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SG München, Endurteil v. 23.04.2021 – S 28 KA 116/18
Titel:

Pflichtwidrige Verweigerung der kassenärztlichen Behandlung 

Normenketten:
BMV-Ä § 2 Abs. 2, § 13, § 18
SGB V § 76, § 128 Abs. 5a
Leitsatz:
Die Weigerung eines Vertragsarztes, eine Versicherte wegen kapazitätsmäßiger Überlastung als Kassenpatientin zu behandeln und die stattdessen am selben Tag erfolgende Behandlung der Versicherten aufgrund Privatliquidation stellen einen Verstoß gegen das Sachleistungsprinzip sowie gegen die Vorschrift des § 128 Abs. 5a SGB V dar. (Rn. 29 – 30)
Schlagworte:
Vertragsarzt, kassenärztliche Behandlung, Privatliquidation, Verweigerung, Sachleistungsprinzip, Pflichten
Fundstellen:
BeckRS 2021, 12199
MedR 2022, 72
LSK 2021, 12199

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

1
Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit einer Disziplinarmaßnahme streitig.
2
Der Kläger ist Facharzt für Augenheilkunde und war vom 1.7.2015 bis 31.12.2015 in K. in Einzelpraxis zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen (Vollzulassung). Seit dem 1.1.2016 ist er als angestellter Arzt im M. MVZ in K. tätig.
3
Nach einer Behandlung beim Kläger am 21.9.2015 erhob die gesetzlich Versicherte W. B., die sich zu dem Zeitpunkt auf Kur in K. befunden hatte, Beschwerde wegen der vom Kläger vorgenommenen Privatliquidation. Aufgrund einer schmerzhaften Rötung und Schwellung ihres Auges habe der sie behandelnde Kurarzt einen Termin in der klägerischen Praxis veranlasst. In der Augenarztpraxis sei sie, so die Versicherte in ihrem Beschwerdeschreiben vom 15.12.2015, von der Empfangsdame gefragt worden, ob sie in diesem Quartal bereits bei einem Augenarzt gewesen sei, was sie mit Hinweis auf ihre regelmäßige Behandlung mit Augentropfen bejaht habe. Daraufhin sei ihr gesagt worden, dass sie die Behandlung bezahlen müsse, weil diese nicht mehr bei der Krankenkasse abgerechnet werden könne. Um eine Untersuchung und Behandlung zu erhalten, habe sie ein Formular „Einverständniserklärung“ unterzeichnet und 40 € bezahlt. Weil sie befürchtete, erneut zahlen zu müssen, habe sie den Nachsorgetermin nicht wahrgenommen.
4
In der Einverständniserklärung heißt es:
„Ich wünsche die Durchführung der folgenden individuellen Gesundheitsleistung(en):
Zweitmeinung Mir ist bekannt, dass diese von mir gewünschte(n) ärztliche(n) Leistung(en) nicht zum Leistungskatalog meiner gesetzlichen Krankenkasse gehört und dass die Liquidation für diese Leistung(en) auf der Grundlage der amtlichen Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) erfolgt.
Die Kosten der Leistung(en) betragen: 40,- € Ich erkläre durch meine eigene Unterschrift, dass ich über die vorgesehene(n) Leistung(en) ausreichend aufgeklärt worden bin und die Kosten im Anschluss an die erbrachten Leistungen begleichen werde.
Mir ist außerdem bekannt, dass mein behandelnder Arzt diese Leistung(en) nicht mit meiner Krankenkasse abrechnen kann und die Privatrechnung nicht von meiner Krankenkasse erstattet werden kann.“
5
Der Kläger rechnete für die Behandlung der Versicherten W. B. am 21.9.2015 bei der Beklagten die Grundpauschale (GOP 06212 EBM) sowie einen kleinen chirurgischen Eingriff (GOP 02301 EBM) ab.
