Die Coronakrise zeigt, warum wir eine Fehlerkultur brauchen.

Die Coronakrise zeigt, warum wir eine Fehlerkultur brauchen.

In der aktuellen Zeit können wir viel über Kommunikation lernen. Besonders die Krisenkommunikation der Bundesregierung und der Experten macht für jeden von uns erlebbar, warum wir eine Fehlerkultur brauchen.

In Deutschland haben wir ein kulturelles Problem: Wir sind notorische Besserwisser (ja, ich auch). Fehler zu machen ist in unserer Gesellschaft ein Zeichen von Schwäche und eine Aussage später zu korrigieren, ein Eingeständnis von Fehlbarkeit.

Fehlerkultur ermöglicht es, Entscheidungen zu korrigieren, ohne dabei Vertrauen zu verlieren.

Wir müssen uns darauf verlassen, dass die Bundesregierung Entscheidungen trifft, die uns mit möglichst wenig Schaden durch diese Krise führen. Dafür braucht es ein Höchstmaß an Vertrauen von uns Bürgern, denn die Entscheidungen der Bundesregierung sind für viele von existenzieller Bedeutung.

„Ein Mundschutz ist nicht notwendig, weil der Virus gar nicht über den Atem übertragbar ist.“ – Jens Spahn, 19. Januar 2020 auf Bild.de [1]

Ich nehme an, Jens Spahn war zu diesem Zeitpunkt von der Aussage überzeugt und wollte durch ein klares Statement Sicherheit vermitteln. Es wäre ratsam gewesen, die Aussage zukunftsfähig zu formulieren, z. B. "Nach meinem aktuellen Wissensstand ist das Virus nicht über den Atem übertragbar, deshalb ist ein Mundschutz nicht notwendig".

! Achtung Fake News ! Es wird behauptet und rasch verbreitet, das Bundesministerium für Gesundheit / die Bundesregierung würde bald massive weitere Einschränkungen des öffentlichen Lebens ankündigen. Das stimmt NICHT! Bitte helfen Sie mit, ihre Verbreitung zu stoppen. – @BMG_Bund, 14. März 2020 auf Twitter [2]

Zwei Tage später wurden von Angela Merkel Einschränkungen für das öffentliche Leben angekündigt [3]. In solchen Formulierungen zeigt sich das Problem sehr deutlich, denn sie lassen keinen Raum für eine Korrektur. Das Vertrauen bröckelt, Unsicherheit wächst und zukünftige Aussagen werden hinterfragt – Gift für Zeiten voller Unsicherheit.

In der Coronakrise fahren alle auf Sicht. Niemand kann voraussagen, was die wirksamsten Methoden sind, um das Virus einzudämmen. Wir können nur Maßnahmen testen, die Wirkung messen und daraus lernen. Wissenschaftler, wie Christian Drosten oder der in den USA bereits zum Kult gewordene Anthony Fauci, kommunizieren zukunftsfähig. Tag für Tag präsentieren sie uns neue Erkenntnisse, erklären uns die Lage auf Basis des aktuellen Wissens und korrigieren transparent überholte Aussagen. Sie sind ehrlich, transparent und konfrontieren uns auch mit Unsicherheiten. Da sie sich stets auf Augenhöhe erklären und nichts beschönigen, schaffen sie Vertrauen und geben Sicherheit in einer Zeit, die niemand beherrscht.


Was ich in der Coronakrise über Fehlerkultur gelernt habe.

Fehlerkultur ermöglicht es, Entscheidungen zu korrigieren, ohne das Vertrauen zu beschädigen. Das gilt für Mitarbeiter, Führungskräfte sowie Kunden und zwar in alle Richtungen.

1. Was ich als Mitarbeiter lerne

Besonders in den kreativen und Tech-getriebenen Bereichen sind Fehlerkultur und das "Fail-Fast"-Mindset nichts Neues. Besonders junge Mitarbeiter bringen dieses Mindset bereits mit in den Job. Sie wissen genau um die Vorteile für das Unternehmen und die Mitarbeiter und fordern aktiv eine Fehlerkultur ein.

