Inhalt

LG München II, Endurteil v. 04.05.2021 – 1 O 2667/19 Hei
Titel:

Pflichten des Behandlers im Rahmen der psychischen Aufarbeitung eines groben Behandlungsfehlers

Normenkette:
BGB § 278, § 280, § 630a, § 630h Abs. 5 S. 1
Leitsätze:
1. Zu den ärztlichen Hauptpflichten aus dem Behandlungsvertrag gehört es, einem Patienten Ursachen, Verlauf und Folgen eines Zwischenfalls zu erläutern und ihm Hilfen bei der Bewältigung anzubieten, soweit der Patient hierauf angewiesen ist, um das Erlebte angemessen verarbeiten zu können. Dies obliegt der Behandlerseite bereits ab dem Moment des Eintritts des Schadens, aber erforderlichenfalls auch noch in der Folgezeit, ggf. auch noch nach Erhebung einer Arzthaftungsklage; das gilt insbesondere dann, wenn ein erstes gerichtliches Sachverständigengutachten zu dem Ergebnis kommt, die Beschwerden seien iatrogen und nicht Folge eines pathologischen Prozesses. Im Einzelfall kann dies sogar die Notwendigkeit implizieren, auch bei Ablehnung eines gerichtlichen Vergleichsvorschlages durch den Patienten, welchen die Beklagten angenommen hätten, die Haftung – wenigstens dem Grunde nach – anzuerkennen und das Bedauern zum Ausdruck zu bringen. Kommt die Behandlerseite dieser Pflicht zum Eingeständnis ihrer Verantwortlichkeit über einen langen Zeitraum nicht nach, obwohl es verschiedene Anlässe hierzu gegeben hat, so führen diese Anlässe nicht zum Vorliegen mehrerer Pflichtverletzungen; vielmehr liegt insgesamt nur eine Pflichtverletzung vor, deren Dauer und – im Hinblick auf die mehrfachen Anlässe zu pflichtgemäßem Verhalten festzustellende – Nachhaltigkeit aber schmerzensgelderhöhend zu berücksichtigen ist.
2. Dem Geschädigten ist es nicht verwehrt, auf eine Aufarbeitung des Sachverhalts und der Verantwortlichkeiten mittels eines Urteils zu bestehen, anstatt sich mit den Schädigern gütlich zu einigen. Die durch die Fortdauer des Prozesses verbundenen Belastungen sind auch in diesem Fall – bis zur Grenze einer Begehrensneurose – dem Grunde nach ersatzfähige Folgen des Behandlungsfehlers. Indes trifft den Patienten ein Mitverschulden, wenn er den Rechtsstreit (mit dem Ziel einer Verurteilung anstelle eines Vergleiches) aus Verbitterung in die Länge zieht (und sich damit eigenverantwortlich diesen Belastungen aussetzt), obwohl er mit Hilfe einer zumutbaren Willensanstrengung in der Lage gewesen wäre, auch ohne streitige Entscheidung des Gerichts die traumatisierenden Erfahrungen hinter sich zu lassen und sein Leben auf neue Füße zu stellen.
1. Bei einer Belegklinik fallen die Handlungen des Pflegepersonals (anders als die Tätigkeiten ärztlichen Personals aus dem Fachbereich des Belegarztes) in den Verantwortungsbereich der Belegklinik und nicht in denjenigen des Belegarztes. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Belegarzt darf bei dem Setzen einer Spritze ohne weitere Kontrolle darauf vertrauen, dass eine in der Belegklinik tätige Anästhesieschwester das richtige Medikament aufgezogen hatte. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
3. Zu den ärztlichen Hauptpflichten aus dem Behandlungsvertrag gehört es, einem Patienten Ursachen, Verlauf und Folgen eines Zwischenfalls zu erläutern und ihm Hilfen bei der Bewältigung anzubieten, soweit der Patient hierauf angewiesen ist, um das Erlebte angemessen verarbeiten zu können. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
4. Im Einzelfall kann die Notwendigkeit der Aufarbeitung implizieren, auch bei Ablehnung eines gerichtlichen Vergleichsvorschlages durch den Patienten, welchen die Beklagten angenommen hätten, die Haftung - wenigstens dem Grunde nach - anzuerkennen und das Bedauern zum Ausdruck zu bringen. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Belegklinik, Belegarzt, Anästhesieschwester, Kontrollpflichten, Behandlungsvertrag, Aufarbeitung psychischer Folgen, Notwendigkeit eines Anerkenntnisses, Entschuldigung
Fundstellen:
BeckRS 2021, 16837
MedR 2022, 681
LSK 2021, 16837

Tenor

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 10.019,97 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 16.10.2019 zu zahlen; die Beklagte zu 2) hat an die Klägerin darüber hinaus Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 10.019,97 € für die Zeit zwischen 27.09.2019 und 15.10.2019 zu zahlen.
2. Die Beklagte zu 2) wird verurteilt, darüber hinaus an die Klägerin 7.000,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 27.09.2019 zu zahlen.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin 50 % sämtlicher weiteren materiellen und nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden zu ersetzen, die der Klägerin aufgrund der fehlerhaften Behandlung im Hause der Beklagten zu 2.) in der Zeit vom 09.02.2016 bis 15.02.2016 künftig entstehen werden, soweit die Ansprüche nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen sind.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 3/10, die Beklagte zu 2) 1/3 und die Beklagten als Gesamtschuldner 11/30 zu tragen.
6. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Klägerin macht Ansprüche im Zusammenhang mit einer Narkose geltend, die sie am 10.02.2016 im Haus der Beklagten zu 2) durchführen ließ.
2
Bereits am 18.01.2016 hatte die Klägerin im Haus der Beklagten zu 2) nach anästhesiologischer Aufklärung durch die belegärztlich tätige Anästhesistin Frau Dr. S eine endoskopische Dekompression im Bereich der LWS vornehmen lassen. Operateur war der - ebenfalls belegärztlich tätige - Chirurg Dr. Sch
3
Am 10.02.2016 sollte eine Revisionsoperation erfolgen. Geplant war - wie bei dem Ersteingriff - eine Analgosedierung, die der Beklagte zu 1) als Angestellter von Frau Dr. S durchführen sollte. Der Beklagte zu 1) ist Facharzt für Anästhesie. Vor dem geplanten Eingriff injizierte die im Haus der Beklagten zu 2) als Anästhesieschwester angestellte Zeugin B ein Medikament. Zwischen den Parteien ist streitig, um welches Medikament es sich dabei handelte.
4
Die Klägerin schrie kurz auf. Nachfolgend fiel ihre Sauerstoffsättigung und sie war nicht mehr ansprechbar. Der Beklagte zu 2) beatmete sie.
5
Die Klägerin behauptet, die Zeugin B habe das Medikament ohne Ankündigung injiziert. Sie habe sich nicht mehr verständigen können und sei gelähmt gewesen. Auch habe sie nicht mehr atmen können und das Gefühl gehabt, zu ersticken. Die Beatmung durch den Beklagten zu 1) sei unzureichend gewesen. Infolge dieses Nahtoderlebnisses leide sie unter psychischen Beschwerden, die zu einem Suizidversuch im Juni 2016 geführt hätten. Sie sei dauerhaft psychisch geschädigt.
