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"Keiner sieht Castor-Transporte gerne"

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Ein leerer Castor-Behälter vor der Verladung auf ein Neckar-Schiff bei Obrigheim. Im Februar war das nur eine Übung für den nun anstehenden Transport von Nuklear-Müll.
Ein leerer Castor-Behälter vor der Verladung auf ein Neckar-Schiff bei Obrigheim. Im Februar war das nur eine Übung für den nun anstehenden Transport von Nuklear-Müll. © dpa

Im Interview äußert sich Wolfram König, Chef des Bundesamtes für Entsorgungssicherheit, über Atom-Castoren auf dem Neckar, die schwierige Suche nach einem Endlager und das Finanzierungsrisiko.

Herr König, kennen Sie den romantischen Neckar? Schon mal eine Schiffstour dort gemacht?
Ich selbst noch nicht. Aber meine Mitarbeiter haben sich dort alles genau angesehen. Da ging es aber nicht um Romantik.

Erstmals in Deutschland werden dort Castor-Transporte auf einem Fluss stattfinden. 15 Behälter sollen vom stillgelegten AKW Obrigheim nach Neckarwestheim ins dortige Atom-Zwischenlager transportiert werden. Ihr Bundesamt hat es genehmigt. In der Region gibt es Protest. Können Sie das verstehen?
Durchaus. Keiner sieht solche Transporte gerne. Sie müssen gerechtfertigt sein, und wir müssen dafür sorgen, dass dabei die strengen Sicherheitsanforderungen eingehalten werden, die das Atomgesetz vorgibt. Auch beim Transport auf einem Fluss darf es keine Sicherheitsabstriche geben.

Ein Castor wiegt 115 Tonnen. Kein Problem, zum Beispiel beim Verladen auf ein Schiff?
Nach den Unterlagen und Prüfungen, die uns vorliegen – nein. Man muss wissen: Der Castor-Behälter selbst wird auf alle denkbaren Unfallszenarien hin konzipiert. Bevor der Behälter zugelassen wird, testet die Bundesanstalt für Materialprüfung, ob die Behälter ausreichend Schutz gegen Brände, Stürze oder Havarien bieten. Das heißt, das Sicherheitsniveau ist bei allen Transporten gleichermaßen zu erfüllen, ob auf der Bahn, der Straße oder dem Fluss.

Viele Bürger befürchten, dass aus den Zwischenlagern, die im vergangenen Jahrzehnt an den AKW-Standorten gebaut wurden, Quasi-Endlager werden – weil die Suche nach einem Endlager tief unten in der Erde viel länger dauern wird als gedacht. Eine berechtigte Sorge?
Nein, die Zwischenlager werden keine Endlager. Die Genehmigungen wurden aus gutem Grund befristet erteilt. Beton, Stacheldraht und Wachmannschaften der Zwischenlager bieten zwar mittelfristig die notwendige Sicherheit. Sie können aber nicht auf Jahrtausende ein Endlager in einem natürlichen und stabilen Gestein ersetzen. Es wird allerdings länger dauern als geplant, bis die Zwischenlager geräumt werden können. Das liegt daran, dass die Suche nach einem Endlager erst nach dem jahrzehntelangen Konflikt um Gorleben nun mit dem neuen Standortauswahlgesetz beginnt.

Die Genehmigungen für die Zwischenlager müssen verlängert werden, weil das neue Endlager nicht vor 2050 fertig sein wird. Auf 60 statt der bisher gültigen 40 Jahre?
Ich spekuliere nicht. Die Zeitspanne hängt davon ab, wann das Endlager betriebsbereit ist und den Nuklearmüll aufnehmen kann.

Laut Endlager-Gesetz soll die Standort-Auswahl bis zum Jahr 2031 abgeschlossen sein. Ist das überhaupt zu schaffen?
Diese Vorgabe ist sehr, sehr ehrgeizig.

