Unerbittliche Propaganda auf allen Kanälen: Russland stellt sich dem Heimpublikum als friedliebendes Land dar, das vom Westen bedroht wird

Das russische Staatsfernsehen malt derzeit ein bedrohliches Szenario von einem nahenden Angriff der Ukraine auf Russland. In Nachrichtensendungen und Talkshows werden abenteuerliche Thesen über die Machenschaften der USA und Europas verbreitet.

Inna Hartwich, Moskau
Drucken
Der Journalist Dmitri Kiseljow gilt seit langem als Stimme des Kreml. In der Ukraine-Krise macht er Stimmung gegen den Westen.

Der Journalist Dmitri Kiseljow gilt seit langem als Stimme des Kreml. In der Ukraine-Krise macht er Stimmung gegen den Westen.

Vladimir Trefilov / Imago

Sonntag ist Krimizeit, auch in Russland. Nicht, dass es hier einen «Tatort» oder einen «Polizeiruf» gäbe. Russlands Krimi geht so: «Bis an die Zähne bewaffnete ukrainische Neonazis stehen an unserer Grenze, dazu angestiftet von den USA.» Dieser Satz, mag er auch immer wieder ein wenig anders formuliert sein, fällt in den Nachrichtensendungen, in den Talkshows, in der Wochenzusammenfassung. Vor allem am Sonntagabend dominieren politische Ereignisse in Russland und der Welt die Sendungen, stundenlang, bis weit nach Mitternacht. Die Ukraine-Krise steht auch im russischen Staatsfernsehen derzeit im Fokus. Der Tenor dabei lautet: Schuld sind immer die anderen.

«Unkultivierte Amerikaner» und «lächerliche Ukrainer»

Es ist 20 Uhr. Auftritt von Dmitri Kiseljow. Der Generaldirektor der russischen staatlichen Nachrichtenagentur «Rossija Sewodnja» steht auf der Sanktionsliste der Europäischen Union und ist, vor allem in seinem sonntäglichen Wochenrückblick «Nachrichten der Woche» im staatlichen Kanal Rossija 1, des Kremls scharfe Zunge. Er stichelt gern gegen den Westen, macht sich über die «Unkultiviertheit» der Amerikaner lustig, bezeichnet den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski als eine lächerliche Figur.

Die Hysterie, die er den USA und Europa in diesen Tagen der diplomatischen Bemühungen attestiert, ist ein gefundenes Fressen für den oft hämisch lächelnden 67-Jährigen. Breitbeinig steht er in seinem Studio und führt die Arme auseinander, wie das manchmal Pfarrer tun. Er spricht ruhig, geradezu einnehmend. «Die Ukraine wird mit tödlichen Waffen vollgepumpt und in eine Massenpsychose gestürzt», sagt er und fährt fort: «Russland wird in Abwesenheit zum Aggressor erklärt.»

Im Russischen wird vieles mit der Passivform gesagt, mittels Personalpronomen in der dritten Form Plural, ohne dieses Personalpronomen aber einzusetzen. Der Handelnde verschwindet, er bleibt ungenannt. Sie machen, sagen, tun es nicht, oder: Es wird gemacht, gesagt, nicht getan. Wer? Das schwebt unerwähnt im Raum und soll doch jedem als etwas Offensichtliches erscheinen. Sie, das sind die Amerikaner, die Europäer. Das ist der Westen.

«Europa ist fiebrig», raunt Kiseljow und lässt die Beiträge in seiner Sendung mit Bildern unterlegen, die verschneite Felder zeigen, samt Soldaten in winterlicher Uniform. Die Kamera bewegt sich langsam durch die Schützengräben, zeigt in Grossaufnahme einen Finger am Abzug eines Gewehrs. Die Ukrainer spielten Krieg, so die Aussage. Wo genau die Bilder gedreht wurden und wann, wird nicht gesagt. Geredet wird vor allem darüber, wie besorgt Russland sei ob der Gefahr, die sich in der Ukraine zusammenbraue.

Die Puppenspieler seien die USA, die den Europäern etwas «vorgrunzen», die Ukrainer «mit Füssen in einen Konflikt treten» und Russland «wie gewohnt die Schuld an der aufgeheizten Situation geben», sagt Kiseljow. Aus einem einzigen Grund: um Russland kleinzuhalten. Das ist die salopp formulierte offizielle Haltung des russischen Regimes.

Der Westen ist an allem schuld

So zitiert der staatliche Erste Kanal in seiner Nachrichtensendung den russischen Präsidenten Wladimir Putin: «Die Hauptaufgabe des Westens ist es, die Entwicklung Russlands einzudämmen. Die Ukraine ist ein Instrument, um dieses Ziel zu erreichen. Der Westen will die Ukraine in die Nato hineinziehen, der Westen will uns in einen bewaffneten Konflikt hineinziehen.»