6
Die Klägerin beantragt,
I. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes, von dem Gericht der Höhe nach festzusetzendes Schmerzensgeld nebst 5% Zinsen über dem Basiszins seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
II. festzustellen, dass der Beklagte zu 1.) und die Beklagte zu 2.) als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die der Klägerin aufgrund der fehlerhaften Behandlung im Hause der Beklagten zu 2.) in der Zeit vom 09.02.2016 - 15.02.2016 künftig entstehen werden, soweit die Ansprüche nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen sind.
III. den Beklagten zu 1.) und die Beklagte zu 2.) gesamtschuldnerisch zur Zahlung eines weiteren Betrages in Höhe von 230,40 EUR nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit Rechtshängigkeit zu verurteilen.
IV. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von weiteren 3.648,27 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
7
Die Beklagten beantragen,
Die Klage wird abgewiesen.
8
Die Beklagten behaupten, am Abend des 09.02.2016 habe der Beklagte zu 1) die Klägerin ordnungsgemäß telefonisch über das beabsichtigte anästhesiologische Vorgehen informiert. Die Zeugin B habe 1 mg Midazolam injiziert. Der Beklagte zu 1) habe die Klägerin adäquat beatmet.
9
Die Kammer hat Beweis erhoben durch Einvernahme der Zeugin B und Einholung eines anästhesiologischen und eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Gutachten des Dr. St vom 31.03.2020 und des Prof. Dr. M vom 01.02.2021 sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 30.03.2021 verwiesen. Das Verfahren wurde gemeinsam mit dem Verfahren 1 O 5511/20 Hei zwischen dem Ehemann der Klägerin und den Beklagten verhandelt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 28.01.2020 und 02.03.2021 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

10
Die zulässige Klage ist zum großen Teil begründet.
I.
11
Die Klägerin kann Schadensersatz von der Beklagten zu 2) in Höhe von 17.019,97 € und vom Beklagten zu 1) in Höhe von 10.019,97 € jeweils nebst Prozesszinsen verlangen. Der Feststellungsantrag ist hälftig begründet.
12
Der Klägerin ist der Nachweis von zwei Behandlungsfehlern gelungen, die jeweils mitursächlich für bei ihr eingetretene gesundheitliche Schäden sind. Dabei handelt es sich zum einen um die Gabe von Succinylcholin anstatt Midazolam zur Einleitung der Analgosedierung (vgl. dazu Nr.1), zum anderen stellt die von den Beklagten unterlassene Fehleraufklärung einen Behandlungsfehler dar (vgl. dazu Nr. 2).
13
Die Kammer hat sich bei der Urteilsfindung durch zwei Sachverständige beraten lassen, die ihr aus langer Zusammenarbeit als kompetente Ärzte und erfahrene Sachverständige bekannt sind. Beide haben sich nach sorgsamer Analyse der Behandlungsunterlagen umfassend mit den Argumenten der Parteien auseinandergesetzt, sind zu gut nachvollziehbaren Ergebnissen gekommen und haben diese überzeugend begründet.
14
1. Aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme ist die Kammer davon überzeugt, dass die Zeugin B der Klägerin fehlerhaft Succinylcholin anstelle von Midazolam injiziert hat. Infolge dessen hat die Klägerin bei vollem Bewusstsein einen Atemstillstand - später teils beatmet und in eine Dyspnoe übergehend - erlitten, welcher mit Todesangst einherging. Hierfür haftet die Beklagte zu 2) aufgrund des mit der Klägerin abgeschlossenen Krankenhausaufnahmevertrages. Deliktische Ansprüche gegen die Beklagte zu 2) sind hingegen nicht gegeben.
15
a) Die Klägerin hat bereits in der Klage vorgetragen und auch im Rahmen ihrer Anhörung bekundet, dass sie nach einer Injektion bei vollem Bewusstsein auf einmal außerstande war, weiter zu atmen.
16
b) Diese Angaben der Klägerin sind glaubhaft. Der Zustand der Klägerin nach der Injektion des streitgegenständlichen Medikaments ist allein dadurch zu erklären, dass die Zeugin B ihr Succinylcholin anstelle von Midazolam injiziert hat.
Im Einzelnen:
17
Die Kammer ist aufgrund des persönlichen Eindrucks von der Klägerin davon überzeugt, dass sie den von ihr geschilderten Zustand persönlich erlitten hat. Die Anhörung der Klägerin ergab, dass sie an das gesamte Geschehen eine vollständig erhaltene Erinnerung hat. Sie schilderte eindrücklich und authentisch die Lähmung ihres Körpers und der Körperfunktionen, einhergehend mit Todes- und Erstickungsangst. Zudem ist in der Dokumentation der Beklagten festgehalten, dass die Klägerin bereits am Tag des Eingriffs gegenüber dem Pflegepersonal genau diesen Ablauf geschildert hat (vgl. die Pflegedokumentation vom 10.02.2016: „Pat. kann sich an gesamten Vorfall in Anästhesie-Einleitung erinnern, war nicht bewußtlos und beschreibt das Ereignis in Verbindung mit erster i.v. Medikamentengabe während Einleitung, einhergehend mit Parästhesien in Extremitäten und massiver Dyspnoe […].“). Eine ebenso deutliche Sprache sprechen auch die Angaben, die die Klägerin schon wenige Wochen später gegenüber Nachbehandlern gemacht hat (vgl. z. B. Notfallbericht der Uniklinik Heidelberg vom 21.02.16). Schließlich blieb der außergewöhnliche Zustand der Klägerin nach der Injektion des streitgegenständlichen Medikaments auch dem Beklagten zu 1) nicht unbemerkt.
18
Das von dem Beklagten zu 1) beobachtete vermeintliche Krampfgeschehen stellte eine Reaktion auf das verabreichte Succinylcholin dar (vgl. S. 8 des schriftlichen Gutachtens des Dr. St). Unglaubhaft ist die Behauptung des Beklagten zu 1), aus der von der Zeugin B vorbereiteten Spritze, in der sich Midazolam hätte befinden sollen, seien zwei Einzeldosen im Abstand von mehreren Minuten gegeben worden (vgl. S. 7 und 11 des Protokolls vom 02.03.2021). Dokumentiert ist die Gabe von zweimal einem Milligramm, einen konkret bestimmbaren Zeitabstand zwischen diesen Einzelgaben lässt die Dokumentation hingegen nicht erkennen (vgl. die Erläuterungen des Dr. St vom 02.03.2021, S. 21 des Protokolls); der Beklagte zu 1) beharrte auch nicht auf eine insoweit aussagekräftige Dokumentation, sondern konzedierte, dass die Eintragungen insoweit vielleicht nicht zuträfen (vgl. S. 11 des Protokolls vom 02.03.2021). Weitere verlässliche Erkenntnisquellen, die in diesem Punkt zugunsten der Beklagten sprechen würden, gibt es nicht. Insbesondere waren sich der Beklagte zu 1) und die Zeugin B nicht einmal einig in Bezug auf die Frage, wer die Injektionen vorgenommen hat (vgl. S. 11/12 und 16 unten des Protokolls vom 02.03.2021), wobei der Beklagte zu 1) sich diesbezüglich nicht festlegen wollte. Auch die Aussage der Zeugin B stützt den Vortrag der Beklagten nicht. Die Angaben der Zeugin widersprechen in wesentlichen Punkten sowohl den Angaben der Parteien, so dass ihrer Erinnerung kaum Verlässlichkeit beigemessen werden kann. So schilderte sie die Klägerin als ständig agitiert, hektisch und von der Narkose her nicht führbar. An einen Schrei oder auch an die Apnoe der Klägerin konnte sich die Zeugin dagegen nicht erinnern (S. 15 des Protokolls vom 02.03.2021).