Sie meinen: nicht zu schaffen.
Im Gesetz steht 2031, ein ambitioniertes Ziel, und das ist gut so. Geduld und Aufmerksamkeit für dieses wichtige Thema schwinden, je mehr sich ein solches Verfahren in die Länge zieht. Am Ende muss in einem sicherheitstechnisch vertretbaren Zeitraum ein Endlager stehen, daran wird sich auch die Zeitplanung orientieren müssen.

In der Fachwelt und in der Politik wird diskutiert, neue, größere Zwischenlager zu bauen, um damit die Zahl der Standorte zu verringern. Was halten Sie davon?
Ich halte es ist nicht für sinnvoll, neue Zwischenlager zu bauen – es sei denn, Sicherheitsgründe würden es erfordern. Bisher konnten neue Anforderungen, etwa für den Schutz gegen Terrorangriffe, vor Ort erfüllt werden. Für neue Lager müssten zudem erst Standorte gefunden werden, und das parallel zum Endlagersuchverfahren. Außerdem wären bis zu 1900 sogenannte Castor-Behälter notwendig, um den Atommüll dorthin umzulagern. Das sollte durch die dezentralen Zwischenlager ja gerade vermieden werden.

Reichen die 24,2 Milliarden Euro denn aus, die die Stromkonzerne in den staatlichen Fonds für die Entsorgung einzahlen werden?
Die Kosten für Zwischen- und Endlager wurden von der Finanzkommission, die das Konzept dafür erarbeitet hat, auf 110 Milliarden Euro bis 2100 geschätzt. Das Geld reicht, wenn die Verzinsung der 24 Milliarden tatsächlich im Schnitt vier Prozent pro Jahr beträgt. Ob das so sein wird, weiß niemand. Falls das Geld knapp werden sollte, darf das allerdings keinen Einfluss auf das Sicherheitsniveau für das Endlager oder die Zwischenlager nehmen.

Im Zweifel müsste der Staat einspringen ...
Allen ist bekannt, dass es ein Finanzierungsrisiko gibt und der Steuerzahler eventuell einspringen muss. Die Debatte zeigt erneut, die tatsächlichen Atomkraft-Kosten sind deutlich höher, als früher behauptet wurde.

Die Endlagersuche wird nun neu gestartet, nachdem Gorleben nicht durchsetzbar war. Aber Gorleben ist als Option weiter dabei. Ist das die weiße Landkarte, auf der gesucht werden soll?
Das Gesetz legt eindeutig fest: Kein Standort in Deutschland wird aus politischen Gründen bevorzugt und keiner von vorneherein ausgeschlossen. Die Suche läuft in einem fairen, transparenten, an fachlichen Kriterien orientierten Verfahren ab. Also genau anders als im Fall Gorleben, wo die Kriterien der vorher getroffenen Standortentscheidung praktisch Schritt für Schritt angepasst wurden. Gorleben wird zumindest am Anfang als einer aus einer Reihe von Standorten dabei sein.

Bayern und Sachsen sperren sich. Sie haben erklärt: Ihre potenziellen Lagerstätten – in Granit-Gestein – sind nicht geeignet.
Das liegt wohl weniger an wissenschaftlichen Erkenntnissen als daran, dass es dort nur Granit gibt. Speziell Bayern hat sich offenbar daran gewöhnt, mit AKW Geld zu verdienen, aber den Atommüll anderswo entsorgen zu lassen. Ein Endlager kann man in Salz, Ton und Granit bauen, mit jeweils anderen Methoden. Es gibt keine Gesteinsformation, die von vorneherein besser oder schlechter ist. Salz zum Beispiel kapselt die Nuklearbehälter gut ein, reagiert aber empfindlich auf Wasserzutritt. Granit dagegen ist robust, kapselt aber schlecht ein. Entscheidend ist, dass der Atommüll über Millionen Jahre sicher von der Biosphäre abgeschirmt bleibt.

