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FOCUS Magazin | Nr. 4 (1997)
MORDFALL KIM: Eiskalter Sonnyboy
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  • FOCUS-Magazin-Redakteur

Nach 18 Jahren zum erstenmal rückfällig? Die Polizei überprüft ungeklärte Kindermorde

Die Begegnung im „Haus am Strand“ läßt Jeanette Jenner im nachhinein erschaudern. Laute mystische Musik hallte der 27jährigen Thüringerin entgegen, als sie am vorvergangenen Samstag mit Sohn Felix, 5, die Hotel-Pension im friesischen Dorf Horumersiel betrat. Der nervöse junge Mann, der ihr plötzlich in gelbem Rolli und hellblauer Strickjacke gegenüberstand, zeigte der Frau unwillig einige Zimmer, nannte einen ungefähren Übernachtungspreis und wimmelte sie dann schnell ab.

„Eiskalt läuft es mir den Rücken runter, wenn ich daran denke, daß ich mit dem ganz allein war“, sagt Jeanette Jenner. Vom Nordseedeich aus schaut sie auf den von der Polizei abgesperrten Backsteinbau. Ganz Deutschland kennt „das Haus mit familiärer Atmosphäre“ (Kurprospekt) inzwischen als Tatort eines abscheulichen Verbrechens. Rolf Diesterweg, 34, der junge Mann im gelben Rolli, hat gestanden, dort die zehnjährige Kim Kerkow sexuell mißbraucht und erdrosselt zu haben. Zuvor hatte er das blonde Mädchen im 35 Kilometer entfernten Varel, wenige Meter von deren Elternhaus entfernt, in seinen Wagen gezerrt.

Der Mann, den Nachbarn, Bekannte und Kollegen als „freundlich, fleißig und kinderlieb“ erlebten, hat nicht zum erstenmal ein Kind getötet. Vor 18 Jahren, Rolf war damals 16, erdrosselte er auf der anderen Seite des Deichs im Rettungsschuppen die zwölfjährige Silke Meyer mit ihrem Schal. Nachdem er die Leiche im Schnee verscharrt hatte, lud er Silkes Schwester in die Disco „Weiße Möwe“ ein.

Die Täterjagd dauerte damals zwei Jahre. Nach dem Mord an Kim ging Diesterweg der Polizei schnell ins Netz. Während das ganze Land ein Phantom jagte, das mit einem gestohlenen schwarzen BMW 850 csi mal auf Parkplätzen, mal auf Raststätten mit quietschenden Reifen verschwand, observierten Mobile Einsatzkommandos längst den Richtigen: Rolf Diesterweg.



Der hatte nach etwa dreijähriger Jugendhaft in Hameln ein unauffälliges Leben in Görgeshausen im Westerwald geführt. Im Gefängnis hatte er eine Lehre als Kaufmann absolviert und seine Liebe zu Büchern entdeckt. Später ließ er sich in Limburg zum Buchhändler ausbilden. An seinem neuen Arbeitsplatz lernte er seine spätere Lebensgefährtin Lydia S. kennen. Er zog zu ihr und kümmerte sich liebevoll um Lydias Tochter Annika, heute 10, und Sohn Daniel, 15. „Eine richtige Familie“, erinnert sich Diesterwegs Ex-Chef, der Buchhändler Ulrich Meckel, „nur ohne Trauschein.“

Meckel fällt an seinem Mitarbeiter, der im Betrieb als Sonnyboy gilt, aber auch ein Hang zum Okkultismus auf: „Da war er sehr belesen.“ Ein Ex-Kollege bestätigt den Esoterik-Trip: „Rolf sagte, er würde Stimmen hören.“ Im Freundeskreis prahlte Diesterweg von den magischen Kräften eines Edelsteins, den er an einer Halskette trug. Mit ihm wollte er Lydias Mutter geheilt haben.

In die Kristallmystik hatte ihn Ulrike S., die Ehefrau des Hamelner Gefängnisbibliothekars, eingeführt. Mit der „Edelsteinberaterin“ hielt er spiritistische Seminare in der Pension seiner Eltern ab.

Die heile Welt war für Diesterweg nicht von Dauer. 1995 flog er aus der Buchhandlung, weil er „mehrfach in die Kasse gegriffen“ hatte. Mit seiner Primo Handelsgesellschaft ging es schnell bergab. Zunächst platzten Kredite, dann, vor vier Wochen, auch die Beziehung zu Lydia.

Haltlos zog es ihn zurück zu den Eltern nach Friesland. Dort habe er sich, so Landeskriminaldirektor Claus Spenst, 57, „gezielt nach einem Opfer umgesehen“.

Kim sei wie ein Reh einem Löwen zum Opfer gefallen, zitierte Pastorin Brigitte Goede am Freitag bei der Trauerfeier in Varel ein Kindergebet. Die Spur dieses Löwen wird nun rekonstruiert. Die Polizei ermittelt, ob Diesterweg auch Ulrike Everts, 13, Ramona Kraus, 10, und noch andere Mädchen getötet hat. Ulrike verschwand im Juni 96 – nur fünf Kilometer vom Zweitsitz der Firma Primo im niedersächsischen Moslesfehn bei Oldenburg entfernt.

Der mörderische Kaufmann war möglicherweise auch schwarzem Zahlenschnickschnack verfallen. Das auffällige Nummernschild seines Mazdas, das die Fahnder auf seine Spur brachte, hatte Diesterweg ausdrücklich bestellt. Die Zahl 666 gilt schon in der Bibel (Offenbarung 13,18) als Symbol für den Satan. Die Ermittler sehen das profaner: „Bei dem steht das für Sex hoch drei.“

Täter AUF DER JAGD NACH MÄDCHEN

Rolf Diesterweg, 34

Das Phantombild hatte verblüffende Ähnlichkeit mit dem Gesuchten. Rechts: Pauschalurlauber Diesterweg auf Koh Samui

Kim Kerkow, 10

Das blonde Mädchen kam von einer Freundin. Diesterweg fing sie kurz vor ihrem Elternhaus ab. Er mißbrauchte und erdrosselte sie

Opfer VON DIESTERWEG?

Ramona Kraus, 10 Ihre Leiche wurde letzte Woche bei Eisenach entdeckt

Ulrike Everts, 13 Seit einer Kutschfahrt im Juni 1996 wird sie vermißt

Trauer UND OHNMACHT IN VAREL

Blumenmeer bei dem Trauergottesdienst für Kim in der Schloßkirche von Varel

Verzweiflung einer Mutter Petra Kerkow verläßt von Verwandten gestützt die Kirche. Pastor Bernd Goede forderte Besonnenheit und härtere Strafen

Verwechslung

Nach Zeugenaussagen wurde zunächst öffentlich ein BMW mit einem sehr ähnlichem Nummerschild gesucht. Die Fahnder waren aber schon bald auf der Spur des Mazda Xedos 6

Phantom: Nach einem BMW 850 csi fahndete die Republik

Täterfahrzeug: Diesterweg verschleppte Kim in einem Mazda
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