Collinas Erben

"Collinas Erben" lernen dazu Steinhaus pfeift souverän, FC Bayern tölpelt

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Bei der Premiere souverän auf Ballhöhe: Bibiana Steinhaus.

Bei der Premiere souverän auf Ballhöhe: Bibiana Steinhaus.

(Foto: imago/Bernd König)

Premieren-Spektakel am 3. Spieltag: In Berlin pfeift erstmals eine Frau eine Erstligapartie. In Freiburg schaut der Schiedsrichter fern. Und in Hoffenheim werden die Bayern mit einem seltenen, aber legalen Einwurftrick ausmanövriert.

Man dürfte es Bibiana Steinhaus nicht verübeln, wenn sie die Frage, wie das eigentlich so ist als Frau im Männergeschäft Profifußball, schon lange nicht mehr hören könnte. Dass sie nicht nach ihrem Geschlecht, sondern nur nach ihrer Leistung beurteilt werden möchte, hat sie viele Male gesagt. Dabei ist sie stets bemerkenswert höflich und geduldig geblieben, selbst wenn ihr das bisweilen schwergefallen sein mag. Nun hat sie ihr erstes Bundesligaspiel gepfiffen und selbstverständlich ist das unabhängig von der Beurteilung ihres Auftritts ein historisches Ereignis. Schließlich ist sie nicht nur die erste Schiedsrichterin in der höchsten deutschen Männer-Spielklasse, sondern die erste Schiedsrichterin in einer der großen europäischen Profiligen überhaupt. Entsprechend groß war das Interesse bei Medien und Zuschauern.

Trotzdem hatte man im Berliner Olympiastadion nicht das Gefühl, dass da etwas neu und besonders ist. Man kennt Steinhaus seit Jahren als verlässliche Vierte Offizielle im deutschen Oberhaus und als umsichtige Unparteiische in der Zweiten Liga, ihr Gesicht ist einem vertraut, womöglich ist sie sogar prominenter als jede Nationalspielerin. Die Partie zwischen Hertha BSC und Werder Bremen (1:1) hatte der DFB zur Premiere für die 38-Jährige ausgesucht. Und als der Einstand vorbei war, gab es allenthalben zufriedene Gesichter.

Collinas Erben

"Collinas Erben" - das ist Deutschlands erster Schiedsrichter-Podcast, gegründet und betrieben von Klaas Reese und Alex Feuerherdt. Er beschäftigt sich mit den Fußballregeln, den Entscheidungen der Unparteiischen sowie mit den Hintergründen und Untiefen der Schiedsrichterei. "Collinas Erben" schreiben jeden Montag auf ntv.de über die Schiedsrichterleistungen des Bundesligaspieltags. Unser Autor Alex Feuerherdt ist seit 1985 Schiedsrichter und leitete Spiele bis zur Oberliga. Er ist verantwortlich für die Aus- und Fortbildung in Köln, Schiedsrichterbeobachter im Bereich des DFB und arbeitet als Lektor und freier Publizist.

Beide Trainer lobten die Debütantin, ebenso die Spieler, und der Schiedsrichter-Chef des DFB, Lutz Michael Fröhlich, sagte: "Sie hat nach anfänglicher Nervosität gut in das Spiel gefunden und das sehr ordentlich gemacht." Er würdigte insbesondere die gute Kommunikation der Schiedsrichterin mit den Spielern. Steinhaus war vor allem "erleichtert, dass es nun rum ist". Sie hofft, "dass morgen die Normalität Einzug hält". Zumindest wird der Trubel bei der nächsten Begegnung nicht mehr ganz so mächtig sein.

Die faire Partie - es gab lediglich eine Gelbe Karte - stellte die Polizistin vor keine übermäßig schwierigen Aufgaben, dennoch musste sie einige knifflige Situationen bewältigen. Herausragend waren dabei ihr Gespür und ihr Spielverständnis vor dem Führungstreffer der Gastgeber in der 38. Minute: Nach einem Schubser des Bremers Miloš Veljković gegen Vladimir Darida kurz vor dem Strafraum der Gäste pfiff Steinhaus nicht etwa sofort einen Freistoß, sondern wartete ab, ob sich ein Vorteil für die Berliner ergibt. Das war der Fall - und wie: Matthew Leckie erlief den Ball und schob ihn ins Tor der Norddeutschen. Besser konnte man diese Situation als Referee nicht lösen.