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Die Beklagte bat aufgrund der Beschwerde den Kläger, den Sachverhalt aus seiner Sicht zu schildern. Mit Telefax vom 1.12.2015 teilte der Kläger mit, dass im Fall der Versicherten W. B. kein Notfall vorgelegen habe (Jucken, Rötung, Schwellung seit 17.9.), der eine sofortige Behandlung erfordert hätte. Am 21.9.2015 seien 25 Termine vergeben gewesen, so dass im Normalfall keine weiteren Patienten außer absolute Notfälle angenommen werden konnten. Für nicht dringliche Notfälle gebe es genügend Alternativen vor Ort, sowie gegebenenfalls den augenärztlichen Notfalldienst. Deshalb böten sie, insbesondere wenn der Patient im laufenden Quartal schon in vertragsaugenärztlicher Behandlung gewesen sei, an, das Ganze zunächst als „Zweitmeinung“ laufen zu lassen. Dieses Angebot habe die Patientin nachweislich angenommen, niemand habe sie dazu gezwungen. Die Alternativen seien genannt worden. Im Rahmen der gewünschten Privatbehandlung habe sich dann eine zusätzliche kurative Komponente herausgestellt, so dass daneben auch eine vertragsärztliche Behandlung erfolgt sei, die auch zur Ausstellung eines Kassenrezepts geführt habe. Auf Privatrezept seien keine Medikamente verordnet worden.
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Die Beklagte empfahl dem Kläger daraufhin, nochmals die Voraussetzungen einer Privatliquidation im Sinne von § 18 Abs. 8 BMV-Ä juristisch zu prüfen. Der Kläger blieb bei seiner bisherigen Auffassung. Die Beklagte empfahl dem Kläger mit Schreiben vom 26.7.2016, die Rückabwicklung der Privatliquidation in die Wege zu leiten. Mit Schreiben vom 19.10.2016 forderte die Beklagte den Kläger nochmals nachdrücklich auf, an die Versicherte umgehend 40 € zurückzuzahlen. Der Kläger verwies mit Schreiben vom 28.10.2016 erneut darauf, dass sein Personal am 21.9.2015 nach kurzer Rücksprache mit ihm der Versicherten W. B. ein Angebot unterbreitet habe, dass die Patientin ohne irgendeinen vorhandenen Zwang angenommen habe. Im Behandlungszimmer habe die Patientin dazu auch nichts weiter geäußert, ansonsten hätte er ihr gesagt, dass sie Glück habe, dass es drei weitere Augenärzte in K. gebe, und dass sie dort gerne behandelt werde, aber nicht von ihm, da seine Arbeitszeit abgelaufen sei und ein offensichtlich sofort behandlungsbedürftiger Notfall nicht vorliege. Er habe die Patientin gründlicher untersucht, als es aufgrund der geklagten Beschwerden unabdingbar gewesen wäre, woraus sich dann auch eine zusätzliche Behandlung nach 02301 ergeben habe.
8
Mit rechtskräftigem Urteil vom 11.5.2017 (Az.) wies das Amtsgericht K. die Klage der Versicherten W. B. gegen den Kläger wegen der Rückerstattung von 40 € zurück. Das Gericht kam zu der Überzeugung, dass ein Rechtsgrund des Klägers zum Behaltendürfen der 40 € gegeben sei. Nach Auffassung des Gerichts sei zwar offensichtlich keine Zweitmeinung vom Kläger geäußert worden. Aufgrund der Angaben der Zeugin S. (Praxishilfe), da eine Aufklärung und eine Freistellung, einen anderen Arzt aufzusuchen, erfolgt sei, bestehe jedoch in der Einverständniserklärung, die die Versicherte unterzeichnet habe, ein Rechtsgrund für die Zahlung und das Behaltendürfen des Klägers. Der Kläger habe detailliert dargelegt, dass Leistungen erbracht worden seien, die über die Verpflichtung als Kassenarzt hinausgegangen seien. Dabei sei das Gericht nicht in der Lage, definitiv nachzuprüfen, ob die vom Kläger in der Auflistung erbrachten Leistungen alles kassenärztliche Leistungen seien oder nicht.
9
Mit Schreiben vom 27.6.2017 beantragte der Vorstand der Beklagten die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen den Kläger. Die Beklagte informierte den Kläger mit Schreiben vom 11.7.2017 über die Einleitung eines Disziplinarverfahrens.