19
Bei der Bewertung der Angaben des Beklagten zu 1) und der Zeugin B hat die Kammer nicht übersehen, dass die Angabe der Klägerin zu dem von Seiten der Beklagten behaupteten Sachverhalt passen würde, sich ca. eine halbe Stunde im Einleitungsraum aufgehalten zu haben (S. 3 des Protokolls vom 02.03.2021). In diesem Fall hätte die von Seiten der Beklagten behauptete Gabe einer ersten Fraktion an Midazolam bereits in dieser Zeitspanne freilich nahe gelegen; abgesehen davon, dass dieses Vorgehen sinnhaft gewesen wäre (so auch die Zeugin B, S. 22 oben des Protokolls vom 02.03.2021), sprechen jedoch alle anderen Umstände - namentlich der klinische Verlauf - hiergegen, so dass die Kammer im Ergebnis davon überzeugt ist, dass der Beklagte zu 1) oder die Zeugin B im Einleitungsraum gerade noch nicht das in der Spritze befindliche Medikament verabreichten, in welcher sich Midazolam hätte befinden sollen (und tatsächlich Succinylcholin befand). Der vom Beklagten zu 1) beschriebene und dokumentierte Zustand der „Bewusstlosigkeit“ der Klägerin, bei der es tatsächlich um eine Bewegungsunfähigkeit bei vollem Bewusstsein handelte vergleichbar einem Locked-in-Syndrom (vgl. die Erläuterung des Dr. St vom 02.03.2021, S. 19 des Protokolls) spiegelt sich auch in den maschinell protokollierten Werten der Sauerstoffsättigung des Bluts der Klägerin wieder und lässt sich - nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. St - einzig durch die Gabe von Succinylcholin erklären. Insbesondere passen die um 10.37 Uhr sowie zwischen 10.40 Uhr und 10.42 Uhr aufgezeichneten Sättigungsabfälle zu der Angabe der Klägerin, sie sei in der Zeit ihrer Apnoe einmal zwischenbeatmet worden (S. 4 des Protokolls vom 02.03.2021), während die Angabe des Beklagten zu 1) nicht nachvollziehbar ist, zu dem zweiten Sättigungsabfall sei es nach Rückkehr der Eigenatmung der Klägerin gekommen (S. 10 oben des Protokolls vom 02.03.2021).
20
Die Annahme der Beklagten, dass Ursache der klägerischen Beschwerden eine Reentry-Tachykardie gewesen sein könnte (vgl. auch S. 12 des Protokolls vom 02.03.2021 - der Beklagte zu 1) behauptet eine über mindestens 15 Minuten anhaltende Tachykardie), wird schon durch die eigene Dokumentation der Beklagten widerlegt, welche keine anhaltende Tachykardie, sondern - trotz Aufzeichnung in 1- (so die elektronische Dokumentation) bzw. 5-minütigen Abständen - lediglich einen einzigen relevant erhöhten Wert aufweist, der sich durch die Erstickungsangst der Klägerin erklärt (S. 7 des Gutachtens des Dr. St vom 31.03.2020). Eine Erklärung für den Widerspruch zwischen seiner Behauptung und seiner eigenen Dokumentation vermochte der Beklagte zu 1) auf Vorhalt durch den Sachverständigen auch nicht zu liefern (vgl. S. 12 und 20 des Protokolls vom 02.03.2021); hinzu kommt noch, dass der hohe Wert von 160 Schlägen in der Minute nur in der handschriftlichen Dokumentation für 10.36 Uhr notiert ist, während ausweislich der maschinellen Aufzeichnung die minütliche Frequenz lediglich bei 117 lag sowie davor (10.35 Uhr mit 77) und danach (10.37 Uhr mit 106) jeweils darunter. Die für den Zeitraum ab 10.45 Uhr handschriftlich notierten Werte von um die 60 sind plausibel und stehen wiederum im Einklang mit der um 10.44 Uhr endenden maschinellen Aufzeichnung, welche einen ab 10.38 Uhr kontinuierlich abfallenden Verlauf von 109 auf 66 Schläge angibt.
21
Die Kammer hat dabei nicht verkannt, dass die vom Überwachungsgerät aufgezeichneten Werte nicht immer den realen Vitalparametern entsprechen müssen, sondern dass sie - insbes. infolge von Artefakten - teils erheblich abweichen können. Daher gibt die Kammer im Grundsatz auch der handschriftlichen Dokumentation den Vorrang vor maschinellen Ausdrucken. Im vorliegenden Fall zeigen die maschinell protokollierten Werte aber einen konsistenten Verlauf, der plausibel im Einklang mit den Angaben der Klägerin steht, während die handschriftliche Dokumentation in zahlreichen Aspekten nicht einmal mit der Sachverhaltsschilderung des Beklagten zu 1) selbst in Einklang zu bringen ist.
22
Die Einholung eines kardiologischen Gutachtens war nicht veranlasst. Die Beurteilung kardiologischer Komplikationen im Rahmen eines Anästhesieverfahrens fällt in den Zuständigkeitsbereich der Anästhesisten. Im Übrigen behandeln Anästhesisten Tachykardien, auf welche sich die Beklagten hier berufen, auch darüber hinaus eigenständig (S. 20 des Protokolls vom 02.03.2021).
