„Ich bin geheilt“Kölner gründete die AfD mit – und wird sie nicht mehr los

Lesezeit 5 Minuten
Steht vor dem erstmaligen Einzug in den deutschen Bundestag: die Alternative für Deutschland, das Bild zeigt ein Wahlplakat der Partei.

Steht vor dem erstmaligen Einzug in den deutschen Bundestag: die Alternative für Deutschland, das Bild zeigt ein Wahlplakat der Partei.

Köln – Das ist die Geschichte des Kölners Jobst Landgrebe, der laut eigener Aussage auszog, um die Euro-Rettung zu verhindern – und jetzt trotz jüdischer Vorfahren als Nazi dasteht. Und das ist die Geschichte einer Partei, die auszog, um die Euro-Rettung zu verhindern – und die zumindest mitverantwortlich ist für eine Stimmung in der Gesellschaft, in der Wut und Hass immer öfter aufblitzen.

Vor rund viereinhalb Jahren, als diese Partei gegründet wurde, war das nicht abzusehen. Es ist eine Partei, die die politische Landschaft in Deutschland wie kaum eine andere vor ihr verändert hat. Es ist eine Partei, die sehr wahrscheinlich am Sonntag erstmals in den deutschen Bundestag einziehen wird, mit ihr die umstrittenen Spitzenkandidaten Alexander Gauland und Alice Weidel.

„Es war kein Fehler, die AfD zu gründen“

Es ist: die Alternative für Deutschland, besser bekannt als AfD. Jobst Landgrebe, 46, sagt heute: „Es war kein Fehler, die AfD zu gründen. Ich würde es wieder tun und bin auch stolz darauf.“ Aber er sagt auch: „Es war ein Versuch, der nach hinten losging.“

Es ist ein Versuch, der Landgrebe heute laut eigener Aussage geschäftlich schadet – obwohl er längst kein Mitglied mehr ist. Er ist Geschäftsführer eines Unternehmens für künstliche Intelligenz an der Bonner Straße. Deshalb willigt er ein zum Gespräch, er will sich – wie er sehr häufig betont – distanzieren von der AfD, über die die Bundeszentrale für Politische Bildung schreibt: „In Teilen der Partei sind inzwischen auch völkisch-nationalistische und rechtsextreme Tendenzen erkennbar.“

Wut auf die Politik der Bundesregierung

Was Landgrebe mittlerweile einen Versuch nennt, nimmt seinen Anfang am 6. Februar 2013, einem Mittwoch. Vermutlich 18 Menschen sind seinerzeit im hessischen Oberursel dabei und gründen die AfD, die Partei selbst äußert sich trotz mehrfacher Nachfrage nicht. Diese Menschen treibt die Wut auf die Politik der Bundesregierung, es ist die Zeit der Euro-Krise, die Frage, ob der Euro als Währung eine Zukunft hat, und ja, ob Deutschland Ländern Kredite geben soll, die vor dem finanziellen Kollaps stehen. Landgrebe sagt auch jetzt noch: „Der Euro wird scheitern und die EU zerstören.“ Eine neue Partei musste also in den Augen dieser 18 Menschen her, eine Alternative, die Alternative für Deutschland eben.

Und Landgrebe, vormals FDP-Mitglied, ist in Oberursel dabei, hat vorher im Schweizer „Monat“ einen Artikel geschrieben. Der Titel: „Zu den kulturellen Ursachen der Euro-Krise“. Er schickt ihn laut eigener Aussage an den Ökonom Bernd Lucke von der „Wahlalternative 2013“, der Vorgängerorganisation der AfD. Lucke wird später das Gesicht schlechthin der AfD, bevor er die Partei 2015 im Streit verlässt.

