„Tannhäuser“ in Nowosibirsk : Attacke auf Wagner
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Ein Werk namens „Venusgrotte“: Die Tannhäuser-Inszenierung an der Oper von Nowosibirsk. Bild: Viktor Dmitriev
In der Seifenoper um eine „Tannhäuser“-Inszenierung kämpfen Staatsanwälte, Minister und Kirchenleute gegen Künstler, Freiheit und die Moderne. Es ist aber keine Reality-Show, sondern Russlands Realität.
Nachrichten aus Russland sind meistens düster. An einem Tag wird von politischem Mord berichtet, am nächsten prahlt der russische Präsident im Staatsfernsehen damit, den militärischen Überfall auf die Ukraine höchstpersönlich organisiert und geleitet zu haben, und droht der Welt unverhohlen mit einem nuklearen Schlag. General Motors stellt in Russland die Produktion und den Verkauf von Opel und Chevrolet ein und streicht 16000 Arbeitsstellen. Aber zwischen Rezession und Repressionen muss es doch auch Stoff für gute Nachrichten geben, schließlich geht das Leben weiter, Russland ist eine große Kulturnation und besteht nicht nur aus Putin und seinen Schergen.
Gutes gibt es in der Tat zu berichten. An der Staatsoper von Nowosibirsk, dem wohl wichtigsten Opernhaus Russlands nach dem Moskauer Bolschoi und dem Petersburger Mariinski, wurde Richard Wagners „Tannhäuser“ inszeniert – für die russische Opernwelt ein durchaus großes Ereignis. Wagner ist auf den Opernbühnen Russlands ein seltener Gast. In der Nachkriegssowjetunion gab es gerade mal vier Inszenierungen, und ernstzunehmende Produktionen der postsowjetischen Zeit kann man an einer Hand abzählen. Die Regie in Nowosibirsk führte der viel bejubelte Jungstar Timofej Kuljabin, 30. In seiner Inszenierung ist Heinrich Tannhäuser ein depressiver Filmregisseur, der einen Streifen über die jungen Jahre von Jesus dreht. Sein Werk, das „Venusgrotte“ heißt, wird bei den Wartburger Filmfestspielen vorgestellt und löst einen riesigen Skandal aus; Tannhäuser wird ausgestoßen – so ähnlich wie Lars von Trier in Cannes. Die wenigen Medien, die über die neue „Tannhäuser“-Inszenierung schrieben, bezeichneten sie als das wichtigste Opernereignis der Saison und einen Meilenstein in der russischen Wagner-Wahrnehmung.
Demonstrationen vor dem Opernhaus
Die Premiere fand am 20. Dezember 2014 statt, doch richtig berühmt wurde die Inszenierung erst im Februar dieses Jahres. Der russisch-orthodoxe Erzbischof von Nowosibirsk und Berdsk Tichon zeigte den Regisseur Kuljabin und den Intendanten Boris Mesdritsch an: Die Inszenierung habe die Rechte der Gläubigen verletzt und christliche Symbole zweckentfremdet. So etwas steht im säkularen Russland unter Strafe.
Die Reaktion des einflussreichen Kirchenmannes war nicht sehr überraschend. Bereits im Jahr 2012 mobilisierte er seine Anhänger gegen die Ausstellung erotischer Lithografien von Picasso und verlangte deren sofortige Schließung – mit viel Lärm, aber damals noch ohne Erfolg. Diesmal kam es aber anders. Die Staatsanwaltschaft leitete ein Verfahren ein, stellte fest, dass eine Ordnungswidrigkeit vorliegt, nämlich „mutwillige öffentliche Schändung religiöser und liturgischer Literatur und religiöser Kultobjekte“, und brachte den Fall vor Gericht. Unterdessen demonstrierten Tausende vor dem Opernhaus, konservative Publizisten wüteten in staatsnahen und kirchlichen Medien, Abgeordnete der Duma verlangten gar eine Haftstrafe für die Frevler. Das war heftig, aber nach dem Pussy-Riot-Prozess wirkte es fast wie Routine. Ungewöhnlich war dagegen die Solidaritätskampagne, an der viele prominente Regisseure und Intendanten teilnahmen, unter ihnen zahlreiche Vertreter der alten sowjetischen Theater-Nomenklatura.