Die Moderatorin mokiert sich derweil über die unlauteren Mittel ausländischer Journalisten. Die amerikanische Nachrichtenagentur Bloomberg hatte vor wenigen Tagen eine Falschmeldung über den Beginn der russischen Invasion verbreitet und sich danach dafür entschuldigt. «Unsauberes Verhalten», sagt die Moderatorin und räsoniert darüber, ob die Agentur aus Dummheit oder berechnend so gehandelt habe. «Diese Invasion ist ein Mythos», sagt sie und lächelt. Sie spricht von Angriffen «auf uns», von der Missachtung «unserer Interessen», von einem «wir», das nicht gehört werde – in einem vermeintlich nüchternen Nachrichtenformat. Von russischen Truppen an der russisch-ukrainischen Grenze sagt sie nichts. Die Bedrohung geht laut dem russischen Staatsfernsehen von der Ukraine aus.

Die Reporter haben derweil eine vom amerikanischen Präsidenten Joe Biden gebrauchte Metapher weitergedreht. Biden hatte von einem Fuchs gesprochen, der an einem Hühnerstall stehe, um die Gefahr, die von den russischen Truppen an der Grenze zur Ukraine ausgeht, zu verdeutlichen. Die Russen haben die Geschichte mit dem Fuchs und den Hühnern aufgegriffen und setzen die Ukraine nun mit einem Hühnerstall gleich. «Wenn irgendein amerikanischer Kuckuck den Hühnern explosive Eier in den Stall wirft, ist die Angst des Fuchses berechtigt», heisst es in einem Nachrichtenbeitrag.

Russland zieht seit Monaten Truppen an der Grenze zur Ukraine zusammen. In den russischen Medien ist trotzdem der Westen der Aggressor.

Russland zieht seit Monaten Truppen an der Grenze zur Ukraine zusammen. In den russischen Medien ist trotzdem der Westen der Aggressor.

Imago

Die Angst, vom Westen in die Enge getrieben zu werden, transportieren alle Sendungen in die Wohnzimmer quer durchs Land und untermauern damit auch die offizielle Moskauer Haltung: «Einen Krieg wollen wir nicht, aber wir lassen es auch nicht zu, dass unsere Interessen ignoriert werden.»

Bei Dmitri Kiseljow klingt alles nur noch schärfer. «Eine Welt ohne Russland braucht Russland nicht. Und dann verwandelt sich nicht nur Amerika in radioaktive Asche, sondern auch Europa – als Reaktion auf die Aggression», brummt er in seinem Wochenrückblick. In der Werbung danach wird der Big Mac angepriesen und die Weichheit einer deutschen Käsesorte gelobt.

Kritischere Medien finden kaum Gehör

Kaum hat Kiseljow fertig gepoltert, kommt Wladimir Solowjow zu Wort. Zunächst huldigt er dem Präsidenten mit seiner etwas grobschlächtigen Propaganda-Polit-Reality-Show «Russland. Kreml. Putin», vierzig Minuten später folgt die Sendung «Der Abend mit Wladimir Solowjow». Sechs Mitstreiter lädt er dazu Woche um Woche ein – Politologen, Publizisten, Unternehmer. «Der Abend» verläuft ruhiger als beispielsweise die Talkshow «Die Zeit wird es zeigen», wochentags im Ersten Kanal. Zwei sich abwechselnde Moderatoren geben in dieser Sendung vor, sich mit ihren Gästen auszutauschen. Selenski zeichnen sie da gern als «Affen», der zur «Entspannung mal aufs Klo» gehen sollte. Das Prinzip ist auch bei Solowjow am Sonntag aber dasselbe: Mehrere Experten tauschen sich aus. Ihre Perspektiven gleichen sich meistens, und kommt doch einmal eine etwas gemässigtere Stimme zu Wort, wird sie von den anderen niedergebrüllt oder ins Lächerliche gezogen.

Die Hauptaussage bleibt quer durch die Sendungen ähnlich: Russland, dieses gute und friedliebende Land, sei in Gefahr. Solowjow formuliert es so: «Wenn ihr keinen Frieden wollt, brauchen wir keinen Frieden. Wir werden keinen Krieg gegen euch führen, aber auf eure Grobheiten werden wir antworten, hart und deutlich.» Es ist dieser hasserfüllte Ton, der in der Berichterstattung des russischen Staatsfernsehens dominiert. Hinterfragt wird er lediglich von unabhängigen Medien, welche die russische Justiz jedoch mit dem Label «ausländische Agenten» gebrandmarkt hat. Diese sind Nischenprodukte, die nicht ankommen gegen die Übermacht des Staatsfernsehens, der Informationsquelle Nummer eins im Land.

Der Fernsehmoderator Wladimir Solowjow ist kein Mann der Feinheiten – in seinen Sendungen dominiert ein hasserfüllter Ton.

Der Fernsehmoderator Wladimir Solowjow ist kein Mann der Feinheiten – in seinen Sendungen dominiert ein hasserfüllter Ton.

TASS

Mehr von Inna Hartwich (inn)