Einwanderung spielte bei der Gründung keine Rolle

Doch im Frühjahr 2013 ist nicht absehbar, dass die AfD Jahre danach, im Frühjahr 2017 etwa, beim Parteitag in Köln, Zehntausende Gegendemonstranten auf die Straße bringt. Noch ist die Partei nur eine Idee, eine Hoffnung der Gründer. Das Thema Einwanderung spielt laut Landgrebe am Gründungstag keine Rolle, er sagt: „Es hätte ja sein können, dass aus der Partei ein totaler Flop geworden wäre oder eine Splitterpartei.“

Es kommt anders. Landgrebe gründet im Frühjahr 2013 den Landesableger in Nordrhein-Westfalen, die Partei wächst rasant, gewinnt Hunderte neuer Mitglieder. Mitglieder, die nicht jedem in den Kram passen, auch Landgrebe, seinerzeit stellvertretender Vorsitzender des Landesverbandes. Nach seinen Angaben wollen immer mehr Menschen mit rechtem Gedankengut in die Partei, laut Landgrebe Gefolgsleute von Martin Renner, heute Spitzenkandidat der AfD in Nordrhein-Westfalen und ebenfalls Gründungsmitglied. Landgrebe sagt: „Dann ist die Partei nach rechts gekippt. Ich dachte, die Vorstellungen sind so lächerlich, dass sie sich niemals durchsetzen. Doch das haben sie.“ Renner sieht das anders, sagt: „Das war eher eine machtpolitische Auseinandersetzung.“

Machtkämpfe und Postengeschacher

Landgrebe, so sagt er heute, fühlt sich zunehmend unwohl angesichts fremdenfeindlicher Kommentare auf Internetseiten der AfD, er merkt, dass er kein Parteipolitiker ist, kein Menschenfänger. „Ich bin kein geeigneter Repräsentant für die Durchschnittsbevölkerung, ich bin ein Intellektueller.“ Zunächst legt er sein Amt nieder, hat genug von ewigen Sitzungen, Machtkämpfen und Postengeschacher.

Später tritt er auch für einige Tage aus der Partei aus, dann wieder ein – nur für wenige Monate, im Februar 2014 ist endgültig Schluss: Landgrebe verlässt die Partei, nennt die rechten Tendenzen als Grund, bezeichnet sich als echten Liberalen. „Darauf bin ich stolz, dass ich die Entwicklung kommen gesehen habe. Ich würde im Nachhinein sagen, dass ich alles richtig gemacht habe.“ Renner sieht das anders, sagt zu einem möglichen Rechtsruck. „Das stimmt nicht, den Ruck gab es nicht. In meinen Augen hat er dem Stress nicht mehr Stand gehalten.“

Falsche Dynamik bei der AfD

Renner und Landgrebe haben keine besonders hohe Meinung voneinander, stehen in dieser Anfangszeit vermutlich für die gegensätzlichen Pole einer Partei, die noch ihre Richtung, ihren inhaltlichen Kompass sucht. Landgrebe sagt: „Es ist schon interessant zu sehen, was für eine Dynamik eine Parteigründung bekommen kann. Nur leider ist es bei der AfD eine falsche Dynamik geworden. Das tut mir leid.“ Trotzdem findet er den Umgang mit der Partei einer pluralistischen Demokratie unwürdig, schämt sich dafür.

Mit der AfD hat er heute nichts mehr zu tun, keinen Kontakt mehr, sagt Landgrebe. Die Kölner Kreisgruppe bestätigt das. Aber los wird er die Alternative für Deutschland nicht. Tatsächlich schlägt die Suchmaschine Google als erstes das Wort „AfD“ vor, wenn man Jobst Landgrebe sucht. Das gefällt ihm nicht. Überhaupt nicht.

Die Flucht nach vorne

„Es schadet mir geschäftlich, weil es immer noch im Internet zu finden ist“, sagt er. Nun sucht er die Flucht nach vorne, will die Schatten der Vergangenheit ablegen, veröffentlicht auf seiner Internetseite seinen AfD-Werdegang. Denn Kunden rufen ihn an, lehnen eine Zusammenarbeit mit ihm ab, erzählt er. AfD? Nein, keine Chance. „Es ist jedes Mal hart für meine Seele, als Rechtsextremist bezeichnet zu werden – gerade vor dem Hintergrund meiner jüdischen Familiengeschichte. Das tut mir jedes Mal weh.“

Bei der Bundestagswahl will er nicht die AfD wählen, mit Politik hat er nichts mehr am Hut – jetzt, gut viereinhalb Jahre nach jenem 6. Februar 2013. Zu einer Rückkehr in die Politik sagt er: „Nein, nie mehr. Ich bin geheilt.“

Rundschau abonnieren