10
In seiner Stellungnahme verwies der Klägervertreter u.a. darauf, dass der Kläger nur Leistungen, die nicht Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung seien, in Rechnung gestellt habe.
11
Mit Bescheid vom 18.4.2018 verhängte die Beklagte gegen den Kläger eine Geldbuße i.H.v. 2.500,00 €. Der Kläger habe gegen das in § 13 Abs. 2 SGB V normierte Sachleistungsprinzip verstoßen, da er von einer Patientin eine private Liquidation von augenärztlichen Leistungen verlangt habe, die jedoch Inhalt der vertragsärztlichen Versorgung gewesen seien. Nach dem Sachleistungsprinzip habe der Arzt seine Behandlungsleistungen als Sachleistung, d. h. für den Kassenpatienten gänzlich kostenfrei zu erbringen. Gemäß § 13 Abs. 7 BMVdürfe der Vertragsarzt die Behandlung eines Versicherten nur in begründeten Fällen ablehnen. Vorliegend habe es sich um eine Notfall- bzw. akute Schmerzbehandlung gehandelt, deren Verweigerung auch bei Erreichen von Kapazitätsgrenzen als pflichtwidrig zu bewerten sei. Der Kläger habe selbst ausgeführt, dass er ohne die Unterzeichnung der Selbstzahler-Erklärung eine Behandlung der Patientin nicht vorgenommen hätte. Im Abhängigmachen der Behandlung von der Kostenübernahme als Selbstzahler habe der Kläger gegen das Sach- und Dienstleistungsprinzip verstoßen. Die Pflicht zur Sachleistung bestehe auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Patientin in einer stationären Rehabilitation gewesen sei (§ 2 Abs. 2 Nr. 3 BMV-Ä). Der Ausschuss nach § 18 der Satzung der Beklagten halte die vom Kläger vorgefertigte und ausgehändigte Einverständniserklärung zur Kostenübernahme mit dem Vermerk „Zweitmeinung“ für äußerst fragwürdig, da vorliegend keine Zweitmeinung eingeholt worden, sondern ein akutes augenärztlichen Leiden zu behandeln gewesen sei. Es liege kein ausdrückliches Verlangen der Patientin vor Beginn der Behandlung vor, auf eigene Kosten behandelt zu werden, denn die Patientin habe die Einverständniserklärung nur deshalb unterschrieben, damit ihr schmerzhaftes Auge behandelt werde. Desweiteren habe der Kläger trotz der verlangten Privatliquidation zusätzlich für die Behandlung der Patientin die Grundpauschale (GOP 06212 EBM) und einen kleinchirurgischen Eingriff (GOP 02301 EBM) über die Versichertenkarte abgerechnet. Damit liege eine Doppelabrechnung vor, die nicht zulässig sei. In dem Urteil des Amtsgerichts K. sei nicht die Verletzung einer spezifisch vertragsärztlichen Pflicht geprüft worden. In dem Urteil sei ausdrücklich dargelegt worden, dass sich das Gericht bei seiner Entscheidungsfindung nicht in der Lage gesehen habe, definitiv nachzuprüfen, ob die erbrachten Leistungen auch kassenärztlich abrechenbare Leistungen gewesen seien. Insgesamt gehe der Ausschuss durch das Verhalten des Klägers von einem Verstoß gegen das Sachleistungsprinzip sowie von einer unerlaubten Doppelabrechnung aus. Der Kläger habe auch schuldhaft gehandelt. Er hätte seine Behandlungspflicht aufgrund des Sachleistungsprinzips ohne weiteres erkennen können. Bei gewissenhafter Beachtung seiner vertragsärztlichen Pflichten hätte er nicht davon ausgehen können, dass ihm ein Ablehnungsrecht für die Behandlung zustehe bzw. die Behandlung von einer Kostenübernahme abhängig gemacht werden könne. Bereits im Disziplinarverfahren im Jahre 2012 sei ein Verstoß gegen das Sachleistungsprinzip festgestellt worden, so dass dem Kläger hätte bekannt sein müssen, dass der Arzt seine Behandlungsleistungen als Sachleistung zu erbringen habe. Der Kläger habe die Patientin zur Selbstzahlung veranlasst, um eine Behandlung vorzunehmen, so dass der Ausschuss von einem zumindest grob fahrlässigen Verhalten ausgehe. Im Hinblick auf die erfolgte Doppelabrechnung habe der Kläger ebenfalls zumindest grob fahrlässig gehandelt, da ihm hätte bewusst sein müssen, dass die Abrechnung der Leistung sowohl als Privatleistung als auch über die Krankenversichertenkarte nicht rechtmäßig sei.
