sein zu wollen.

Doch in der vergangenen Woche kam heraus, dass er eine tiefdunkle Seite hatte. Er hatte die Tat, deren Motiv wohl verschmähte Liebe war, offenkundig akribisch geplant. Der Pirat kam mit einer Sackkarre zur Wohnung von Jan L. im Berliner Stadtteil Wedding. Vor der Tat kaufte er seelenruhig noch einen Western-Groschenroman in einem Kiosk und checkte Lottozahlen. Danach missbrauchte, würgte und erschlug er den 29-Jährigen. Anschließend befestigte er die Leiche an der Sackkarre und zog sie mit seinem Fahrrad elf Kilometer vom Tatort zu seiner eigenen Wohnung nach Steglitz.

Nachdem er mehrere Tage lang mit seinem Opfer in den gleichen Räumen lebte, nahm sich der Pirat per Stromschlag das Leben. Weitere Details wird wohl das schriftliche Geständnis bringen, das der Täter einem ehemaligen Lebensgefährten geschickt hatte.

Claus-Brunner wollte Menschen zuhören

Man lerne nie aus, sagt ein Ermittler kopfschüttelnd. „Ich habe in all den Jahren so ziemlich alles mitbekommen, was Menschen sich einander antun können. Dieser Fall ist doch wieder auf seine Art ganz einzigartig“, sagt der Beamte. Weil er einem wieder vor Augen führe, dass man nicht in die Seelen von Menschen schauen könne.

Claus-Brunner hatte oft betont, Menschen zuhören zu wollen, um ihnen zu helfen. In der Liebe ist ihm das nicht gelungen. Mehr und mehr wird klar, dass der 44-Jährige in sein späteres Opfer verliebt war.

Viele Details dieser Beziehung sind nicht bekannt, dennoch gibt es einige Fakten. Claus-Brunner nannte den 29-Jährigen „Wuschelkopf“. Und der „Wuschelkopf“ zeigte den Piraten im Juni wegen Stalkings an. Die Liebe muss ihn erdrückt haben. Und dennoch „likte“ er manche Liebesbekundungen seines späteren Mörders im Internet.

Unerwiderte Liebe lässt einen Teufelskreis beginnen

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Für die Kriminalpsychologin Lydia Benecke erscheint der Fall im Gesamtbild ungewöhnlich. Aufgrund der Details, die bisher bekannt sind, könne man laut Benecke bei Claus-Brunner zumindest von einer narzisstischen und emotional instabilen Persönlichkeitsakzentuierung sprechen. Beziehungen würden dann rasch übersteigert und als ultimativ empfunden, Kränkungen und Ablehnung werden im ungünstigsten Fall als unerträglicher Kontrollverlust und existenzielle Bedrohung wahrgenommen. Erwidert das Objekt der Liebe nicht die Beziehungswünsche, könnten Reaktionen bis hin zu Stalkingverhalten die Folge sein – ein Teufelskreis beginnt.

Eine Krisenzuspitzung, wie sie etwa die Anzeige wegen Stalkings ausgelöst haben könnte, schlägt folglich höhere Wellen als bei einem psychisch durchschnittlichen Mensch. Durch den Verlust des politischen Postens brach zusätzlich eine Selbstwertstabilisierung weg. „Instabilität, Klammern, Wut, all das kann in einer emotional aufgeladenen, aggressiven Tat gipfeln“, sagt die Kriminalpsychologin.

Bizarre Einzelheiten im Fall Gerwald Claus-Brunner

Im Fall des toten Piratenpolitikers Gerwald Claus-Brunner gibt es neue bizarre Einzelheiten. Bereits im Sommer soll ihn sein Opfer wegen Stalkings angezeigt haben. Für eine angebliche schwere Krankheit gibt es keine Beweise.

Quelle: Die Welt

Seinen Tod hatte Claus-Brunner angekündigt, auch wenn er nicht von Suizid sprach. Er sei todkrank, berichtete er dem Politiker einer anderen Partei noch vor zwei Monaten – eine Lüge. Zuvor hatte Brunner im Abgeordnetenhaus seinen Tod indirekt angekündigt. Auch für ihn würde man einmal eine Schweigeminute halten.

Für die Piraten ist der Fall eine Katastrophe

Monika Thamm von der Berliner CDU-Fraktion kann sich an diese Aussage genau erinnern kann. „Das fand ich eigenartig. Da habe ich mal mit einem Kollegen gesprochen, in meiner Fraktion. Was ist denn das, habe ich mich gefragt.“ Thamm ist stellvertretende Vorsitzende im Petitionsausschuss, einem der wenigen politischen Gremien, in dem sich Brunner engagiert hat.

Auch wenn die Piraten-Fraktion ihr als chaotische Truppe im Gedächtnis bleiben wird, war Brunner im Petitionsausschuss stets engagiert, habe sich für die Belange eingesetzt, die er vortrug.

Für die Berliner Piraten, die vom Wähler ohnehin abgestraft wurden, ist der Fall eine Katastrophe. Politisch haben sie in den fünf Jahren wenig erreicht, am Ende steht ein menschlicher Abgrund. Und in den sozialen Netzwerken hat unter Parteimitgliedern und ehemaligen Weggefährten Claus-Brunners eine Debatte begonnen, ob es Mitschuldige gibt.

Pathologisches Verhalten wurde hingenommen

Julia Schramm, ehemalige Beisitzerin im Bundesvorstand der Partei, schreibt auf Facebook, bei den Piraten sei pathologisches Verhalten glorifiziert, ignoriert, zumindest aber hingenommen worden. „Wir können dankbar dafür sein, wenn wir lebend und gesund aus diesem Wahnsinn rausgekommen sind.“

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Und Stephan Urbach, ehemaliger Referent im Abgeordnetenhaus und bis 2013 noch Parteimitglied, schreibt über Claus-Brunner auf Twitter: „Schuld sind übrigens die, die ihn seit Jahren gedeckt haben und noch immer decken.“

Für Polizei und Staatsanwaltschaft ist der Fall abgeschlossen. Für die Piraten offenbar noch lange nicht.

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