Eine niedrige braune Holztür in einer gelb-roten Ziegelmauer, links oben ein Kameraauge, rechts ein Messingschild: "Jüdische Gemeinde zu Halle (Saale) – Synagoge". Stephan B. geht darauf zu. Er drückt die Klinke. Die Tür ist verschlossen. "Fuck!", schimpft er, dreht sich weg und blickt die schmale Humboldtstraße hinunter. Der Attentäter von Halle, entstiegen den dunklen Ecken der Internet- und Gamingwelt, ist auf die Wirklichkeit gestoßen. Die leistet seinen mörderischen Plänen Widerstand.

Die Szene ist in dem Video zu sehen, das Stephan B. mit einem an seinem Helm befestigten Smartphone aufgezeichnet und im Netz gestreamt hat. Es folgen 30 Minuten Film. Sie dokumentieren, wie Stephan B. mit fast allem scheitert, was er sich vorgenommen hat: Die Türen der Synagoge halten seinen Schrotladungen und Sprengsätzen stand. Seine Waffen haben Ladehemmungen. Sein Fluchtfahrzeug hat einen Platten, weil er den Vorderreifen versehentlich durchschossen hat. Dennoch sterben zwei Menschen: eine 40-jährige Frau und ein 20-jähriger Mann.

Wer ist dieser Stephan B., der sich selbst einen Versager schimpft?

Einen Tag nach dem Attentat lassen sich erste Konturen eines Mannes erkennen, der nicht den üblichen Mustern der rechtsextremen Szene entspricht. ZEIT ONLINE hat das Video von Stephan B. und sein sogenanntes Manifest ausgewertet, dazu Aufzeichnungen des Täters im Netz. Reporter haben mit Menschen gesprochen, die Stephan B. kennen, und mit Sicherheitsbehörden. Daraus lässt sich ein noch lückenhaftes Bild eines Attentäters zeichnen, wie es ihn in dieser Form in Deutschland noch nicht gegeben hat. Eines Mannes, der sich in antisemitischen und rassistischen Foren des Internets radikalisierte und seine Taten plante wie ein Computerspiel.

Man kann Stephan B. dabei als eine Kopie einer Kopie einer Kopie verstehen: Anders Behring Breivik, der 2011 auf der norwegischen Insel Utøya 69 Jugendliche ermordete, hatte sich noch explizit an seinem organisatorischen Vorbild Al-Kaida orientiert. Der Attentäter, der im März im neuseeländischen Christchurch in zwei Moscheen 51 Menschen erschoss, kopierte wiederum Breivik. Stephan B. ahmte schließlich dieses Attentat nach – viel weniger professionell als seine Vorbilder, aber dennoch tödlich.

Generalbundesanwalt Peter Frank spricht von Terror. Von einem Mann, der durchdrungen sei von Antisemitismus und Rassismus. Sein erklärtes Ziel war es, Juden zu ermorden. So kündigte es Stephan B. in seinem Video an. Doch bisher finden sich keine Verbindungen in die klassische rechtsextreme Szene. Auch die Bundessicherheitsbehörden kannten Stephan B. nicht, er war nach Informationen von ZEIT ONLINE weder im nachrichtendienstlichen Informationssystem noch zentral beim Bundeskriminalamt gespeichert. Zumindest in den vergangenen fünf Jahren war er offenbar niemandem als Extremist aufgefallen. 

Wer verstehen will, was Stephan B. für ein Mensch ist, muss deshalb an zwei Stellen suchen: in seinem persönlichen Umfeld und im virtuellen Raum des Internets.

Die Gegend, aus der Stephan B. stammt, liegt mitten im Mansfelder Land, südliches Sachsen-Anhalt, rund 50 Kilometer westlich von Halle. Die beiden Gemeinden, in denen er sein bisheriges Leben verbrachte, gleichen verstreuten Wohnvierteln, die sich an einer kerzengeraden Bundesstraße entlangziehen.