Der Blick in einen überfüllten Bahnhofskiosk lässt einen immer wieder staunen, wie viele Zeitschriftenkäufer es bei all den Berichten zum Schwinden der Mediengattung Print dann doch noch geben muss. Aber es existieren in Deutschland nur drei große Wochenmagazine, die wahrscheinlich wirklich jeder kennt: Focus, Spiegel und Stern. Sie gehören zu den Printerzeugnissen, denen andere Journalisten zutrauen, Themen von allgemeinem Interesse zu setzen und aufzubereiten. Und es sind diejenigen, auf die andere Journalisten schauen, wenn sie sich fragen, wie es der Magazinbranche geht.

Alle drei sind in diesen Tagen aus vergleichbaren Gründen selbst zum Nachrichtenthema geworden. Der Chefredakteur des Spiegels ist offenbar angezählt, die Chefredakteure von Stern und Focus wurden beziehungsweise werden ausgetauscht. Wolfgang Büchner, Dominik Wichmann und Jörg Quoos, alle drei hatten erst im Jahr 2013 die Verantwortung übernommen. Was ist da los?

Zunächst einmal haben die einzelnen Fälle wenig miteinander zu tun – die Organisation des mitarbeiterdominierten Spiegel ist eine ganz andere als die des verlagsgeführten Stern. Die Branchenprobleme hingegen teilen alle drei.

Um sie kurz zusammenzufassen: Die Finanzierung von Medien ist erheblich komplizierter geworden, seit mediale Inhalte auf mehr unterschiedlichen Verbreitungswegen als früher, und zum Teil unentgeltlich, ihr Publikum erreichen. Die Konkurrenz um die Aufmerksamkeit der Leser ist größer geworden, das Anzeigengeschäft läuft auch längst nicht mehr so gut wie damals, als große Unternehmen um Werbung in Printmedien nicht herumkamen. Und es gibt keinen Medientitel mehr, den man nicht verpasst haben darf, so wie man früher Wetten, dass..? nicht verpasst haben durfte, wenn man montagmorgens im Büro mitreden wollte. Das Lagerfeuer-Fernsehen funktioniert nicht mehr so gut wie früher. Und auch für Lagerfeuer-Printmedien wird es offensichtlich immer schwerer.

In dieser Zeit der Unsicherheit, in der das journalistische Handwerkszeug nicht mehr in einen Werkzeugkasten, sondern nur noch in einen Baumarkt passt, haben Chefredakteure unter anderem drei Aufgaben: Leser zu überzeugen, dass sie nicht nur einmal, sondern jede Woche an den Kiosk gehen. Die Redakteure, die dummerweise allesamt Medienexperten sind, davon zu überzeugen, dass der eingeschlagene Weg der richtige ist. Und den Verlag möglichst schnell mit ansprechenden Zahlen zufriedenzustellen.

Der Weg der Öffentlich-Rechtlichen

Eigentlich kennt jeder einzelne Journalist in diesem Land eine Lösung des Problems – nur kennt jeder Journalist eine graduell andere. Was fehlt, ist die große Idee, mit der nachweislich alles gut wird. Gäbe es die, müssten Verlage nicht an einzelne Verantwortliche glauben. Redakteure würden allgemein anerkannte Masterpläne umsetzen und abends zufrieden Cognac trinken, wie damals, als Rudolf Augstein noch Themen ganz ohne Facebook setzte. Und Leser würden tun, was ihr Job ist: journalistische Qualitätsprodukte kaufen und nicht ständig fremdgehen. Mit Handyspielen. Büchern. Der Apotheken-Umschau.

Konfrontiert mit der Wirklichkeit der vielen Ansätze aber schlagen Medienhäuser den Weg der Öffentlich-Rechtlichen ein. Die werden seit Jahren dafür kritisiert, auf die Quote fixiert zu sein, obwohl sie das nicht sein müssten. Die Quote ist ein Instrument der Werbewirtschaft, nicht der Qualitätskontrolle, und in den Öffentlich-Rechtlichen gibt es nur in kleinen Zeitfenstern Werbung. Sie könnten sich also auf ihr eigenes Urteil verlassen und Programme zeigen, die sie nach journalistischen, publizistischen oder ästhetischen Kriterien für gut und relevant erachten. Sie könnten Mad Men produzieren oder Schlag den Raab. Aber sie produzieren den Bergdoktor und Rankingshows – weil sie damit mehr Publikum erreichen als mit schwierigen Mehrteilern von Dominik Graf, die es zwar auch mal gibt, die aber noch ins Spätprogramm verbannt werden, bevor sie zu Ende sind.

Was die Sender nicht bedenken, ist die Langzeitwirkung. Die Erwartungen an das Programm und die Lust, einzuschalten, sinken. Das Vertrauen sinkt. Wer immer auf das größte Publikum setzt, erreicht das wirklich große Publikum nur noch in Ausnahmefällen.

Krebs? Nackte Frau!

Auch Printmedien folgen einem Quotenprinzip, das gilt nun nicht nur für Focus, Spiegel und Stern. Die verkaufte Auflage ist eine der Währungen, in denen Qualität gemessen wird, weil es keine rein publizistische Währung gibt. Und das hat ähnliche Folgen wie bei den Öffentlich-Rechtlichen. Der schnelle Quotenerfolg wird überbewertet, die längerfristige Entwicklung einer eigenen Identität wird unterschätzt. Warum sonst zeigt ein Magazin eine nackte Frau auf dem Titelblatt, wenn es um Krebs geht? Das ist der Hybrid aus Playboy und Nachmittagsprogramm des MDR – Oberfläche, gepaart mit Kompromiss. Und wenn die Zahlen dann nicht stimmen, versucht man lieber ganz schnell etwas ganz anderes, irgendetwas. Spiegel Online ist ein Beispiel dafür, dass eine eigene Idee und langer Atem bei ihrer Umsetzung nicht schaden können. In den neunziger Jahren, als kaum ein deutscher Verlag in Onlinejournalismus investierte, wurde Spiegel Online groß – und ist es seitdem geblieben.

Da ja, wie bereits erwähnt, jeder einzelne Journalist in diesem Land die Lösung aller Probleme kennt, will ich vielleicht mal meine verraten – die ist nämlich wirklich die beste. Ich arbeite seit fünf Monaten für ZEIT ONLINE, ein Onlinemedium also, und Onlinemedien ist die Reichweitenorientierung auch nicht ganz fremd. Ich habe seitdem erstens gelernt, was es bedeutet, dass der Erfolg jedes einzelnen Beitrags gemessen werden kann; dass man genau weiß, wie viele Menschen auf einen Text klicken. Es gibt eine Psychologie der Quote. Man gerät leicht in Versuchung, die Überschrift etwas stärker zuzuspitzen als nötig, das bringt Klicks, die man leicht als Qualität verkaufen kann.

Aber, zweitens: Man kann sich doch ziemlich darauf verlassen, dass ein Beitrag, den man selbst wirklich absolut gelungen findet, den man selbst weiterempfiehlt, den man Freunden schickt mit dem Hinweis, die Lektüre lohne sich – dass ein solcher Beitrag überdurchschnittlich viele Leser findet. Immer. Die scheinen es dann doch zu merken, wenn sie gute Texte lesen.