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Sascha Lobo

Angela Merkels Digitalpolitik Witze übers eigene Versagen

Die Kanzlerin hinterlässt eine digitale Trümmerlandschaft und macht sich darüber auch noch lustig. Unser Kolumnist ist empört - und dankbar, weil sie die Urheberrechts-Propaganda der eigenen Partei entlarvt.
Angela Merkel

Angela Merkel

Foto: ADAM BERRY/ EPA-EFE/ REX

Europa flucht und lacht zugleich über den Brexit - warum auch nicht? Fluchen als Anklage des Realitätsverlusts britischer Politik. Und Lachen zur Bewältigung. Aber dann wieder stellt die EU selbst nichts anderes her als einen Dig-xit, also ihren digitalen Exit. Beiden Exits ist gemein, dass die herrschende Generation aus egozentrischem Unwillen , die Perspektive auch nur um ein My vom eigenen Nabel zu lösen, auf Jahre die Chancen und Möglichkeiten der Nachfolgenden mindert oder ruiniert.

Schlaglicht auf Deutschland, die treibende Kraft des EU-Digitaldebakels, das dem Brexit strukturell so ähnelt: Angela Merkel hinterlässt Deutschland als digitale Trümmerlandschaft der Infrastruktur und macht sich darüber auch noch lustig. Auf einer Konferenz am 19. Februar 2019 in Berlin erzählte sie den großartigen Premiumwitz, dass man in Brandenburg mancherorts schon froh wäre , wenn man 2G hätte. Seit 2005 ist Merkel Kanzlerin, seit spätestens 2007 sind von ihren verschiedenen Bundesregierungen immer und immer wieder Versprechungen zur digitalen Infrastruktur gemacht und gebrochen worden, und 2019 reißt Merkel einen Witz über ihr eigenes Versagen, unter dem andere leiden. Was für eine Unverschämtheit.

Wir brauchen unbedingt eine Regulierung der großen Plattformen

Zur Merkels antidigitalem Vermächtnis gehört die gegenwärtige EU-Urheberrechtsreform. Ich möchte betonen: Ja, wir brauchen eine Urheberrechtsreform, ja, wir brauchen ein Urheberrecht, das im Digitalen vor allem für Kreative besser funktioniert, und ja, wir brauchen unbedingt eine Regulierung der großen Plattformen, und zwar eine ohne Rücksicht auf deren radikale Profitorientierung.

Es gäbe für eine sinnvolle Urheberrechtsreform auch Ansätze. Anders als oft behauptet , lagen in den Jahren der Verhandlungen viele kluge, konkrete Vorschläge auf dem Tisch der Verantwortlichen, sind aber ignoriert worden. Stattdessen ist die gegenwärtige Ausformulierung eine Farce, die in Sachen Realitätsverleugnung mit der "Flat-Earth"-Bewegung gleichzieht.

Ein eingängiges Beispiel liefern die größten Verfechter dieser Reform, auf die Angela Merkel in ihrem Desinteresse für die mittelfristigen Wirkungen ihrer Digitalpolitik gehört hat, sogar selbst. Der Kommunikationschef des Bundesverbands der Zeitungsverleger, der maßgeblichen Lobby des Artikel 11, behauptet auf Twitter: "Das größte Problem ist sicherlich, dass die kreativen Inhalte der Presseverlage im Netz bisher nicht urheberrechtlich geschützt sind."  Das ist offensive Desinformation, denn natürlich sind die von den Presseverlagen verwerteten Inhalte im Netz geschützt. Aber die Verlage sind in der Regel Verwerter und keine Urheber. Der Satz hat deshalb etwa den gleichen Wert wie: "Die Inhalte der Presseverleger im Netz sind nicht durch die Straßenverkehrsordnung geschützt." Technisch nicht völlig falsch, aber ein Argument aus der gleichen Welt, in der Stuhlgang ein Gang mit Stühlen ist.

In einer Hinsicht muss man Angela Merkel geradezu dankbar sein für ihre Rede. Sie hat die Propaganda gewisser CDU-Mitglieder über den besonders umstrittenen Artikel 13 versehentlich als Irreführung entlarvt. Sie sagte: "Die Uploadfilter heißen jetzt schon Merkelfilter"  - wohingegen der CDU-Abgeordnete Axel Voss, zuständiger Berichterstatter im EU-Parlament, immer wieder betonte , dass "wir gar keine Filter im Text haben!! Bitte mal sich vorher kundig machen!"