12
Zu seinen Lasten spreche, dass er mit der Verletzung der Behandlungspflicht gegen einen elementaren Grundsatz des Vertragsarztrechts verstoßen habe. Die Pflicht zur Behandlungsübernahme sowie die Beachtung des Sachleistungsprinzips seien Grundpflichten des Arztes, deren Verletzung sogar zu der Entziehung der Zulassung führen könne. Zulasten des Klägers spreche desweiteren, dass er sich bis heute nicht zur Rückerstattung des zu Unrecht eingeforderten Betrags bereit erklärt habe und damit wenig Einsicht zeige. Desweiteren spreche zu seinen Lasten, dass er bereits 2012 disziplinarisch in Erscheinung getreten sei. Auch hier sei es unter anderem um Verstöße gegen das Sachleistungsprinzip gegangen. Zugunsten des Klägers spreche, dass es sich vorliegend um einen geringfügigen Betrag handele und die vorliegende Pflichtverletzung einen singulären Behandlungsfall betroffen habe. Um den Kläger für die Zukunft zur Erfüllung seiner vertraglichärztlichen Pflichten anzuhalten, könne auf die Verhängung einer Maßnahme nicht verzichtet werden. Dem Vertragsarzt müsse deutlich vor Augen geführt werden, dass er sich an die gültigen Regeln in der vertragsärztlichen Versorgung halten müsse. Unter Abwägung der Schwere des Verstoßes, der den Grundgedanken des vertraglichen Systems gefährde, einerseits und der Geringfügigkeit der Rückforderung andererseits, halte der Ausschuss eine Geldbuße im unteren Bereich gerade noch für die angemessene und verhältnismäßige Maßnahme. Eine Geldbuße in Höhe von 2.500,00 € sei erforderlich, aber auch ausreichend, um den Kläger in Zukunft zur strikten Einhaltung aller vertragsärztlichen Pflichten anzuhalten.
13
Der Kläger hat am 17.5.2018 Klage zum Sozialgericht München erhoben. Zur Klagebegründung hat der Kläger u.a. ausgeführt, dass die Verhängung der Geldstrafe gegen Art. 12 Abs. 1 GG verstoße. Es habe kein Notfall vorgelegen. Der Kläger habe aufgrund des Urteils des Amtsgerichts K. darauf vertrauen können, dass er rechtmäßig gehandelt habe. Die Beklagte sei aufgrund früherer Verfahren gegen den Kläger befangen. Die Beklagte verkenne, dass überhaupt keine vertragsärztliche Behandlung durch den Kläger erforderlich gewesen sei. Die Beklagte akzeptiere nicht die Vertragsfreiheit.
14
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 18.4.2018 aufzuheben.
15
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
16
Die Beklagte weist darauf hin, dass das Urteil des Amtsgericht K. keine Bindungswirkung für das gegenständliche Verfahren hat. Der Kläger habe die Notfallbehandlung von der Kostenübernahme abhängig gemacht, bevor er überhaupt habe beurteilen können, ob es sich um eine Notfallsituation handelte. Diese Einschätzung könne und dürfe nicht durch das Praxispersonal vorgenommen werden. Die Verweigerung der Notfallbehandlung sei als pflichtwidrig zu bewerten. Der Arzt dürfe die Behandlung nicht verweigern, aber bei Privatliquidation zur Durchführung bereit sein.
17
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts wegen der Einzelheiten auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

18
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Der Disziplinarbescheid vom 18.4.2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
19
Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Anfechtungsklage liegen vor. Ein Vorverfahren war nicht durchzuführen (§ 81 Abs. 5 Satz 4 SGB V).