Aber auch Fehlerkultur muss man lernen: Ich habe es häufig erlebt, dass sich in der Arbeit unsere deutsche Rechthaberei mit der Fehlerkultur vermischen. Selbstsicher wird die eigene Arbeit präsentiert, Kritik wird abgetan und wenn sich die Informationslage ändert, heißt es salopp: "Konnte ich ja nicht wissen". Fehlerkultur wird so schnell zur pauschalen Ausrede. Es entsteht derselbe Effekt, wie bei Jens Spahn's Aussage, dass Mundschutz nicht notwendig sei. Das Vertrauen in Aussagen des Mitarbeiters geht verloren.

Fehlerkultur braucht Kommunikationskultur: Es funktioniert wie im Matheunterricht – wenn man den Lösungsweg aufzeigt, gibt es Punkte, selbst wenn die Antwort falsch ist.

Als Mitarbeiter muss ich genauso emphatisch kommunizieren, wie ich es mir von der Bundesregierung wünsche. Ich habe die Aufgabe, meinen Kollegen anschaulich zu machen

  1. welche Informationen ich habe,
  2. und welche Antworten und Fragen sich daraus ergeben.

So gebe ich ihnen die Chance

  1. mich zu verstehen,
  2. mich zu verbessern
  3. und mir selbst die Chance dazuzulernen.

Fehlerkultur wird so nicht zum Freifahrtschein für Fehler, sondern zu einer Methode, Informationen zu teilen und ständig zu verbessern.

Noch ein Tipp zum klären persönlicher Anliegen: Mein Chef kann nicht immer wissen, wie viele Informationen ich habe und was ich vielleicht nicht verstanden habe. Deshalb erkläre ich, welche Informationen ich habe und was sich daraus für Fragen ergeben. Das bedeutet etwas mehr Vorbereitung, spart aber Missverständnisse.

2. Was ich als Führungskraft lerne

Im Netz liest man gerade häufiger, dass durch das Home Office auffällt, wie viele Manager man sparen könnte, weil es offensichtlich auch ohne sie läuft.

Eine gute Führungskraft soll heute idealerweise Coach und Moderator sein. Ich habe das für mich immer so übersetzt: "Kollegen und Kunden helfen, gute Entscheidungen zu treffen". Viele Unternehmen müssen derzeit Kurzarbeit anmelden. Das sorgt für Unsicherheit. Coachen und Moderieren reicht hier nicht. Es müssen schwierige Entscheidungen getroffen und erklärt werden, gleichzeitig muss die Arbeit weiter gehen.

Als Führungskraft muss ich zukunftsfähig kommunizieren und Entscheidungen der aktuellen Situation anpassen, genauso wie ich es mir von der Bundesregierung wünsche:

  1. transparent über die aktuelle Situation aufklären
  2. daraus Maßnahmen ableiten und erklären, was sich dadurch erhofft wird
  3. Perspektive geben, wie es weiter geht (Best Case)
  4. aufklären, was noch passieren könnte und was dann für Maßnahmen ergriffen werden (Worst Cast)
  5. und das alles regelmäßig wiederholen.

Aussagen sollten lieber zukunftstauglich bleiben. So inszeniere ich mich nicht allwissend und verbaue mir nicht den notwendigen Weg, Entscheidungen zu korrigieren. Das lässt sich in einer Krise anwenden und genauso in einem Gespräch mit Bewerbern, bei Zielvereinbarungen mit Mitarbeitern und dem Ankündigen der Jahresziele für das Unternehmen.

Meine Formel für eine gute Führungskraft werde ich für die Zukunft auch etwas korrigieren: "Kollegen und Kunden helfen, gute Entscheidungen zu treffen und zu verstehen."

