Indien: Baumwollproduktion treibt Bauern in den Selbstmord

Die Landwirtschaft bleibt der wichtigste Wirtschaftszweig in Indien
Baumwollpflanzen kurz vor der Ernte
Wild Geese, Guy J. Sagi

Von Rabea Stückemann

Baumwollproduktion ist Knochenarbeit: Jede Blüte muss von Hand bestäubt und gepflückt werden. Viele Bauern leiden unter Atemnot und anderen Beschwerden, denn sie sind täglich Pestiziden, extremer Hitze, sowie psychischem und physischem Stress ausgesetzt. Die meisten Chemikalien sind im Westen verboten, doch die indischen Bauern arbeiten barfuß und tragen keine Atemschutzmasken.

Vom Wirtschaftsboom der vergangenen Jahre haben die indischen Landwirte nichts gespürt. Selbst wenn es gut läuft, sind ihre Erträge nie so hoch wie die der subventionierten Agro-Industrie in den USA und Europa. Die niedrigen Weltmarktpreise reichen weder zum Leben noch zum Schuldenabbau. Die Bauern verdienen um die 90 Euro im Monat. Mit Handarbeit und Holzpflügen versuchen sie gegen Traktoren, Maschinen und künstliche Bewässerungsanlagen anzukommen. Der Druck treibt viele verarmte Bauern in den Selbstmord.

Die indische Zentralstelle für die Erfassung von Verbrechen, 'India's National Crime Records Bureau‘, spricht von mehr als 300.000 Selbstmorden in den letzten 20 Jahren. Am schlimmsten ist der Staat Maharashtra im Westen Indiens betroffen. Allein in den vergangenen vier Monaten nahmen sich hier 257 Bauern das Leben. Das Elend spitzt sich besonders in Vidarbha zu. Der Landstrich ist besser bekannt als 'Selbstmordgürtel‘. Horror-Meldungen über Bauern, die sich auf dem Feld erhängt haben oder eine Kanne voll mit Pestiziden getrunken haben sind hier an der Tagesordnung.

Der verzweifelte Kampf gegen die Industrie

Demonstrationen gegen genetisch verändertes Saatgut
Demonstranten bei einer weltweiten Protestaktion gegen Monsanto
Murray Head / Splash News

Neben schwierigen und unvorhersehbaren Witterungsverhältnissen kämpft Indien mit den steigenden Kosten von genetisch verändertem Saatgut, Düngemitteln und Pestiziden. Genetisch veränderte Bt-Baumwolle wird in Indien seit 2002 angebaut. Ganz im Sinne der Regierung, die finanziell von den Verträgen mit internationalen Konzernen profitiert. Inzwischen basieren über 90 Prozent der indischen Baumwollwirtschaft auf genetisch verändertem Material. Dem amerikanischen Saatgut- und Technologiemultikonzern Monsanto gehören 95 Prozent der indischen Baumwollsamen. Kritiker befürchten eine Ausbeutung und Verarmung von Kleinbauern und bringen die Selbstmorde mit dem Anbau von Bt-Baumwolle in Verbindung. BT- Samen kosten bis zu vier Mal so viel wie konventionelle Sorten und erfordern künstliche Bewässerung sowie größere Mengen an Pestiziden und Düngemitteln.

Die Industrie zwingt die Bauern auch dazu, jedes Jahr neues Saatgut zu kaufen, denn die genetisch veränderten Samen sind steril damit die Bauern nicht wie früher einen Teil ihrer Erträge für die neue Aussaat zurücklegen können. Um sich das leisten zu können, müssen sie häufig Kredite aufnehmen, die sie später nicht zurückzahlen können. Wenn die Schulden zu groß werden und die Banken den Bauern kein Geld mehr leihen wollen, kommen private Geldgeber ins Spiel, die nicht selten einen Zinssatz von 60 bis 120 Prozent verlangen. Der Mann von Janabai Ghodam nahm sich vor zwei Monaten das Leben. Im Interview mit einem BBC Reporter erzählt sie: „Von meinem Leben ist nichts mehr übrig. Die komplette Ernte ist zerstört, das ganze Land ist leer und ich kann in dieser Saison keine neuen Samen aussäen. Wir haben quasi kein Essen zu Hause. Ich bin völlig allein mit meiner Tochter und meinem Sohn".

Der Staat zahlt den Familien, die nach dem Selbstmord des Mannes finanzielle Probleme haben, eine Entschädigung in Höhe von ungefähr 1.365 Euro. Allerdings nur solange das Ackerland auf den Namen des Verstorbenen eingetragen war und es ausreichend Beweise dafür gibt, dass eine hohe Verschuldung der Grund für den Selbstmord war. Doch viele Frauen können nicht lesen und schreiben und sind deshalb häufig nicht in der Lage dazu, das Hilfspaket der Regierung überhaupt zu beantragen. Ärzte fordern die Politiker auf, lieber in Präventionsmaßnahmen und das Gesundheitswesen zu investieren.

Die Wut auf internationale Konzerne wie Monsanto wird derweil immer größer. Dr. Vandana Shiva, Philosophin, Physikerin und Umweltaktivistin, führte mehrere Studien durch und kam zu dem Schluss: „Monsantos Saatgut-Monopol, die Vernichtung von Alternativen, das Kassieren von Superprofiten in Form von Lizenzgebühren und die zunehmende Verwundbarkeit von Monokulturen hat ein Klima von Schulden, Selbstmorden und Not auf dem Land geschaffen, das zu einer Epidemie von Selbstmorden unter indischen Bauern geführt hat“. Monsanto bestreitet die Vorwürfe und führt die Selbstmorde auf komplexe sozio-ökonomische Gründe zurück: „Die Ursachen für die Misere der indischen Bauern sind Dürren, schlechte Bewässerungsanlagen und vor allem die mangelnde staatliche Unterstützung“, schreibt das Unternehmen auf der eigenen Homepage. Zwar belegen Studien, dass BT-Baumwolle den Ernteertrag erhöht, allerdings nur wenn das Wetter mitspielt.

Die indischen Bauern sind zu Sklaven des Systems geworden: Während sie rund um die Uhr arbeiten lagern die großen internationalen Konzerne das Geld.