20
Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Disziplinarbescheid vom 18.4.2018 ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Aufhebung des Bescheids.
21
Der Bescheid ist formell rechtmäßig. Insbesondere hat der Vorstand der Beklagten innerhalb von zwei Jahren ab Bekanntwerden der Verfehlung das Disziplinarverfahren eingeleitet (§ 18 Abs. 3 der Satzung der Beklagten).
22
Der Disziplinarbescheid vom 18.4.2018 ist auch materiellrechtlich nicht zu beanstanden.
23
Vorab weist das Gericht darauf hin, dass sich der Kläger vorliegend nicht auf das Urteil des AG K. vom 11.5.2017 berufen kann. Unabhängig davon, dass das Urteil einen anderen Streitgegenstand betrifft, erstreckt sich seine Rechtskraft nur auf die Parteien des zivilgerichtlichen Rechtsstreits (§ 325 ZPO); die hiesige Beklagte war dort nicht beteiligt.
24
Hinsichtlich des gerichtlichen Prüfmaßstabs gilt folgendes:
„Die gerichtliche Nachprüfung von Disziplinarmaßnahmen erfolgt in zwei Schritten. Das Vorliegen des schuldhaften Pflichtenverstoßes als tatbestandliche Voraussetzung ist uneingeschränkt nachprüfbar. Bei der Auswahl der Maßnahme steht den Disziplinarorganen ein Ermessensspielraum zu. Ergibt sich bei der gerichtlichen Nachprüfung von Pflichtverstößen, dass einige der bei der Verhängung der Maßnahme zugrunde gelegten Vorwürfe entfallen, so ist der Bescheid nicht rechtswidrig, wenn die übrigen Vorwürfe die ausgesprochene Maßnahme nach Art und Höhe und Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes rechtfertigen und vom Disziplinarorgan dargelegte Ermessenserwägungen nicht entgegenstehen“ (Steinmann-Munzinger in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl. (Stand: 15.06.2020), § 81 Rn. 98 m.w.N.).
25
Die Beklagte hat zutreffend festgestellt, dass der Kläger zumindest grob fahrlässig gegen das Sachleistungsprinzip verstoßen und unzulässig doppelt abgerechnet hat.
26
Nach dem Sachleistungsprinzip hat der Arzt seine Leistung als Sachleistung, das heißt für den Kassenpatienten gänzlich kostenfrei zu erbringen (BayLSG, Urteil vom 15.1.2014, Az. L 12 KA 91/13, Rn. 17).
27
Zur ärztlichen Behandlung im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung gehören auch ärztliche Leistungen bei interkurrenten Erkrankungen während ambulanter Vorsorgeleistungen in anerkannten Kurorten sowie ambulant ausgeführte Leistungen, die während einer stationären Rehabilitation erforderlich werden und nicht mit dem Heilbehandlungsleiden im Zusammenhang stehen (§ 2 Abs. 2 Nr. 3 BMV-Ä).
28
Es kann offenbleiben, ob im Fall der Versicherten W. B. ein Notfall i.S.d. § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V vorlag oder nicht. Unabhängig von der Frage der dringenden Behandlungsbedürftigkeit war die Versicherte am 21.9.2015 auf jeden Fall behandlungsbedürftig. Dies ergibt sich aus ihren damals unstreitig bestehenden Beschwerden (vgl. auch die klägerische Dokumentation: „Jucken, Rötung, Schwellung seit 17.9.“), aus dem Umstand, dass der Kläger eine Talgzyste am Augenlid der Versicherten entfernte sowie aus der Beschwerdebegründung der Versicherten, wonach im Anschluss an die Behandlung vom 21.9.2015 ein Nachsorgetermin beim Kläger vereinbart worden war.