Bayern und Sachsen bleiben im Rennen?
Ja, das Gesetz ist da eindeutig: Es benennt keine Bundesländer, die auszuschließen wären.

Glauben Sie, dass es irgendwo in der Bundesrepublik eine Region gibt, die ein Endlager ohne Proteste akzeptieren wird?
Keine Region wird begeistert sein, die näher untersucht wird oder gar als Endlager-Standort ins Auge gefasst wird. Entscheidend ist, dass das Auswahlverfahren so durchgeführt wird, dass klar ist: Hier wird allein nach fachlichen Kriterien entschieden und nicht nach Willkür. Und wir müssen gewährleisten, dass die Bürger im Verfahren beteiligt werden. Es ist gut für das Gelingen der Suche, dass es nicht mehr um die Frage „Pro oder Contra Atomkraft“ geht, wie es beim Gorleben-Protest der Fall war, sondern darum, den Ausstieg zu vollenden. Das nimmt viel Druck raus.

Aber der Druck, am Ende doch wieder Gorleben auszuwählen, ist groß. Dort sind immerhin schon 1,8 Milliarden Euro ausgegeben worden.
Geld darf nicht den Ausschlag geben. Ich werde darauf achten, dass alleine die fachlichen Kriterien die Standortauswahl bestimmen. Für Abstriche bei der Sicherheit stehe ich nicht zur Verfügung.

Ein Export des Atommülls ins Ausland ist offiziell tabu. Aber wieso denkt man nicht an ein gemeinsames europäisches Endlager – am besten Standort auf dem ganzen Kontinent?
Wer ein internationales Endlager will, unterschätzt zwei Probleme. Erstens: Stellt sich ein deutscher Standort als der bestgeeignetste in Europa heraus, müssten wir auch Atommüll aus anderen EU-Staaten aufnehmen. Zweitens: Wenn es Angebote gab, Atommüll abzunehmen ...

Es gab nur eins, und zwar aus Russland.
… dann nicht, weil es dort am sichersten ist, sondern weil man Geld damit verdienen wollte. Wir wollen den Atommüll aber nicht einfach irgendwie und dazu noch billig loswerden, sondern ihn möglichst sicher und dauerhaft tief unter der Erdoberfläche einschließen.

Der Strahlenmüll soll aber 500 Jahre lang „rückholbar“ eingelagert werden. Eine Lehre auch aus dem Debakel mit dem Lager Asse, das abzusaufen droht?
Das neue Suchverfahren schließt aus, dass sich das Asse-Szenario wiederholt. Die 500 Jahre Bergbarkeit sollen künftigen Generationen die Option geben, gefahrlos an den Müll heran kommen zu können, falls es dann Wege gibt, etwas Besseres damit zu tun – oder Sicherheitsbedenken entstanden sind. Wenn das Verfahren von Anfang an transparent und an der Sicherheit orientiert abläuft, dann halte ich es aus heutiger Sicht aber für unwahrscheinlich, dass das passiert.

Letzte Frage: Die Atomkraft ist in Deutschland, ein Auslaufmodell. Da stellt sich die Frage: Wird es denn künftig noch genügend Fachleute für Kerntechnik und Endlagerung geben, um die Arbeiten gut abzuwickeln?
Das macht mir große Sorgen. Wir haben heute schon bei Stellenausschreibungen das Problem, ausreichend Bewerber und Bewerberinnen zu bekommen. Die Atomkraft als Auslaufmodell ist für junge Leute nicht mehr attraktiv. Es gibt nur wenige, die Kerntechnik studieren wollen. Dabei hätten sie eine sehr gute Berufsperspektive: Wir werden noch über Generationen Experten für den AKW-Rückbau und die Endlagerung benötigen. Ich sage voraus: Auch die Gehälter, die man dann verdienen kann, werden nicht schlecht sein.

Interview: Joachim Wille

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