3. Was ich für Kundenbeziehungen lerne

In Pitchpräsentationen werden mir von Kunden häufig komplizierte Fragen gestellt, auf die ich nicht vorbereitet bin. Anfangs habe ich versucht kluge Antworten aus der Hüfte zu schießen. Heute denke ich immer an einen Vortrag von Pascal Finette zurück. Er hat in Start-Up-Pitches gerne die Frage gestellt: "Was würdest du tun, wenn wir dir doppelt so viel Geld geben, wie du brauchst?" Viele haben darauf geantwortet, dass sie dann mehr Personal einstellen, mehr Marketing betreiben, oder, oder. Pascal Finette meinte, die einzige richtige Antwort für ihn ist: "Darüber muss ich erstmal nachdenken, ich nehme das mit."

Irgendwie logisch… Als Auftraggeber würde ich auch mein Geld auf jemanden setzen, der bereit ist den Kurs zu ändern, als auf jemanden, der seine Energie darauf verwendet, Recht zu behalten.

Ich erwarte von unserer Bundesregierung, dass sie schnellstmöglich ihre Strategie anpassen, wenn sich die Informationslage ändert. Dabei ist aber wichtig, dass es nachvollziehbar und berechenbar bleibt. Ich kann nicht heute behaupten, dass es Fake-News sind, dass die Bundesregierung Einschränkungen des öffentlichen Lebens plant und zwei Tage später Einschränkungen des öffentlichen Lebens beschließen.

Für eine Kundenbeziehungen muss ich dasselbe Erwartungsmanagement betreiben, wie ich es mir von der Bundesregierung erwarte:

  1. in eigenen Worten erklären, wie ich die Frage / Herausforderung verstehe
  2. klären, dass ich das Ziel hinter der Aufgabe verstehe
  3. zeigen, dass ich Kompetenz und Erfahrung habe (Mitarbeiter, Partner, Cases)
  4. Ausblick geben, wie ich mich dem Ziel annähern werde (z. B. Prozess)
  5. den Deutschen in mir in Schach halten, der eine fixe Lösung präsentieren möchte.

Es gibt nicht viel, was die Beziehung zwischen Kunde und Agentur schneller bröckeln lasst, als wenn man Versprechungen nicht einlöst. Klassische Pitches sind wie Theaterstücke –perfekte Inszenierungen. Ich empfehle Kunden statt Pitches lieber Workshops durchzuführen oder eine konkrete Aufgabe gemeinsam zu bearbeiten. Dabei lernt man sehr viel schneller wie produktiv man gemeinsam Lösungen entwickeln kann.


Gelebte Fehlerkultur stärkt das Vertrauen auf allen Seiten.

Der Umgang der Bundesregierung mit der Krise zeigt mir, wie wichtig eine Fehlerkultur ist. Ich sage nicht, dass die Bundesregierung einen schlechten Job macht, aber sie könnte deutlich besser kommunizieren. Gelebte Fehlerkultur ist die beste Methode, um Menschen in unsicheren Zeiten durch eine Krise zu führen, ohne das gegenseitige Vertrauen zu verlieren.

Ich wünsche mir, dass neben der Erkenntnis, dass Home Office kein Widerspruch zu produktivem Arbeiten ist und man nicht für jedes Meeting in einen Flieger steigen muss, dass auch Fehlerkultur in Zukunft zum Standard in unserer Berufswelt wird. Denn sie wird uns helfen bessere Teams zu formen, gestärkt aus der Krise hervorzugehen und zukünftig noch viel größere Herausforderungen zu meistern.


Andreas Wittwer

Wir beschreiten mit dem öffentlichen Gesundheitsdienst neue Wege in der Kommunikation, bei Fachverfahren und deren Integration

4y

Vor allem aus der Perspektive #Patientensicherheit #APSev #Kommunikation - aus Fehlern lernen.

Like
Reply

To view or add a comment, sign in

Others also viewed

Explore topics