Auch ansonsten überzeugte sie durch ihr unaufgeregtes, souveränes Auftreten - und durch weitere richtige Entscheidungen in wichtigen Szenen. Energisch trennte sie beispielsweise in der 28. Minute die in einen Streit geratenen Kontrahenten Maximilian Eggestein und Alexander Esswein, zu Recht ließ sie - wie auch der Video-Assistent bestätigte - in der 73. und 76. Minute weiterspielen, als Hertha jeweils einen Strafstoß forderte, aber weder bei Veljkovićs Zweikampf gegen Valentin Stocker noch bei Robert Bauers Tackling gegen Vedad Ibišević ein elfmeterwürdiges Vergehen vorlag. Unglücklich war lediglich, dass Steinhaus den Bremern in der 19. Minute durch einen zu frühen Freistoßpfiff eine gute Kontermöglichkeit nahm.

Hoffenheims regulärer Einwurftrick

Derweil ließ sich der FC Bayern bei der TSG Hoffenheim nach 27 Minuten düpieren, wie es ihm nur ganz selten passiert. Innenverteidiger Mats Hummels war in der Mitte der eigenen Hälfte eine Klärungsaktion ein wenig missglückt, er erreichte den Ball erst wieder, als dieser die Seitenlinie bereits knapp überschritten hatte, also im Aus war. Von dort schlug Hummels ihn wieder aufs Feld, die Kugel legte rund 50 Meter zurück und landete weit in der Hälfte der Hoffenheimer. Noch während sie unterwegs war, schaltete Andrej Kramaric blitzschnell: Er ließ sich von einem Balljungen einen anderen Ball geben und warf ihn an der richtigen Stelle ein.

Mats Hummels ließ sich vom Hoffenheimer Einwurftrick überrumpeln.

Mats Hummels ließ sich vom Hoffenheimer Einwurftrick überrumpeln.

(Foto: dpa)

Sein Mitspieler Mark Uth nahm das Zuspiel auf, lief Hummels davon und traf gegen völlig überrumpelte Bayern zum 1:0. Schiedsrichter Daniel Siebert gab das Tor, was Proteste des Deutschen Meisters zur Folge hatte. "Ich hatte damit gerechnet, dass der Ball, der im Spielfeld ist, zum Einwurf gespielt werden muss", sagte Mats Hummels nach dem Spiel gegenüber dem "Kicker". "Damit haben viele gerechnet. Aber wir haben das anscheinend falsch eingeschätzt." Bayern-Trainer Carlo Ancelotti dachte, "dass das Spiel stoppen muss, wenn ein zweiter Ball auf dem Feld liegt".

Die Regeln besagen jedoch, dass nur dann unterbrochen wird, wenn dieser zusätzliche Ball "das Spiel beeinträchtigt", das heißt: das Geschehen erheblich stört, Spieler behindert oder entscheidend ablenkt. In Hoffenheim stellte sich allerdings die Frage: Welcher der beiden Bälle war denn nun der überzählige? Mats Hummels sah es so: "Ein zweiter Ball wird ins Spiel gebracht und mit diesem zweiten Ball wird ein Tor geschossen. Der Schiedsrichter sagte, wenn der zweite Ball nicht stört, wird nicht abgepfiffen. Das passt aber leider überhaupt nicht auf die Situation, weil der zweite Ball ja der ist, mit dem das Tor geschossen wurde."

Man kann jedoch auch zu einem anderen Schluss kommen. Denn in der Bundesliga gibt es schon seit Jahren nicht mehr den einen Spielball, der nur im Notfall ausgetauscht wird. Vielmehr wird mit einem Multiball-System gespielt, das schnellere Spielfortsetzungen ermöglicht, weil ein Ball, der ins Aus geht, sofort durch einen anderen ersetzt werden kann. Die alte Fußballweisheit "Solange der Ball auf der Tribüne ist, kann der Gegner kein Tor schießen" stimmt deshalb nicht mehr. Das bedeutet: Als die Kugel in Hoffenheim die Seitenlinie überquerte, war sie aus dem Spiel und damit prinzipiell ersetzbar. Dass Hummels sie anschließend wieder aufs Feld beförderte, änderte daran nichts, zumal sie weit entfernt im Niemandsland niederging und von dort erst einmal zum Einwurfort hätte befördert werden müssen.