23
Die Kammer ist auch davon überzeugt, dass ein generalisierter Krampfanfall als Ursache ausscheidet. Namentlich ist das erhaltene Bewusstsein der Klägerin sowie das vollständige Fehlen einer postiktalen Phase (vgl. insoweit die Ablaufschilderung des Beklagten zu 1) auf S. 8 unten des Protokolls vom 02.03.2021) mit dieser Hypothese nicht vereinbar (vgl. den diesbezüglichen Vorhalt des Sachverständigen an den Beklagten zu 1), S. 13 des Protokolls vom 02.03.2021). Die Beklagten vermochten einen Krampfanfall auch nicht mit Hilfe ihrer Dokumentation nachzuweisen. Soweit der Beklagte zu 1) niedergelegt hat, die Klägerin habe einen „Initialschrei“ von sich gegeben, hat er den unstreitigen Schrei der Klägerin fehlinterpretiert, der tatsächlich von ihrer Überraschung über eine Injektion herrührte, mit der sie nicht gerechnet hatte (so ihre glaubhafte Angabe - vgl. S. 4 oben des Protokolls vom 02.03.2021, die mit der diesbezüglichen Wahrnehmung des Beklagten zu 1) übereinstimmt - vgl. S. 10 des Protokolls). Zum anderen passt zu einem krampfbedingten Laut auch nicht, dass der Beklagte zu 1) nicht mehr wusste, ob er dieses Geräusch zu Beginn des Krampfanfalls oder schon Minuten zuvor vernommen hat (vgl. seine Angaben auf S. 7 des Protokolls vom 02.03.2021). Zuletzt ist die Dokumentation der Beklagten in zahlreichen Aspekten widersprüchlich und unstreitig unrichtig, so dass sich letztlich aus ihr überhaupt keine Schlüsse zugunsten der Beklagten ziehen lassen. Namentlich hat der Beklagte zu 1) eingeräumt, eine Beutel-Masken-Beatmung über einen Zeitraum von 45 Minuten dokumentiert zu haben, obwohl tatsächlich dieser Zeitraum unstreitig nur einige Minuten betragen hat; ferner hat der Beklagte zu 1) eingeräumt, einen Bigeminus in der Dokumentation notiert zu haben, obwohl er einen solchen gar nicht habe erkennen können (vgl. S. 9 des Protokolls vom 02.03.2021). Nicht nachvollziehbar ist auch die Herkunft der vom Beklagten zu 1) in der handschriftlichen Dokumentation niedergelegten Blutdruckwerte. Mit der zur Narkoseführung vorgehaltenen Überwachungseinheit wurde - wie der Beklagte zu 1) selbst konzediert - lediglich ein einziges Mal der Blutdruck gemessen. Sein Hinweis, möglicherweise habe er den Blutdruck mit Hilfe des auf dem Reanimationswagen vorgehaltenen Überwachungsgerät überprüft (S. 12 des Protokolls vom 02.03.2021), ist nicht nachvollziehbar: zum einen ist es nicht verständlich, weshalb er die Zeit hätte aufwenden sollen, die Blutdruckmanschette zu wechseln (vgl. auch die Ausführungen des Dr. St, S. 21 des Protokolls vom 02.03.2021). Zum anderen mochte die Zeugin B ausschließen, dass der Reanimationswagen geholt worden wäre (S. 17 Mitte des Protokolls vom 02.03.2021 - wobei die Kammer diesem Aspekt wegen der wenig verlässlichen Erinnerung der Zeugen eine nur untergeordnete Bedeutung beimisst). Zuletzt (und vor allem) scheidet die Erklärung des Beklagten zu 1) auch deshalb aus, weil er handschriftlich Blutdruckwerte im 5-minütigen Abstand zwischen 10.25 Uhr und 11.00 Uhr dokumentiert hat, um 10.39 Uhr aber ausweislich der maschinellen Dokumentation der Wert mit der Überwachungseinheit aus dem Operationssaal bestimmt wurde. Dann müsste es, wenn diese Angabe zuträfe, zu einem zweifachen Wechsel der Blutdruckmanschette gekommen sein, und zwar gerade in der Mitte der Phase beider Sättigungsabfälle - das ist kaum vorstellbar. Der vom Beklagten um 10.40 Uhr notierte systolische Blutdruckwert liegt im Übrigen um ca. 40 mmHG unter dem maschinell um 10.39 Uhr erfassten Wert, obwohl der Beklagte zu 1) stets die von dem Gerät gemessenen Werte in sein handschriftlich geführtes Protokoll übertragen haben möchte (S. 12 des Protokolls vom 02.03.2021).
24
Die von der Klägerin und dem Beklagten zu 1) übereinstimmend bekundete vollständige Apnoe (S. 4 und 12/13 des Protokolls vom 02.03.2021) bei gleichwohl vollständig erhaltenem Bewusstsein spricht ebenfalls sowohl gegen ein kardiales Geschehen (bei welchem die Atmung und das Reaktionsvermögen der Klägerin - insbesondere in Anbetracht der dokumentierten normalen Blutdruckwerte - nicht von einem auf den anderen Moment vollständig ausgeschaltet gewesen wären) wie auch gegen einen generalisierten Krampfanfall. Bei Vorliegen eines Krampfanfalls hätte das Bewusstsein der Klägerin ausgeschaltet sein müssen oder aber es wäre - bei Vorliegen eines psychogen indiziertes Geschehens (vgl. die vom Beklagten zu 1) in der mündlichen Verhandlung vom 02.03.2021 andiskutierte Hypothese (S. 13 des Protokolls)) nicht zu einer vollständigen Apnoe gekommen. Zudem ist mit der von dem Beklagten zu 1) dokumentierten lichtstarren Pupille auch ein psychogen indizierter Krampfanfall nicht vereinbar, eine Succinylcholingabe und der hiermit verbundene Stress hingegen schon (S. 13 unten, 19 und 21 oben des Protokolls vom 02.03.2021). Auch wenn die Zeugin B meint, eine Medikamentenverwechslung ausschließen zu können (S. 16 des Protokolls vom 02.03.2021), lassen all diese Umstände zusammengenommen keine Zweifel zu: der Beklagte zu 1) und die Zeugin B verabreichten der Klägerin bei der streitgegenständlichen Analgosedierung versehentlich das Relaxans Succinylcholin anstelle des Sedativums Midazolam (vgl. die Ausführungen des Dr. St, S. 19-20 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 02.03.2021).
25
c) Die Medikamentenverwechslung stellt eine Pflichtverletzung der Beklagten zu 2) dar (§ 280 BGB); auch, wenn solche Verwechslungen in der Praxis vorkommen, dürfen sie nicht passieren (S. 22 des Protokolls vom 02.03.2021).
26
aa) Die Beklagte zu 2) hat sich das Verhalten der Zeugin B gem. § 278 BGB zurechnen zu lassen. Als Belegklinik fallen die Handlungen des Pflegepersonals (anders als die Tätigkeiten ärztlichen Personals aus dem Fachbereich des Belegarztes) in ihren Verantwortungsbereich und nicht in denjenigen des Belegarztes (vgl. zu den Details Geigel/Wellner, Haftpflichtprozess, 28. Auflage 2020, 2. Teil Kap. 14 Rn. 260 mwN.).
27
bb) Hingegen ist dem Beklagten zu 1) der Exkulpationsnachweis gelungen. Die Zeugin B hat glaubhaft angegeben, dass der Beklagtenvortrag zu ihrer Berufserfahrung zutrifft (vgl. S. 16 des Protokolls vom 02.03.2021). Vor diesem Hintergrund kann dem Beklagten zu 1) keine Auswahl-, Instruktions- oder Überwachungspflichtverletzung angelastet werden. Denn der Fehler passierte beim Aufziehen (Vorbereiten) der Spritze. Hingegen durfte der Beklagte zu 1) - selbst wenn er es gewesen sein sollte, der das Medikament am Ende injiziert hat - darauf vertrauen, dass die Zeugin B das richtige Medikament aufgezogen hatte (so Dr. St - S. 22 des Protokolls).
28
cc) Auch ist der Klägerin der Nachweis nicht gelungen, der Beklagte zu 1) habe sie unzureichend beatmet. Zwar hat die Klägerin glaubhaft angegeben, dass sie minutenlang nicht atmen konnte und vom Beklagten zu 1) jeweils nur kurzzeitig mit Hilfe einer Maske beatmet worden wäre (S. 4 des Protokolls vom 02.03.2021). Auch steht diese Angabe im Einklang mit den Behandlungsunterlagen der Beklagten, ausweislich derer die Sauerstoffsättigung zweimal abfiel, wobei der zweite Abfall mehrere Minuten dauerte. Bei einer optimalen Reaktion wäre es dem Beklagten vermutlich gelungen, für eine suffizientere Sauerstoffversorgung zu sorgen. Gleichwohl geht der Sachverständige davon aus, dass Fehler bei der Beatmung nicht feststehen (S. 10 des Gutachtens des Dr. St). Dafür spricht, dass der Beklagte zu 1) nicht von Anfang an die Ursache der Reaktionslosigkeit der Klägerin erkennen musste und sich daher wohl zunächst einmal orientierte, ob Gründe für die ausbleibende Atmung der Klägerin erkennbar sind, ob sie auf einen Schmerzreiz reagiert bzw. ob die Eigenatmung der Klägerin evtl. von alleine wieder einsetzt (S. 13 des Protokolls vom 02.03.2021). Im Ergebnis steht eine unzureichende Hilfeleistung durch den Beklagten zu 1), die sich mit den fachärztlichen Standards nicht mehr in Einklang bringen ließe, daher nicht fest.
