Die Aborigines, eine Mixtur aus drei Menschen

Aborigines eine Mixtur drei
Aborigines eine Mixtur drei(c) EPA (DAVE HUNT)
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Genetik: Genom eines alten Haars zeigt frühe Wanderungen – und Probleme beim heutigen Forschen mit altem Material.

Vor 90 Jahren bat der britische Ethnologe Alfred Cort Haddon in Australien einen jungen Aborigines um ein Büschel Haare, er erhielt es und fügte es in seine umfangreiche Sammlung von Haaren aus der halben Welt ein. Vor einem Jahr erfuhr Eske Willerslev davon – er ist Spezialist für Paläogenetik an der Universität von Kopenhagen – und erbat sich ein Haar. Denn bisher gibt es kein sequenziertes Genom eines Aborigines; ein Grund liegt darin, dass viele der „Ureinwohner“ in Australien keine mehr sind, sondern auch Gene europäischer Siedler in sich tragen, und aus dieser Mischung kann man die Geschichte der Besiedelung Australiens schwer rekonstruieren.

Deshalb hat das alte Haar Wert, seine Genanalyse brachte auch – im Vergleich mit jener von Haaren aus Afrika, Asien und Europa – eine Überraschung: Die Aborigines stammen von Menschen, die vor etwa 60.000 Jahren aus Afrika ausgewandert sind und vor etwa 50.000 Jahren Australien erreicht haben, dazu passen archäologische Funde aus Australien und von unterwegs, aus Indien. Nicht dazu passen allerdings die Gene im heutigen Indien, sie kamen erst mit einer zweiten, späteren Wanderungswelle vor etwa 30.000 Jahren.

Sapiens, Neandertaler, Denisova-Mensch

Und die Inder haben zwar, wie alle Menschen außerhalb Afrikas, auch Gene von Neandertalern in sich – zwei bis vier Prozent –, aber keine Gene des 2010 entdeckten dritten archaischen Menschen, dem von Denisova im Altai-Gebirge. Die Aborigines hingegen haben zusätzlich dessen Erbe – außer ihnen haben es nur Polynesier –, ihre Ahnen mischten sich auf der Wanderung mit Denisova-Menschen. Aber als die zweite Welle nach Indien kam, waren die in Denisova offenbar schon ausgestorben (Science, 22.9.).

Dass sie Mischungen aus gleich drei Menschen sind, wird die Aborigines nicht kränken, aber mit ihrem Genom gibt es noch ein Problem: Die Aborigines geben es nicht gern her, sie sind extrem misstrauisch gegenüber Genetikern aus dem Westen, unter dessen kolonialen Manieren sie lange gelitten haben. Deshalb wandten sie sich in den 1990er-Jahren auch gegen das Human Genome Diversity Project (HGDP), das weltweit die genetische Vielfalt dokumentieren wollte. Viele Indigene fürchteten den Diebstahl verwertbarer Gene („Bioprospecting“), die Aborigines taten es am heftigsten, sie gaben kein Blut für das (gut gemeinte) Projekt.

Nächster Genomkandidat: Sitting Bull

Und nun der Umweg über ein Haar aus einer Ethnologensammlung! Willerslev hatte das nicht bedacht und war schon mitten im Sequenzieren, als ein HGDP-Leidgeprüfter ihn darauf aufmerksam machte. Folglich wandte er sich an die Aborigines-Vertreter der Region, aus der das Haar stammte, und sicherte ihnen zu, ohne Zustimmung würde er nichts publizieren. Er erhielt die Zustimmung – und schuf damit einen Präzedenzfall: Immer mehr Genetiker durchforsten Museen, denn diese geben zwar viel früher aus aller Welt Geholtes an die Erben zurück, aber manches behalten sie auch. Das British Museum in London etwa retourniert Schädel und Knochen, nicht aber Haare und Fingernägel, sie sind Gold für Forscher wie Willerslev. Dieser hütet denn noch einen Schatz, auch mit Zustimmung der Erben, er hat ein Haar von Sitting Bull.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.10.2011)

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