Vom Folterlager ins Gefängnis

In Israel dauert ein Rechtsstreit über den Umgang mit afrikanischen Asylsuchenden an. Die Regierung will diese zurückschaffen. Viele kamen durch den Sinai und wurden dort als Opfer von Menschenschmugglern gefoltert.

Monika Bolliger, Jerusalem
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Nichtjüdische Migranten aus Afrika haben kaum Aussicht auf einen legalen Aufenthaltsstatus in Israel. (Bild: Baz Ratner / Reuters)

Nichtjüdische Migranten aus Afrika haben kaum Aussicht auf einen legalen Aufenthaltsstatus in Israel. (Bild: Baz Ratner / Reuters)

«Kein anderes westliches Land hat es geschafft, die Masseneinwanderung illegaler Migranten zu stoppen, und wir haben dafür gesorgt, dass kein Infiltrant mehr Israels Städte erreicht», hat Ministerpräsident Netanyahu vor wenigen Tagen verkündet. Er pries damit den Erfolg der fast fertiggestellten Sperranlage an der Grenze zu Ägypten und die neuen rechtlichen Massnahmen gegen sogenannte Infiltranten. Gemeint sind Flüchtlinge und Migranten aus afrikanischen Ländern, welche seit 2006 in grosser Zahl nach Israel gelangten. Diese dürfen seit 2012 unbegrenzt in Haft gehalten werden. Israel hat eigens ein Gefängnis dafür gebaut.

Zunehmende Ausschaffungen

Das israelische Oberste Gericht hat noch keinen Entscheid gefällt, inwiefern die rechtlichen Massnahmen mit der internationalen Flüchtlingskonvention, welche Israel unterzeichnet hat, vereinbar sind. Das Büro des öffentlichen Pflichtverteidigers hat die Oberrichter zudem diese Woche aufgefordert, zu einer neuen Haftpraxis Stellung zu nehmen. Der Generalstaatsanwalt hatte Anfang Juli grünes Licht für eine neue Regelung gegeben, nach der illegal Eingewanderte wegen kleinkrimineller Vergehen verhaftet und unbegrenzt festgehalten werden können – ohne Gelegenheit, ihre Unschuld zu beweisen. Laut dem Justizministerium dient die Massnahme der Wahrung der öffentlichen Sicherheit. In den Gegenden, wo die Asylsuchenden leben, gibt es grossen Widerstand gegen sie aus der Anwohnerschaft.

Auf dem Höhepunkt Anfang letzten Jahres kamen rund 2000 Afrikaner pro Monat nach Israel. Ihre Gesamtzahl wird auf 60 000 geschätzt. Die Mehrheit sind Eritreer und Sudanesen. Seit der Errichtung des Grenzzauns ist die Zahl der Neuankömmlinge massiv zurückgegangen. Im letzten halben Jahr waren es laut dem Innenministerium noch 34. Zudem hat Israel 2012 mit Rückschaffungen begonnen. Der damalige Innenminister Eli Yishai sagte, die Afrikaner bedrohten die jüdische Identität Israels. Von der Regierung werden sie als Wirtschaftsmigranten eingestuft.

Über 2000 Sudanesen wurden letztes Jahr ausgeschafft, laut dem Innenministerium freiwillig. Etwa 500 gingen allerdings direkt aus der Haft zurück. In diesen Fällen kann nicht von freiwillig gesprochen werden. Letzte Woche berichtete die Flüchtlingsorganisation Hotline for Migrant Workers von der Deportation von 14 Eritreern, die ebenfalls in Haft sassen und anscheinend in die Rückschaffung einwilligten. Bis vor kurzem sei es nicht gelungen, die Eritreer davon zu überzeugen, sagt Sigal Rozen von Hotline. Doch nach einem erfolglosen Hungerstreik inhaftierter Eritreer sei die Frustration so gross geworden, dass manche sagten, sie würden lieber zu Hause sterben als im Gefängnis. In anderen Ländern finden Eritreer oftmals Asyl, weil sie im Falle einer Abschiebung vielfach Folter, Inhaftierung oder den Tod riskieren. Israel hatte von der Rückschaffung von Eritreern bis anhin abgesehen, obwohl sie kein Asyl erhielten. Seit dem grossen Ansturm hat Israel aber nur 17 Asylgesuche überprüft und alle abgelehnt. Etwa 1400 Gesuche sind hängig, und Tausende weitere haben keinen Zugang zu einem Asylverfahren.

 (Bild: NZZ-Infografik / cke.)

(Bild: NZZ-Infografik / cke.)

Seit der Errichtung des Grenzzaunes scheint es, dass kaum mehr Afrikaner freiwillig mit Menschenschmugglern nach Israel zu kommen versuchen. Diejenigen, die kommen, wurden laut Berichten aus Uno-Flüchtlingslagern entführt und von den Menschenschmugglern gegen ihren Willen in den Sinai gebracht. Die Entführer foltern sie dort, um von ihren Verwandten Lösegeld zu erpressen, die am Telefon bei der Folter mithören müssen. Die Familien verkaufen dann bisweilen ihr ganzes Hab und Gut und aktivieren ihre Verwandten und Kontakte in westlichen Ländern, um das Geld zusammenzubekommen. Manche der Schmuggler haben so ein Vermögen erwirtschaftet.

Forderungen an Ägypten

Menschenrechtsorganisationen schätzen, dass sich etwa 7000 Folteropfer in Israel aufhalten. Rund 4000 dürften im Sinai umgekommen sein, und etwa 1000 werden derzeit in Lagern festgehalten. Die Ärzte für Menschenrechte in Israel haben deren Existenz ans Licht gebracht. Shahar Shoham von der Ärzte-Organisation sagt, heute sei das Phänomen hinreichend bekannt, doch tue niemand etwas. Ägypten müsse zur Rechenschaft gezogen werden. Von Israel fordert sie eine angemessene Behandlung der Opfer, welche über Notfallmassnahmen hinausgeht. Die gegenwärtige Atmosphäre in Israel und die Rhetorik der Regierung gegen die Asylsuchenden machten dagegen die Opfer nur noch verletzlicher.

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