Soso, Axel Voss, es gibt keine Uploadfilter, jedenfalls nicht im Text, und trotzdem verteidigt Merkel die Uploadfilter, natürlich wieder mit einem köstlichen Premiumscherz. Sprachtechnisch hat Voss zwar Recht, das Wort "Uploadfilter" kommt im Text nicht vor. Aber dieses Argument ist, als würde man jemandem vorschreiben, innerhalb von acht Stunden von Frankfurt nach New York zu gelangen . Das Wort "Flugzeug" muss dann nicht erwähnt werden und ist trotzdem die einzige Möglichkeit.

Urheberrecht und andere Schutzrechte verwechselt und verdreht

Besagter Axel Voss übrigens zeigt immer wieder, dass sein Verständnis von Internet und Urheberrecht mangelhaft ist. Zuletzt erklärte er im Rechtsausschuss , die Datingplattform Tinder sei nicht von Artikel 13 betroffen, weil es dort nur ab und zu mal ein geschütztes (Profil-)Foto gebe, aber keine großen Mengen. Natürlich ist - wie die Abgeordnete Julia Reda hervorhebt - jedes Foto geschützt, und nicht nur die von professionellen Fotografen. Es ist kein Zufall, dass Voss hier Urheberrecht und andere Schutzrechte verwechselt und verdreht, es ist vielmehr die wahre Substanz dieser Reform. Weil es um die Interessen der Verwerter - eigentlich nur mancher Verwerter  - geht und nicht um die der Kreativen oder gar der Bevölkerung.

Die aktuelle Urheberrechtsreform ist Konzernpolitik und stärkt letztlich die Position von Google bis Facebook. Weil diese Riesenkonzerne - wenn überhaupt - die einzigen Plattformen sein werden, die sich das Rechtsrisiko leisten können, von Nutzern hochgeladene Inhalte zu erlauben. Und wer dagegen protestiert, wird von der EU-Kommission schriftlich als "Mob" beschimpft .

Ja, das ist wirklich so passiert (auch wenn der Beitrag inzwischen gelöscht wurde), demokratischer Protest gleich Mob. Sie machen es uns wirklich, wirklich, wirklich schwer, unsere Liebe zur EU aufrechtzuerhalten. Vielleicht sollte sich die EU-Kommission einen besser zum moblosen Durchregieren geeigneten Kontinent suchen, meine Empfehlung wäre die Antarktis.

Kein Interessenausgleich, keine Folgenabschätzung, keine Rücksicht

Der Dig-xit, diese antidigitale, antijunge Aggression der EU verkleidet sich als Schutz der Kreativen. Man erkennt diese Täuschung leicht: Wo die Interessen von Urhebern und Verwertungskonzernen auseinandergehen - und das ist ab und an der Fall - ist bei dieser Reform mit größter Tendenz pro Konzerne entschieden worden. Eines von vielen Beispielen ist der sogenannte Total Buy Out, ein Vertrag, mit dem Verwerter wie Verlage die Urheber, um die es ja vorgeblich geht, faktisch enteignen können. Ginge es der EU wirklich um Urheber, hätte sie Total Buy Out (wie anfangs geplant) verboten oder stark eingeschränkt. Riesenüberraschung: hat sie nicht .

Und schon ertönen Stimmen, die im letzten Entwurf sogar noch eine Verschlimmerung sehen. Fachanwälte und Rechtsprofessoren sagen Sätze wie: "Der Charakter des Internets würde sich nachhaltig verändern".  Sie sagen aber auch - und das ist die vielleicht bitterste Parallele zum Brexit: "Man hat erneut das Gefühl, dass vielen Abgeordneten des EU-Parlaments einmal mehr die Bedeutung und Tragweite ihrer Entscheidung nicht bewusst ist." 

Exakt. Im Kern geht es darum, dass kein Interessenausgleich stattfindet, keine Folgenabschätzung, keine Rücksicht auf neu entstandene Welten, die den jüngeren Menschen wichtig sind . Merkel hat viele clevere Köpfe mit Sachverstand um sich herumgruppiert: den Digital-Rat, ein Digitalkabinett und gleich zwei Digitalzuständige auf Staatsministerrang. Allesamt Menschen, die wissen, wovon sie sprechen. Aber wie Merkel mit deren Kenntnissen umgeht, zeigt sie ebenfalls in der Rede. Digitalstaatsministerin Dorothee Bär sitzt im Publikum und wird mit witzigem Augenzwinkern in der Stimme abgefertigt: "Wir vertreten etwas unterschiedliche Positionen."  Ja, so kann man es auch ausdrücken, wenn die eine auf Basis von Fakten argumentiert, aber die andere ist halt Kanzlerin.