29
d) Die durch die Medikamentenverwechslung bewirkte Traumatisierung wiegt schwer: Die Klägerin befand sich im Zustand einer scheinbaren Bewusstlosigkeit („locked in“), Atemlosigkeit sowie einer Panikreaktion bei schwerster Atemnot und Erstickungsangst. Die Massivität dieses Traumas zeigt sich auch in der dadurch bewirkten kurzfristigen Tachykardie sowie die Herzmuskelischämie, welche auf der Adrenalinausschüttung beruhten und zu einem Anstieg der Herzmuskeleiweiße Troponin und CK geführt haben. Der Annahme einer subjektiv extrem belastenden Situation - nicht nur in Form der durch die eigene Bewegungsunfähigkeit ausgelösten Panik, sondern auch infolge des unterbrochenen Sauerstoffaustausches - steht auch nicht im Wege, dass es COVID-19-Patienten gibt, die mit einer Sättigung von nur 80% klinisch unauffällig sind. Denn bei diesen kommt es zu einem schleichenden Sättigungsabfall, während bei der Klägerin die Versorgung mit Sauerstoff und vor allem die (subjektiv gravierendere - Dettmeyer/Veit/Verhoff, Rechtsmedizin, 3. Aufl., S. 104) Möglichkeit, Kohlenstoffdioxid abzuatmen, abrupt endeten; objektiv betrachtet waren die bei der Klägerin eingetretenen Sättigungsabfälle allerdings wegen der vom Beklagten zu 1) vorgenommenen Beatmung nicht konkret (sondern lediglich abstrakt) lebensbedrohlich (vgl. die Ausführungen des Dr. St auf S. 10 seines schriftlichen Gutachtens auf S. 19 und 23 des Protokolls vom 02.03.2021; ferner sind die Angaben der Klägerin zu ihrer massiven Erstickungsangst - vgl. S. 4 des Protokolls vom 02.03.2021) für die Kammer in jeder Hinsicht glaubhaft, werden ferner durch die dokumentierten Werte ihrer Sauerstoffsättigung belegt sowie durch die nachfolgende psychische Krise inklusive Suizidversuch eindrücklich untermauert).
30
Die Kausalität der Medikamentenverwechslung für diese Schädigung liegt auf der Hand. Im Übrigen greift zugunsten der Klägerin auch die Beweislastumkehr des § 630h Abs. 5 S. 1 BGB ein (vgl. S. 15 des Gutachtens des Dr. St).
31
Bei der Bemessung der Höhe des Schmerzensgeldes geht die Kammer von (grober) Fahrlässigkeit, also einem groben Behandlungsfehler aus. Obwohl sich der Klägervertreter den Vorwurf einer vorsätzlichen Ausschaltung der Atemfunktion der Klägerin durch die Zeugin B nicht zu eigen gemacht hatte, hat sich die Kammer mit dieser von der Klägerin mehrfach gegenüber Therapeuten und auch dem gerichtlichen psychiatrischen Sachverständigen geäußerten Hypothese auseinandergesetzt. Dies geschah im Hinblick auf die Relativierung der zivilprozessualen Dispositionsmaxime im Arzthaftungsprozess durch den Bundesgerichtshof und auch wegen des dezidierten Vortrags der Beklagten, dass eine versehentliche Medikamentenverwechslung ausgeschlossen sei. Nach der Durchführung der Beweisaufnahme haben sich für die Kammer jedoch keinerlei Ansatzpunkte für den von der Klägerin vorgeworfenen Vorsatz ergeben. Die betreffenden Äußerungen der Klägerin sind nach der Überzeugung der Kammer darauf zurückzuführen, dass die Klägerin - bei der Konfrontation mit dem Erlebten, zumal in dem geschützten Raum einer Therapie - von den Emotionen der Kränkung und Verbitterung durch den erlittenen Vorfall übermannt wurde. Schließlich geht auch der Sachverständige Dr. St davon aus, dass eine vorsätzliche Falschmedikation durch die Zeugin B ausgeschlossen ist (vgl. S. 20 des Protokolls vom 02.03.2021).
32
Angemessen ist daher ein - von der Beklagten zu 2) zu bezahlendes - Schmerzensgeld in Höhe von 7.000,00 €; der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 288, 291 ZPO.
33
2. Die Beklagten haben es schuldhaft versäumt, die Ursache des klägerischen Atemstillstands im Nachhinein festzustellen und der Klägerin dadurch die psychische Aufarbeitung des Zwischenfalls in der gebotenen Weise zu ermöglichen. Hierdurch haben sie zu dem schweren und langwierigen Verlauf der nachfolgenden psychischen Beeinträchtigungen der Klägerin beigetragen.
34
Zu den ärztlichen Hauptpflichten aus dem Behandlungsvertrag gehört es, einem Patienten Ursachen, Verlauf und Folgen eines Zwischenfalls zu erläutern und ihm Hilfen bei der Bewältigung anzubieten, soweit der Patient hierauf angewiesen ist, um das Erlebte angemessen verarbeiten zu können. Dies obliegt der Behandlerseite bereits ab dem Moment des Eintritts des Schadens, aber erforderlichenfalls auch noch in der Folgezeit, ggf. auch noch nach Erhebung einer Arzthaftungsklage; das gilt insbesondere dann, wenn ein erstes gerichtliches Sachverständigengutachten zu dem Ergebnis kommt, die Beschwerden seien iatrogen und nicht Folge eines pathologischen Prozesses. Im Einzelfall kann dies sogar die Notwendigkeit implizieren, auch bei Ablehnung eines gerichtlichen Vergleichsvorschlages durch den Patienten, welchen die Beklagten angenommen hätten, die Haftung - wenigstens dem Grunde nach - anzuerkennen und das Bedauern zum Ausdruck zu bringen. Kommt die Behandlerseite dieser Pflicht zum Eingeständnis ihrer Verantwortlichkeit über einen langen Zeitraum nicht nach, obwohl es verschiedene Anlässe hierzu gegeben hat, so führen diese Anlässe nicht zum Vorliegen mehrerer Pflichtverletzungen; vielmehr liegt insgesamt nur eine Pflichtverletzung vor, deren Dauer und - im Hinblick auf die mehrfachen Anlässe zu pflichtgemäßem Verhalten festzustellende - Nachhaltigkeit aber schmerzensgelderhöhend zu berücksichtigen ist.
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Diese Umstände sind vorliegend gegeben.