Das Verhindern von Verzögerungen und damit eine möglichst schnelle Spielfortsetzung ist aber im Sinne der Regeln. Deshalb ließ es Referee Siebert zu Recht zu, dass Kramaric einen anderen Ball zum Spielgerät machte. Die zuvor verwendete Kugel lag da zwar noch auf dem Platz, beeinträchtigte dort aber nicht das Spielgeschehen. Alles regulär also. Die Bayern hatten sich einfach übertölpeln lassen, was auch Hummels bei allem Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Treffers kritisch anmerkte: "Wir dürfen Uth nicht laufen lassen."

Doppel-Premiere in Freiburg

In Freiburg kam es unterdessen beim Spiel des Sportclubs gegen Borussia Dortmund (0:0) zu einer Doppel-Premiere: Erstmals wurde ein Platzverweis infolge einer Intervention durch den Video-Assistenten ausgesprochen, neu war außerdem, dass ein Schiedsrichter der Empfehlung aus dem Studio in Köln nicht automatisch folgte, sondern sich die fragliche Szene selbst noch einmal auf einem Monitor am Spielfeldrand anschaute. Vorausgegangen war ein rüdes Foul des Freiburgers Yoric Ravet, der Marcel Schmelzer bei einer Grätsche von hinten mit den Stollen voraus in die Wade getreten hatte. Aus der Perspektive von Schiedsrichter Benjamin Cortus auf dem Feld hatte sich das Vergehen nicht als brutal, sondern lediglich als rücksichtslos dargestellt, deshalb gab es für Ravet nur die Gelbe Karte. Daraufhin intervenierte der Video-Assistent Günter Perl, wie es die Regularien vorsehen, wenn es einen begründeten Rotverdacht gibt, der Unparteiische jedoch keinen Platzverweis ausgesprochen hat.

Cortus war von Perls Votum allerdings offenkundig nicht überzeugt - vielleicht deshalb, weil er den Zweikampf auf dem Platz aus seinem Blickwinkel so ganz anders wahrgenommen hatte und deshalb von der Einschätzung des Video-Assistenten überrascht war. Jedenfalls beschloss der Referee im Einklang mit den Richtlinien für den Videobeweis, die Situation in der "Review Area" selbst noch einmal in Augenschein zu nehmen. Nach wenigen Sekunden revidierte er seine Entscheidung und zückte Rot gegen Ravet. Zweifellos eine berechtigte Korrektur, denn die Verwarnung war in der Tat ein klarer Fehler.

Kurz vor dem Abpfiff sprachen Cortus und Perl wieder miteinander. Anlass war ein Luftduell zwischen Pascal Stenzel und Łukasz Piszczek im Strafraum der Hausherren. Dabei hatte der Freiburger, als er zum Kopfball hochstieg, den Dortmunder mit dem Unterarm am Kopf getroffen - und zwar so heftig, dass dieser blutete. Der Ellbogen war zwar nicht ausgefahren und der Treffer eher unglücklich als beabsichtigt, dennoch handelte es sich um ein klares, verwarnungswürdiges Foul. Der Schiedsrichter pfiff jedoch nicht und auch der Video-Assistent empfahl keine Korrektur dieser Entscheidung, obwohl es sehr gute Gründe gibt, sie für eindeutig falsch zu halten.

Von außen lässt sich nur vermuten, warum es hier keinen Strafstoß für den BVB gab. Mit hoher Wahrscheinlichkeit war Günter Perl überzeugt, dass sein Kollege auf dem Platz keinen klaren Fehler begangen hatte - das ist stets auch eine Frage der Interpretation der bewegten Bilder aus 21 Kameraperspektiven, aus denen ein technischer Assistent unter Zeitdruck bis zu vier möglichst aufschlussreiche Einstellungen auswählen muss. Zusätzlich kann der Eindruck, den die normale Geschwindigkeit vermittelt, vom Eindruck aus den Zeitlupen abweichen. Gleichwohl ist das Urteil, dass der Videobeweis hier einen spielentscheidenden Fehler des Referees nicht verhindert hat, nicht abwegig. Das sollte zumindest selbstkritisch aufgearbeitet werden.

Quelle: ntv.de

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