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Schwarz-grüne Sondierung Vorerst gescheitert

Sie haben intensiv verhandelt - aber am Ende war ihnen das Wagnis doch zu groß: Die Grünen lehnen Koalitionsgespräche mit der Union ab. Nun läuft alles auf ein Bündnis von CDU/CSU und SPD hinaus. Die schwarz-grüne Annäherung ist dennoch bemerkenswert.
Schwarz-grüne Sondierung: Vorerst gescheitert

Schwarz-grüne Sondierung: Vorerst gescheitert

Foto: Rainer Jensen/ dpa

Berlin - Mitten in der Nacht ist die erste Grünen-Garde nicht mehr zu Plaudereien aufgelegt. Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt ringt sich im Hof vor dem Reichstag gegen halb eins wenige Sätze ab, in denen die Wörter "konstruktiv" und "es reichte nicht" vorkommen. Dann dreht sie sich um und geht. Die Gestalt ihres Amtskollegen Anton Hofreiter blitzt durch einen Türspalt, bevor er ins angrenzende Bundestagsgebäude eilt. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann will keinen Kommentar abgeben. Und Jürgen Trittin taucht gar nicht erst auf.

Die Chef-Unterhändler der Grünen zeigen sich in den Minuten nach der zweiten Sondierungsrunde mit CDU und CSU ungewöhnlich wortkarg. Vielleicht weil ihnen nun klar wird, dass sie ihrer Partei vier weitere Jahre in der Opposition beschert haben. Aber vielleicht liegt es auch einfach daran, dass ihnen die vorangegangenen siebeneinhalb Stunden alles abverlangt haben.

Seit der Nacht zum Mittwoch steht fest: Die Gespräche von Union und Grünen sind gescheitert, es gibt auf absehbare Zeit keine schwarz-grünen Koalitionsverhandlungen. Sechs Stunden tagten die Delegationen, anschließend zogen die Grünen in ein anderes Stockwerk, um sich zu beraten. Nach weiteren anderthalb Stunden kamen sie zum Schluss: Mit der Union können wir keine Regierung bilden.

Die inhaltlichen Knackpunkte

Zehn Großthemen hatten sich Grüne und Union für das zweite Sondierungsgespräch vorgenommen - zur Überraschung beider Seiten gibt es an der einen oder anderen Stelle durchaus Kompromisslinien. Beispielsweise in der Gesellschaftspolitik. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt, der an diesem Abend offenbar seinen Ruf als Grünen-Fresser loswerden will, ist sogar der Meinung, es habe "kein Problem gegeben, das nicht überwindbar war". Allerdings muss auch er beim gemeinsamen Statement mit seinem CDU-Amtskollegen Hermann Gröhe nach Ende der Gespräche einräumen, dass die Gegensätze in der Steuerpolitik signifikant geblieben sind: Die Grünen betonten in der Sondierung, bestimmte Steuern erhöhen zu wollen, die Union lehnt das ab.

Doch auch an anderen Punkten prallen beide Seiten aufeinander. Nicht atmosphärisch: Ganz anders als bei der schwarz-roten Sondierung am Tag zuvor, bei der sich Unionisten und Sozialdemokraten teilweise ordentlich in die Wolle kriegten, fällt diesmal kein einziges böses Wort. Die inhaltlichen Knackpunkte aber sind offensichtlich: Thema Mindestlohn - die Grünen wollen ihn, die Union nicht. Auch die von den Grünen geforderte Bürgerversicherung lehnen CDU und CSU kategorisch ab. Bei anderen Themen flüchtet sich die Union offenbar in wolkige Formulierungen, aber das wollen die Grünen, wie beim Thema Europa, dann doch genauer wissen. Die Erkenntnis von Grünen-Chefin Roth: "Da gibt es keine Öffnung bei der Union."

Sie hätten es wirklich versucht, beteuern Roth und ihr Co-Vorsitzender Cem Özdemir, als sie nach den Unionsgeneralsekretären um 0.45 Uhr vor den Kameras und Mikrofonen stehen - aber es reiche eben nicht. "Wir können unserer Partei keine Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der Union empfehlen", sagt Roth. Am Wochenende treffen sich die Grünen zum Parteitag.

Seehofer klingt enttäuscht

Das stürzt die Union erst mal in ein Dilemma. Sie ist auf einen Schlag ihre komfortable Lage los, sich ihre Partner aussuchen zu können - und nun auf die Kooperation der SPD angewiesen. "Am Ende ist die Entscheidung von den Grünen getroffen worden. Das nehmen wir zur Kenntnis", sagt CSU-Chef Horst Seehofer nach der Sondierung, er klingt enttäuscht. Dass ausgerechnet vom CSU-Chef, der mit Trittin nicht mal an einem Verhandlungstisch sitzen wollte, bedauernde Worte kommen, ist erstaunlich.

Mit der SPD will die Union voraussichtlich am Donnerstag zu einer dritten Sondierungsrunde zusammenkommen. Allerdings dürften CDU und CSU kleinlauter in dieses Treffen gehen. Nachdem die Option Grün vom Tisch ist, sind die Druckmittel gegenüber den Sozialdemokraten geschrumpft.

Für die Grünen sind die Gespräche mit der Union, auch wenn es jetzt nicht zu Koalitionsverhandlungen kommt, am Ende dennoch ein Erfolg. Schon in Hessen dürfte es für die grüne Landespartei um einiges leichter sein, nun ein Bündnis mit der CDU zu wagen. Auch in anderen Bundesländern könnte die demonstrative Entdämonisierung der Union ähnliche Effekte bei der Regierungsbildung haben. Damit verfügen die Grünen, wenn es für Koalitionen mit der SPD künftig nicht reicht, mit der CDU über eine echte Regierungsalternative.

Und im Bund? 2017 ist sowieso alles möglich. Aber was passiert, falls in den kommenden Wochen die Bildung einer Großen Koalition doch nicht klappt - weil führende Sozialdemokraten oder die Basis bocken? Dann gäbe es entweder Neuwahlen, den abenteuerlichen Versuch einer rot-rot-grünen Regierungsbildung - oder die Grünen müssten sich das mit der Union doch nochmals überlegen. Und wie sagte Parteichef Özdemir nach der Sondierung, bevor er den Anwesenden eine gute Nacht wünschte? "Die Tür ist nicht zugenagelt mit Nägeln, die man nicht mehr rauskriegen kann."

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Sondierung: Wer sich bei Schwarz-Grün mag - und wer nicht

Foto: Adam Berry/ Getty Images