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Doch hat auch der Umgang der Klägerin mit dem Erlebten zu dem langwierigen Verlauf ihrer psychischen Beschwerden beigetragen. Zwar ist dem Geschädigten nicht verwehrt, auf eine Aufarbeitung des Sachverhalts und der Verantwortlichkeiten mittels eines Urteils zu bestehen anstatt sich mit den Schädigern gütlich zu einigen. Die durch die Fortdauer des Prozesses verbundenen Belastungen sind auch in diesem Fall - bis zur Grenze einer Begehrensneurose - dem Grunde nach ersatzfähige Folgen des Behandlungsfehlers. Indes trifft den Patienten ein Mitverschulden, wenn er den Rechtsstreit (mit dem Ziel einer Verurteilung anstelle eines Vergleiches) aus Verbitterung in die Länge zieht (und sich damit eigenverantwortlich diesen Belastungen aussetzt), obwohl er mit Hilfe einer zumutbaren Willensanstrengung in der Lage gewesen wäre, auch ohne streitige Entscheidung des Gerichts die traumatisierenden Erfahrungen hinter sich zu lassen und sein Leben auf neue Füße zu stellen.
37
So liegt der Fall hier.
Im Einzelnen:
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a) Gem. § 630c Abs. 2 S. 2 BGB obliegt dem Behandler, den Patienten über für jenen erkennbare Umstände informieren, die die Annahme eines Behandlungsfehlers begründen, so dies zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren erforderlich ist. Sowohl diese Verpflichtung zur Fehleraufklärung wie auch die Pflicht zur Behandlung des Patienten nach fachärztlichem Standard (incl. der Fürsorge für seine Gesundheit) implizieren, dem Patienten nach einem Zwischenfall - unabhängig davon, ob dieser verschuldet war oder nicht -, dessen Ursachen und die dadurch bewirkte Situation zu erläutern, ferner die vom Patienten aufgrund dessen benötigte Unterstützung zu eruieren sowie schließlich gemeinsam mit ihm zu besprechen, wie dem Patienten in der konkreten Situation geholfen werden kann (vgl. auch S. 12 des Gutachtens des Dr. St). Es verstößt eindeutig gegen fachärztliche Standards und die ärztliche Sorgfaltspflicht, dass der Beklagte zu 1) nach dem Ereignis nicht ausführlich mit der Patientin gesprochen hat. Dann wäre ihm ohne Zweifel klargeworden, was den Zwischenfall ausgelöst hat und er hätte die Patientin hinsichtlich des Auftretens einer posttraumatischen Belastungsreaktion und zu deren Behandlungsmöglichkeiten informieren können (S. 12 des Gutachtens des Dr. St; ferner seine Ausführungen vom 02.03.2021, S. 22/23 des Protokolls).
39
Die - hier nicht zum Tragen gekommenen - Strukturen des Qualitätsmanagements, aufgrund derer die Gründe des (von der Zeugin B verschuldeten) Zwischenfalls hätten ermittelt und mit der Klägerin besprochen werden müssen, schuldete nicht nur der Beklagte zu 1) als für die Beleganästhesistin tätiger Arzt, sondern auch die Beklagte zu 2) als behandelnde Klinik und Verantwortliche für das Handeln der Zeugin B (S. 23 oben des Protokolls vom 02.03.2021), zumal Funktionsbereiche der Beklagten zu 2) (namentlich die Kardiologie) zur Ursachenforschung bzgl. des Zwischenfalls eingebunden waren.
40
b) Durch die nachfolgenden Gespräche vermochte der Beklagte zu 1) die ihm obliegende ärztliche Fürsorge gegenüber der Klägerin schon deshalb nicht zuteilwerden lassen, weil zu jedem Zeitpunkt die Bereitschaft gefehlt hat, die Schilderung der Klägerin, alle Abläufe bei erhaltenem Bewusstsein mitbekommen zu haben, als real zu erwägen, die sich hieraus ergebenden Schlussfolgerungen zu ziehen und einen Behandlungsfehler durch sich und/oder die Zeugin B in Erwägung zu ziehen. So verhielt es sich bereits mit dem von der Klägerin glaubhaft angegebenen Gespräch direkt nach dem Zwischenfall im Operationssaal (vgl. S. 4 unten des Protokolls vom 02.03.2021); unglaubhaft ist hingegen die zunächst im Rahmen seiner Anhörung getätigte Angabe des Beklagten zu 1), trotz des Wiederkehrens des Bewusstseins der Klägerin habe er keine Konversation mit ihr betrieben (S. 8 unten des Protokolls vom 02.03.2021): nach einer Synkope unklarer Genese wird vielmehr jeder Arzt versuchen, sich Informationen über die Vigilanz, das Ergehen des Patienten und seine Beschwerden im Einzelnen zu verschaffen - letztere teilt ein Patient im Übrigen normalerweise auch schon ungefragt mit. Das gilt erst recht, wenn die Klägerin - wie vom Beklagten zu 1) selbst konzediert - nach Ende des Atemstillstands anstelle einer postiktalen Bewusstlosigkeit oder Bewusstseinstrübung unmittelbar wieder aufklarte (vgl. S. 10 des Protokolls vom 02.03.2021).
41
c) Mit ihrer bei Entlassung der Klägerin (jedenfalls schriftlich) ausgesprochenen Empfehlung, einen Neurologen zu konsultieren, sind die Beklagten nicht in hinreichendem Maße ihrer Verpflichtung nachgekommen, die Ursache des Zwischenfalls zu eruieren und gemeinsam mit der Klägerin nach Wegen zu suchen, ihn in einer Weise aufzuarbeiten, mit der die Klägerin gut weiterleben kann. Ein Neurologe kann eine neurologische Erkrankung - z. B. ein Anfallsleiden - möglicherweise erkennen oder ausschließen. Zur Feststellung der tatsächlichen Ursache des Zwischenfalls reicht das aber nicht aus. Hinzu kommt noch, dass die Beklagten die Klägerin nicht um Rücksprache nach Vorliegen des neurologischen Befundergebnisses gebeten haben, um sicherzustellen, ob nun die Ursache gefunden und adäquat behandelt wurde, und erforderlichenfalls weitere Überprüfungen zu erwägen. Stattdessen haben die Beklagten die Klägerin mit dieser - unzureichenden - Empfehlung aus ihrer Behandlungsverantwortung schlichtweg vollständig entlassen (vgl. die Erläuterungen des Dr. St, S. 23 des Protokolls vom 02.03.2021). Dabei haben sich die Beklagten bis zuletzt nicht von der - mit einer Apnoe bei erhaltenem Bewusstsein der Klägerin (wie oben ausgeführt) nicht vereinbaren - Verdachtsdiagnose eines generalisierten Krampfanfalls als Folge einer kardialen Arrhythmie distanziert (vgl. S. 7 unten und S. 13 oben des Protokolls vom 02.03.2021).