29
Nach Überzeugung der Kammer hatte der Kläger die Pflicht, die Versicherte W. B. am 21.9.2015 zu behandeln. Gem. § 13 Abs. 7 Satz 3 BMV-Ä darf der Vertragsarzt, sofern kein Fall des § 13 Abs. 7 Sätze 1, 2 BMV-Ä vorliegt, die Behandlung eines Versicherten nur in begründeten Fällen ablehnen. Grundsätzlich kann eine kapazitätsmäßige Überlastung des Arztes einen derartigen begründeten Ablehnungsgrund darstellen (Trieb in Schiller (Hrsg.): Bundesmantelvertrag Ärzte, 2014, § 13 Rn. 33). Am Montag, den 21.9.2015, lag eine solche Überlastung beim Kläger jedoch entgegen seiner Behauptung nicht vor. Andernfalls hätte der Kläger keine Zeit gehabt, bei der Versicherten an diesem Tag eine - lt. Klägervortrag ausführliche - privatärztliche Behandlung inkl. kleinchirurgischen Eingriff vorzunehmen.
30
Indem der Kläger die von der Versicherten begehrte GKV-Behandlung am 21.9.2015 als privatärztliche Behandlung anbot und abrechnete, verstieß er gegen das Sachleistungsprinzip sowie gegen die Vorschrift des § 128 Abs. 5a SGB V. Diese lautet: Vertragsärzte, die unzulässige Zuwendungen fordern oder annehmen oder Versicherte zur Inanspruchnahme einer privatärztlichen Versorgung anstelle der ihnen zustehenden Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung beeinflussen, verstoßen gegen ihre vertragsärztlichen Pflichten.
31
Der Kläger kann sich auch nicht auf die Vertragsfreiheit berufen. Der Vertragsfreiheit steht die dem Kläger gegenüber der Versicherten W. B. obliegende Behandlungspflicht gem. § 13 Abs. 7 BMV-Ä entgegen. Über diese Behandlungspflicht hat der Kläger die Versicherte fehlerhaft informiert und somit unzulässig zur Unterzeichnung der Einverständniserklärung und Zahlung von 40,00 € „motiviert“. Auch im Übrigen kann die Kammer die vom Kläger verwendete Einverständniserklärung nicht nachvollziehen. Gegenstand der „vereinbarten“ privatärztlichen Behandlung war offensichtlich keine Zweitmeinung, sondern eine „Erstmeinung“ des Klägers zu den aktuellen Beschwerden der Versicherten. Aus den obigen Ausführungen ergibt sich auch eindeutig, dass es sich um eine GKV-Leistung und gerade nicht um eine individuelle Gesundheitsleistung (IGEL-Leistung) handelte. Schließlich widerspricht die gegenüber der Beklagten erfolgte Abrechnung (Ziffern 06212 und 02301 EBM) der Aussage der privatärztlichen „Einverständniserklärung“, wonach die vereinbarten Leistung(en) nicht mit der Krankenkasse der Versicherten abgerechnet werden könnten.
32
Dementsprechend liegen auch die Voraussetzungen des § 18 Abs. 8 Satz 3 Nr. 2 BMV-Ä nicht vor, wonach der Vertragsarzt von einem Versicherten eine Vergütung nur fordern darf, wenn und soweit der Versicherte vor Beginn der Behandlung ausdrücklich verlangt, auf eigene Kosten behandelt zu werden, und dieses dem Vertragsarzt schriftlich bestätigt. Es ist offensichtlich, dass ein solches ausdrückliches Verlangen der Versicherten vor Beginn der Behandlung nicht erfolgte. Indem der Kläger die Versicherte fehlerhaft über seine (tatsächlich bestehende) Behandlungspflicht sowie die Voraussetzungen und Rechtmäßigkeit einer Privatliquidation aufklärte und die (mögliche) Doppelabrechnung bei der Beklagten verschwieg, beeinflusste der Kläger die Versicherte auf unzulässige Weise dazu, ihr schriftliches Einverständnis zur Zahlung von 40,00 € für eine „Zweitmeinung“ zu geben (vgl. zum Ganzen auch Hesral in: Ehlers (Hrsg.), Disziplinarrecht für Ärzte und Zahnärzte, 2. Auflage 2013, Rn. 107ff. sowie auch BSG, Urteil vom 14.3.2001, Az. B 6 KA 67/00 R, Rn. 21 zum Ausnutzen einer Zwangssituation eines Patienten durch einen Arzt).
