Zum Inhalt springen
Fotostrecke

Elektroschrott aus Europa: Kinder auf dem Giftplatz

Foto: Clemens Höges/DER SPIEGEL

Uno-Studie zu Elektroschrott Europas Gift verseucht Spielplätze in Afrika

Kopfweh, Schwindel, Hautflecken: Diese Symptome weisen Kinder auf, die in Afrika hochgiftigen Elektromüll aus Europa ausweiden. Abseits eines Schrottplatzes in Ghana haben Uno-Forscher extrem verseuchten Boden nachgewiesen - unter Schulen und Sportplätzen. Die Messungen schockieren.

Hamburg - In Ghanas Hauptstadt Accra haben Wissenschaftler große Mengen Gift gemessen, das teils aus europäischem Elektromüll stammt. Das Gift verseuche Schulen, Sportstätten und Marktplätze, berichten die Forscher der Universität der Vereinten Nationen (Unu) am Sonntag.

"Sodom und Gomorrha" nennen Einheimische den Schrottplatz Agbogbloshie  im Zentrum von Accra. Dort stehen Kinder in sengender Sonne auf einer Halde, aus der 300 Grad heiße Dämpfe wabern. Sie weiden Computer und andere Elektrogeräte aus, die aus Europa und aus anderen Regionen nach Ghana exportiert wurden. In Afrika lassen sich Teile der Geräte verkaufen. Dafür zertrümmern die Kinder die Gegenstände - dann legen sie Feuer, in denen alles außer den wertvollen Metallen schmilzt.

Die gesundheitlichen Folgen dieser Arbeit können gravierend sein: Viele Jugendliche leiden unter Kopfschmerzen, Juckreiz, Schwindel und fleckiger Haut. Die Langzeitfolgen sind noch schlimmer, die Dämpfe lassen das Gehirn der Jugendlichen schrumpfen, schädigen Nerven und Nieren - und verursachen Krebs.

Die Dämpfe vom Schrottplatz Agbogbloshie verseuchen die Umgebung weitaus stärker als vermutet, wie die Unu-Forscher nun herausgefunden haben: Im Boden einer Schule seien Blei, Cadmium, Zink, Chrom, Nickel und andere Chemikalien in Mengen festgestellt worden, die bis zu 50 Mal über den Grenzwerten gelegen hätten, teilt die Unu am Sonntag mit. In Europa gelten bereits einige Millionstel Gramm Blei als bedenklich - die Kinder in Accra hantieren mit dampfenden Geräten, die mehr als ein Kilogramm Blei enthalten.

Zöllner im Dilemma

Das Problem werde von einem florierenden, aber illegalen Exportgeschäft befeuert, erklären die Unu-Forscher: Afrika verkomme zum Schrottplatz für Elektroprodukte. Eigentlich verbietet die Basler Konvention, ein Uno-Vertrag von 1989, das Verklappen von Müll in anderen Ländern ohne Zustimmung des Empfängerlandes. Doch viele Elektrogeräte gelangten auf undurchsichtigen Kanälen in Entwicklungsländer.

Aus Deutschland werden nach Uno-Schätzungen etwa 100.000 Tonnen Elektrogeräte-Schrott pro Jahr exportiert. Die oftmals illegale Verklappungist billiger als die fachgerechte Entsorgung. Vermeintliche Altauto-Exporte im Hamburger Hafen seien oft bis unters Dach vollgestopft mit Elektronikschrott, berichten Insider. Aus anderen Ländern kommen ähnliche Mengen nach Afrika. Experten beklagen eine rechtliche Grauzone: Gebrauchte Produkte dürfen exportiert werden, Schrott nicht - Zöllner müssen ihr Urteil im Zweifel vor Gericht verteidigen, was ihre Aufgabe nicht gerade erleichtern dürfte.

Allein Ghana habe nach Angaben der Regierung 2009 etwa 150.000 Tonnen gebrauchte Elektroteile importiert, berichtete die Unu. Einheimische warnen seit langem, dass der Müll aus reichen Ländern Kinder in Ghana vergifte. Das Problem sei aber auch hausgemacht, betonen die Unu-Forscher: Ghana müsse die Einfuhr von Elektroschrott gesetzlich verbieten, fordern sie. Eine solche Regelung werde aber erschwert, weil viele Einheimische ihr Geld mit dem Schrotthandel verdienten.

Goldberge auf Müllhalden

Die traurige Ironie des Ganzen sei, dass der Elektroschrott eigentlich den Ursprungsländern als wertvolle Rohstoffquelle dienen könnte, schreiben die Unu-Experten. 40 Millionen Tonnen Elektrogeräte landen pro Jahr im Abfall - mit ihnen gigantische Mengen Edelmetalle. Recycling würde die Rohstoffressourcen erheblich aufbessern, sagt Unu-Experte Rüdiger Kühr.

Die Ausbeute wäre um ein Vielfaches größer als in Bergminen; Kühr spricht bereits von "urbanem Bergbau". Um ein Gramm Gold zu gewinnen, bewegen manche Firmen eine Tonne Erz. Weitaus einfacher wäre es, durch Recycling an das Edelmetall heranzukommen: Denn die gleiche Menge Gold steckt in 41 Mobiltelefonen.

Das Geschäft mit Elektronik-Recycling wird lukrativer. In Europa haben sich Recyclingfirmen angesiedelt, die von hohen Metallpreisen profitieren wollen. Allerdings drücken die Kosten für die Aufbereitung der Metalle ihren Profit. Und ein Großteil der Elektrogeräte gelangt gar nicht in den Wiederverwertungskreislauf.

Schätze im Computer

In der EU sind Elektrogerätehersteller zwar verpflichtet, alte Teile zurückzunehmen; Metall- und Schrotthändler hoffen auf ein großes Geschäft. Beim Kupfer funktioniert das bereits leidlich: Etwa die Hälfte der deutschen Kupferproduktion wurde recycelt. Doch ein Großteil der Metalle kommt, der Vorschrift zum Trotz, nicht in den Wertekreislauf zurück. Vor allem Gold, Silber und Palladium werden auch in Europa kaum recycelt, berichtet das Uno-Umweltprogramm Unep: Pro Jahr gingen deshalb mehr als fünf Milliarden Euro verloren.

Vor allem in Handys und Computern werden große Mengen Metall montiert: Weltweit 15 Prozent der jährlichen Kobalt-Produktion, 13 Prozent des gewonnen Palladiums und drei Prozent des jährlichen Gold- und Silberabbaus werden dafür verwendet. Der Großteil landet schließlich auf dem Müll. In Computern kamen 2008 alleine Gold, Silber, Kupfer, Palladium und Kobalt im Wert von 2,7 Milliarden Euro in die Geschäfte.

Allein in China wandern jährlich vier Tonnen Gold in den Müll, 28 Tonnen Silber und 6000 Tonnen Kupfer - in Mobiltelefonen und Computern. Das Gold hat einen Wert von rund 100 Millionen Euro - und entspricht der monatlichen Produktionsmenge mancher Goldförderstaaten. Eigens für SPIEGEL ONLINE hatten Unep-Forscher berechnet, wie groß die Verschwendung wertvoller Metalle in ausgewählten Ländern ist. Auch wenn die afrikanische Wirtschaft von dem Abfall profitieren mag - die Menschen nahe der Schrottplätze gehen daran zugrunde.