42
d) Spätestens nach Vorliegen des schriftlichen Gutachtens des Dr. St wäre es aus Sicht der Kammer angemessen gewesen, dass die Beklagten ihre Haftung dem Grunde nach bzw. ihre medizinische Verantwortung für den Zwischenfall anzuerkennen. Denn spätestens zu diesem Zeitpunkt hätten sie sich kritisch mit der Möglichkeit einer Medikamentenverwechslung auseinandersetzen und die sich daraus ergebenden Verantwortlichkeit aufarbeiten müssen. Zwar haben sich die Beklagten dazu bereit erklärt, sich auf Basis des gerichtlichen Vorschlags zu einigen. Ungeachtet des Umstands, dass die Klägerin den gerichtlichen Vergleichsvorschlag abgelehnt hat, wäre es aber den Beklagten durchaus möglich und zumutbar gewesen, der Klägerin entgegenzukommen und auch ohne Abgeltungswirkung eines Vergleiches für ihr Fehlverhalten einzustehen. Die Beklagten waren auf Grundlage ihrer Behandlungspflichten gegenüber der Klägerin dazu verpflichtet, weiteren Schaden dadurch abzuwenden, dass die psychische Belastung infolge des Vorfalls bei ihr protrahiert wird. Der Umstand, dass es zeitnah nach dem streitgegenständlichen Vorfall zu einem „aus dem Ruder laufenden“ Telefongespräch zwischen der Klägerin und dem Beklagten zu 1) kam und dass sich die Klägerin zu der Einleitung eines Rechtsstreits und der Anzeige wegen Körperverletzung (die eine fehlerhafte ärztliche Behandlung zweifelsohne darstellt) entschloss, führt nicht zu der Entlassung aus der sich aus der Behandlungsverantwortung verbundenen Pflicht der Beklagten, ihre notwendige Mitwirkung bei der psychischen Aufarbeitung des Geschehenen für die Klägerin zu erbringen, zumal die Klägerin erst im Laufe des Telefonats ins Beschimpfen überging (so die eigene Angabe des Beklagten zu 1), S. 9 des Protokolls vom 10.03.2021) und der Beklagte zu 1) dies vermutlich hätte vermeiden können, wenn er den von der Klägerin behaupteten Geschehensablauf nicht kategorisch ausgeschlossen hätte (in diese Richtung auch deutlich Prof. Dr. M - vgl. S. 25 des Protokolls vom 02.03.2021). Denn die Klägerin hat bereits unmittelbar nach dem Vorfall gegenüber den Beklagten angegeben, alles mitbekommen zu haben (S. 4 des Protokolls vom 02.03.2021), was auch in der Pflegedokumentation der Beklagten zu 2) noch für den Tag des Vorfalls selbst festgehalten ist. Es entsprach der Verpflichtung der Beklagten, diese Angaben ernst zu nehmen und mit der Klägerin zu besprechen, welche Konsequenzen sich hieraus ergeben. Ganz konkret brauchte die Klägerin das Signal, dass die Beklagten als ihre Behandler sie in ihrer Not als Mensch sehen und die Verantwortung für das Geschehene übernehmen. Das Gewähren von Mitgefühl und das sich Bekennen zu von Behandlungsseite zu verantwortenden Schäden ist Teil der ärztlichen Behandlungsverantwortung - insbesondere dort, wo der Patient dies zu seiner Genesung benötigt. Ausweislich der Ausführungen des Prof. Dr. M beruhen die bis heute infolge Verbitterung bei der Klägerin verbliebenen Beeinträchtigungen darauf, dass sie das niemals bekommen hat. Das Verteidigungsverhalten der Beklagten, welches hingegen auf ein Bestreiten einer eigenen Verantwortlichkeit abzielte und zugleich Körper und/oder Psyche der Klägerin als schadensursächlich darstellte (kardiale Ursache bzw. Krampfanfall), wirkte hingegen in die gegenteilige Richtung. Auch nach Vorliegen des Gutachtens des Dr. St hätte eine Entschuldigung die Dynamik des weiteren Geschehens verringert (S. 25 des Protokolls vom 02.03.2021). In besonderem Maße waren die Beklagten zu derartigen Erklärungen nach Vorliegen des psychiatrischen Gutachtens des Prof. Dr. M verpflichtet, ausweislich dessen es für die Gesundung der Klägerin von so elementarer Bedeutung war, dass sich die Beklagten zu ihrer Verantwortlichkeit bekennen. Bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung stellten die Beklagten jedoch ihre Einstandspflicht dem Grunde nach in Abrede. Der Kammer ist bewusst, dass in prozessrechtlicher Hinsicht keine Pflicht zur Anerkennung der Haftung dem Grund nach vorlag. Die Wahrnehmung der ihr zustehenden prozessualen Rechte durch die Beklagten führte jedoch in haftungsbegründender Hinsicht zu der Intensivierung des Schadens der Klägerin. Dabei ist zu beachten, dass sachverständig festgestellt wurde, dass keine andere medizinische Ursache als eine Medikamentenverwechslung zu dem Zwischenfall geführt haben kann. Sämtlichen von den Beklagten genannten anderen Ursachen hat der Sachverständige mit überzeugenden Argumenten eine Absage erteilt.
43
e) Der Umstand, dass die Behandler sich hier prozessual in einer beklagten Rolle befinden, kann bestimmte Verhaltensweisen, die ihnen andernfalls nicht gestattet wären, rechtfertigen (so z. B. die Vorlage der Behandlungsunterlagen auch ohne Schweigepflichtsentbindung - OLG München BeckRS 2013, 08954); soweit ein Behandlungsfehlervorwurf erkennbar berechtigtermaßen erhoben wird, stellt das Bestreiten der Verantwortlichkeit aber keine Wahrnehmung berechtigter Interessen dar, wenn der Patient erkennbar auf ein Eingeständnis einer - tatsächlich auch gegebenen - Verantwortlichkeit für den Behandler angewiesen ist, um den Zwischenfall angemessen verarbeiten zu können, und wenn das für die Behandlerseite zumutbar ist. Das haftpflichtversicherungsvertragsrechtliche Anerkenntnisverbot ist bereits im Jahr 2008 abgeschafft worden. Dass die Beklagten auch nach Vorliegen beider schriftlicher Sachverständigengutachten weiterhin das Ziel der Klageabweisung verfolgten, führte zu einem Protrahieren der noch verbliebenen psychischen Beschwerden der Klägerin.
44
f) Folge ist, dass den Beklagten die Anpassungsstörung der Klägerin mit Suizidversuch im Jahr 2016 zuzurechnen ist. Ferner leidet die Klägerin an einer plausiblen Angst vor weiteren Operationen und an daher nicht suffizient behandelten Rückenschmerzen, denn die Operation, wegen derer die streitgegenständliche anästhesiologische Behandlung stattgefunden hat, ist weiterhin nicht erfolgt.
45
Die Beklagte zu 2) haftet für diese psychischen Folgen schon aufgrund ihrer Einstandspflicht für den Zwischenfall selbst (§ 287 ZPO). Der Beklagte zu 1) ist einstandspflichtig für diese Folgen im Sinne eines Primärschadens, weil die unterbliebene Aufarbeitung der Ursachen und die fehlende psychische Begleitung der Klägerin jedenfalls zu einer Verschlechterung ihrer gesundheitlichen Situation beigetragen hat (so Prof. Dr. M - vgl. S. 25 des Protokolls vom 02.03.2021, 4. Absatz) und sich nicht psychische Beeinträchtigungen abgrenzen lassen, die die Klägerin nach Entlassung bei der Beklagten zu 2) auch bei einer dem fachärztlichen Standard entsprechenden Betreuung jedenfalls erlitten hätte (BGHZ 144, 296, 304). Vielmehr: Die erheblichen psychischen Beeinträchtigungen der Klägerin hätten sich durch das von den Sachverständigen geforderte Gespräch verhindern lassen. Insbesondere der Suizidversuch der Klägerin hätte sich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit verhindern lassen (S. 24 des Protokolls vom 02.03.2021).
46
aa) Hierfür schulden die Beklagten der Klägerin als Gesamtschuldner die Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 7.000,00 €.