33
Die Beklagte hat auch zutreffend festgestellt, dass der Kläger die Behandlung der Versicherten W. B. unerlaubt doppelt abgerechnet hat. Die Privatliquidation sollte offensichtlich pauschal die gesamte Behandlung der Versicherten am 21.9.2015 umfassen; eine nähere Aufschlüsselung der einzelnen Leistungen (vgl. § 12 Abs. 2 GOÄ) erfolgte nicht. Infolgedessen ist die zusätzliche Abrechnung der Ziffern 06212 und 02301 EBM gegenüber der Beklagten als unzulässige Doppelabrechnung einzustufen.
34
Ein im Hinblick auf die festgestellten Pflichtverstöße des Klägers vorliegender Grundrechtsverstoß ist unter keinem denkbaren Gesichtspunkt ersichtlich (vgl. auch BayLSG, ebenda, Rn. 19).
35
Der Kläger handelte auch schuldhaft. Die Beklagte ist zutreffend von einem zumindest grob fahrlässigen Verstoß gegen das Sachleistungsprinzip sowie von einer zumindest grob fahrlässigen unzulässigen Doppelabrechnung des Klägers ausgegangen. Unabhängig von seiner langjährigen vertragsärztlichen Tätigkeit hätte der Klägers spätestens aufgrund seines Disziplinarverfahrens aus dem Jahr 2012, das dem Urteil des BayLSG vom 15.1.2014, Az. L 12 KA 91/13, zugrunde lag und das ebenfalls u.a. einen Verstoß des Klägers gegen das Sachleistungsprinzip zum Gegenstand hatte, wissen müssen, dass er die von der Versicherten erwünschte Leistung hätte kostenfrei erbringen müssen. Auch hätte ihm bewusst sein müssen, dass die Abrechnung der Leistung sowohl als Privatleistung als auch über die Krankenversichertenkarte nicht rechtmäßig ist.
36
Die Kammer hat auch keine Zweifel, dass die verhängte Geldbuße i.H.v. 2.500,00 € verhältnismäßig und die ihr zugrundeliegende Entscheidung - auch unter Berücksichtigung des lt. Satzung der Beklagten zum Behandlungszeitpunkt am 21.9.2015 noch geltenden Höchstmaßes der Geldbußen i.H.v. 10.000,00 € - ermessensfehlerfrei ist. Die Beklagte hat zutreffend ausgeführt, dass der Kläger mit der Nichtübernahme der Behandlung sowie der Nichtbeachtung des Sachleistungsprinzips gegen eine elementare vertragsärztliche Pflicht verstoßen hat. Trotz mehrfacher Aufforderungen durch die Beklagte hat er sich geweigert, den Betrag von 40,00 € an die Versicherte zurückzuzahlen und damit keine Einsicht in sein pflichtwidriges Verhalten gezeigt. Erschwerend hat die Beklagte berücksichtigt, dass der Kläger bereits disziplinarrechtlich in Erscheinung getreten ist und es bereits der zweite Verstoß des Klägers gegen das Sachleistungsprinzip war. Zu Gunsten des Klägers hat die Beklagte in ihre Entscheidung eingestellt, dass es sich um einen geringfügigen Betrag handelte und die vorliegende Pflichtverletzung einen singulären Behandlungsfall betroffen habe. Ob allerdings letztere Erwägung zu Gunsten des Klägers in die Ermessensentscheidung einzustellen war, lässt das Gericht offen. Die Aussage des Klägers in seinem Telefax vom 1.12.2015, sie böten, insbesondere wenn der Patient im laufenden Quartal schon in vertragsaugenärztlicher Behandlung gewesen sei, an, das Ganze zunächst als „Zweitmeinung“ laufen zu lassen, spricht eher dafür, dass die Privatliquidation der GKV-Leistung bei der Behandlung der Versicherten W. B. kein Einzelfall gewesen ist.
37
Nach alledem ist der streitgegenständliche Disziplinarbescheid der Beklagten hinsichtlich der Auswahl und der Festsetzung der Höhe der Maßnahme ermessensfehlerfrei.
38
Die Klage war daher abzuweisen.
39
Die Kostenentscheidung basiert auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.