Im Einzelnen:
47
Im Jahr 2016 gab es als kausale Folge manifeste Beeinträchtigungen der Klägerin auf psychiatrischem Fachgebiet mit Krankheitswert (S. 23/24 des Protokolls vom 02.03.2021). Die Klägerin entwickelte anlässlich eines Narkosezwischenfalls am 10.02.2016 eine psychische Störung, die die diagnostischen Kriterien für eine Anpassungsstörung (ICD-10 F43.2) erfüllte. Diese Anpassungsstörung hielt mindestens bis zum 30.09.2016 an und klang danach bis Ende 2016 sukzessive ab. Zwischenzeitlich könnten auch die Kriterien für eine mittelschwere bis schwere depressive Episode (ICD-10 F32.1/.2) erfüllt gewesen sein, was allerdings für die Gesamtbeurteilung und insbesondere für die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) unerheblich ist. Angesichts der objektiv erheblichen Symptomatik, die auch angemessen und plausibel dokumentiert ist und einer Krankheitsverschlimmerung nach psychosomatischer Behandlung mit Suizidversuch, ist für den Zeitraum vom 10.02.2016 bis 30.09.2016 eine MdE von 30% und vom 01.10.2016 bis 31.12.2016 eine MdE von 20% anzunehmen (S. 77/78 des Gutachtens des Prof. Dr. M). Der Suizidversuch war ernsthafter und nicht lediglich appellativer Natur (S. 23 unten des Protokolls vom 02.03.2021). Ab dem Jahr 2017 leidet die Klägerin an einer im Alltag reduzierten Befindlichkeit mit Leidensdruck und Beeinträchtigung in der Lebensgestaltung, aber ohne Krankheitswert. Hinsichtlich all dieser Umstände wird auf S. 79 des psychiatrischen Gutachtens vom 01.02.2021 sowie auf S. 23 ff. des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 02.03.2021 verwiesen.
48
Die Klägerin hat glaubhaft angegeben (S. 6 des Protokolls vom 02.03.2021), dass sich ihr Rückenleiden verschlimmert habe, sie eine erneute Operation aber nicht mehr gewagt habe, was nach Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen plausibel ist (S. 24 des Protokolls vom 02.03.2021).
49
Die Zurechnung ist auch nicht infolge des klägerischen Verhaltens ausgeschlossen. Zu den Ausschlusstatbeständen gehört zum einen eine Begehrensneurose. Eine solche liegt vor, wenn der Geschädigte den Vorfall in dem neurotischen Streben nach Versorgung und Sicherheit lediglich zum Anlass nimmt, den Schwierigkeiten und Belastungen des Erwerbslebens auszuweichen. Sein Zustand ist entscheidend von einer besonderen Begehrensvorstellung geprägt und der konkrete Schaden austauschbar. Für die Verneinung des Zurechnungszusammenhangs wegen einer Begehrensneurose ist es erforderlich, aber auch ausreichend, dass die Beschwerden - beispielsweise mit einem Anteil von 90% - entscheidend durch eine neurotische Begehrenshaltung geprägt sind. Sind die Beschwerden zu einem Anteil von 70-80% auf eine im Laufe des Gerichtsverfahrens entstandene Verbitterung und einen in den Vordergrund tretenden Kompensationswunsch zurückzuführen, kann dies genügen, um eine Zurechnung zum Unfallereignis zu unterbrechen. Zum anderen ist die Zurechnung ausgeschlossen bei überholender Kausalität (also wenn die psychischen Beeinträchtigungen zu einem späteren Zeitpunkt auf Grund bereits vor dem schädigenden Ereignis bestehender Vorbelastungen auch ohne das haftungsbegründende Ereignis eingetreten wären), bei abgrenzbar zum Schadensausmaß mitwirkenden Vorerkrankungen und im Falle eines 100%igen Mitverschuldens (also wenn der Geschädigte eine begonnene und erkennbar erfolgversprechende Therapie entgegen dem ärztlichen Rat nicht fortsetzt, obwohl mit hinreichender Sicherheit davon ausgegangen werden kann, dass bei Fortsetzung der Therapie die Beeinträchtigungen voll behoben hätten werden können) - vgl. Schneider/Nugel, NJW 2014, 2977 ff. mwN. All diese Tatbestände greifen vorliegend nicht ein (S. 24 des Protokolls vom 02.03.2021).
50
Für aktuell noch bestehende Beeinträchtigungen geht die Kammer allerdings von einem 50%-igen Mitverschulden aus. Es handelt sich um eine Verbitterung - ohne alle Kriterien einer posttraumatischen Verbitterungsstörung zu erfüllen -, welche mit zumutbarer Willensanstrengung hätte vermieden werden können (S. 78 des Gutachtens des Prof. Dr. M).
51
bb) Weiter zuzurechnen sind den Beklagten die Kosten der in Anspruch genommenen Behandlungen im Jahr 2016 mit Ausnahme der Position „522,50 € Hypnotiseur Stefan Hammel“ - eine Erforderlichkeit dieser Behandlung ist im Hinblick auf ihre wissenschaftlich nicht gesicherten Erfolgsaussichten nicht mit der gem. § 287 ZPO erforderlichen Wahrscheinlichkeit feststellbar. Die in der Folgezeit in Anspruch genommenen Behandlungen durfte die Klägerin mit Sicht ex ante für erforderlich halten mit Ausnahme der Position „11.03.19.225,00 € Praxis für Naturheilkunde“ (insoweit gelten dieselben Erwägungen wie zur Hypnose; vgl. zu beidem S. 24 des Protokolls vom 02.03.2021). Ein Zurechnungszusammenhang ist gleichfalls nicht erkennbar bezüglich der Position „27.01.17.111,20 € ATOS-Klinik HD“; hier fehlt namentlich ein nachvollziehbarer Zusammenhang zu den streitgegenständlichen Abläufen bzw. Folgen.
52
Die Fahrtkosten wegen der Nutzlosigkeit des streitgegenständlichen Krankenhausaufenthalts kann die Klägerin als frustrierte Aufwendungen ersetzt verlangen (230,40 €).
53
Insgesamt kann die Klägerin daher materiellen Schadensersatz in Höhe von 3.019,97 € ersetzt verlangen.
54
cc) Der Zinsanspruch ergibt sich aus den §§ 288, 291 ZPO.
55
dd) Der Feststellungsantrag ist begründet, wobei sich auch insoweit das vorstehend genannte Mitverschulden auswirkt.
II.
56
Eine weitergehende Haftung der Beklagten (insbesondere eine Haftung des Beklagten zu 1) für den Zwischenfall selbst) ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer möglicherweise fehlerhaften Eingriffs- und Risikoaufklärung. Abgesehen davon, dass die Klägerin bereits von der Aufklärung vor der ersten Operation - bei welcher die Anästhesie durch Frau Dr. S wenige Wochen vor der streitgegenständlichen Behandlung durchgeführt worden war - hinreichend über Verlauf, Chancen, Risiken und Alternativen informiert war, ist die Kammer davon überzeugt, dass die Klägerin in das streitgegenständliche Vorgehen jedenfalls eingewilligt hätte; schließlich war ihr ja an einer Behandlung ihrer Rückenbeschwerden gelegen und die mit der Analgosedierung verbundenen Risiken waren ex ante - insbesondere im Hinblick auf die statistische Wahrscheinlichkeit einer Medikamentenverwechslung mit solch fatalen Folgen - als verhältnismäßig geringfügig einzuordnen.
III.
57
Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus den §§ 92 Abs. 1, 709 ZPO.