Zum Inhalt springen

Wirbel um Stiftung Gates tut Gutes mit schlecht gemachtem Geld

Die Bill-Gates-Stiftung ist wegen ihrer stillen Investments in umstrittene Öl- und Chemiekonzerne in die Kritik geraten. Kein Einzelfall: Viele wohltätige Fonds versehen ihr gutes Werk mit fragwürdig verdientem Geld.

New York - Die Spende betrug fast das Fünffache des Jahresbudgets der Gruppe. Auf 4.736.587 Dollar war der Scheck ausgestellt, den Javed Syed, der Tuberkulose-Experte der New Yorker Aids-Organisation Treatment Action Group (TAG), diese Woche überreicht bekam. "Mit diesem großzügigen Zuschuss", jubelte der gebürtige Inder, "können wir die Arbeit zu TBC und HIV enorm ausweiten."

Die Spende kam aus Seattle, von der Bill and Melinda Gates Foundation. Es war die erste Zuwendung, die die größte philanthropische Einrichtung der Welt dieses Jahr im Namen des Microsoft-Chefs und seiner Gattin austeilte. Damit erhöhte sich die Summe aller Gates-Gaben für wohltätige Zwecke seit Gründung der Stiftung auf über elf Milliarden Dollar.

Die TAG-Spende erreichte New York jedoch unter dem Schatten des Zweifels. Denn nur Tage zuvor war der strahlende Ruf der Stiftung erstmals in die Schlagzeilen geraten: Während sie einerseits Abermilliarden zur Bekämpfung von Krankheit und Armut auf der ganzen Welt ausgebe, investiere sie andererseits den Löwenanteil ihres Vermögens in Konzerne, die diese Ziele sabotierten - Umweltverpester, Ausbeuter, Sozialsünder.

Peinliche Vorwürfe, die sich bei genauerer Lektüre der öffentlich zugänglichen Gates-Bilanzen tatsächlich auch bestätigen. So umfasst das fragliche Gates-Portfolio, dessen Finanzdetails auf der Website der Stiftung einsehbar sind , Investments in BP, Exxon Mobil, Merck und Schering Plough - allesamt wegen Ethikverstößen oft in der Kritik.

Rendite oder Ethik?

Am selben Tag also, da Aids-Aktivist Javed Syed in New York seinen Millionenscheck in der Hand hielt, reagierte Gates-Geschäftsführerin Cheryl Scott auf die Enthüllungen. Gates werde alle Investitionen sofort überprüfen - und notfalls umschichten. "Alle Investoren müssen entscheiden, in was sie ihr Geld stecken und in was nicht", gab Scott in einem offenen Brief an die Spendenempfänger der Stiftung zu.

Doch damit ist die Geschichte kaum zu Ende. Denn die Gates-Missgriffe sind kein Einzelfall. In der gesamten US-Wohltätigkeitsszene gebe es einen wachsenden, internen "Dialog" um potentiell fragwürdige Anlagen - so genanntes "blindes Investieren" - zu Renditezwecken, sagte Stiftungsexperte Doug Bauer, der Vizepräsident der Rockefeller Philanthropy Advisors, zu SPIEGEL ONLINE. Die Organisation berät weltweit über 100 Stiftungen in Ethikfragen. "Diese Diskussion wird sich nun sicher ausweiten."

Das Dilemma ist bisher kaum bekannt und doch, so Investmentberater Paul Hawken, das "schmutzige Geheimnis" vieler Stiftungen. Aus Steuergründen müssen sie jährlich mindestens fünf Prozent ihres Vermögens gemäß des Stiftungszwecks ausgeben. Wie sie aber die Vermögensmasse anlegen (und vermehren), bleibt ganz ihnen überlassen - und manche orientieren sich dabei lieber an Rendite als an Ethik. So sind viele Stiftungen von Natur aus Zwitterwesen: nach außen spendable Wohltäter, innen indes clevere Anleger, die auch vor "bösen" Ölkonzernen oder Pharmakonglomeraten nicht halt machen. Zwischen beiden Bereichen liegt bisher, was Experten wie Bauer eine "Firewall" nennen: Die eine Seite weiß nicht, was die andere tut.

So auch die Gates-Stiftung. Bill und Melinda Gates, so räumt Scott ein, seien zwar streng bei der Spendenvergabe, aber "sehen davon ab, Unternehmen, in die sie ihr Vermögen investieren, nach solchen Faktoren wie Darlehenspolitik oder Umweltverhalten zu kategorisieren". Das zu beurteilen sei viel zu "komplex" für die enge "Expertise" der Stiftung. Viele Firmen "leisten Arbeit, die Leute mögen, und Arbeit, die Leute nicht mögen". Wo also die Grenze ziehen?

Außen hui, innen pfui

Diese knifflige Frage, so Bauer zu SPIEGEL ONLINE, sei seit einiger Zeit schon Gegenstand einer "aufkeimenden Debatte" unter den rund 70.000 Privatstiftungen Amerikas: Wie lassen sich Spenden einerseits und notwendige, eiskalte Investitionen zum Erhalt der Guthaben andererseits miteinander vereinbaren? "Kann und muss man positiven sozialen Wandel auch mit seinen Investment-Strategien erreichen?"

Außen hui, innen pfui: Es war die "Los Angeles Times", die diese Zwickmühle in einer zweiteiligen Artikelserie über die Gates-Stiftung jetzt veranschaulichte und die öffentliche Diskussion so erst lostrat. "Im Zwiespalt zwischen ihren Spenden und ihrem Anlagevermögen", hieß es darin vernichtend, "schöpft die Stiftung jedes Jahr enorme finanzielle Gewinne aus Investments, die ihren guten Werken direkt zuwiderlaufen."

Die Gates Foundation verfügte Ende 2006 über Aktivposten von 31,9 Milliarden Dollar. Wie üblich, gibt sie jährlich eine Summe in Höhe von fünf Prozent ihres Gesamt-Guthabens an karitative Zwecke - hunderte von Millionen zur Verbesserung der Welt. Voriges Jahr waren das 1,36 Milliarden Dollar für globale Gesundheits- und Impfinitiativen, Bildungsprogramme, Sozialförderung. Angelegt ist das Vermögen, dessen Rendite Gutes erreichen soll, wie bei Stiftungen üblich in Form eines hoch diversifizierten Portfolios. So will die Foundation "eine kontinuierliche Finanzierung der Stiftungsprogramme" ermöglichen, wie es Monica Harrington, eine Stiftungsbeauftragte, in der "Los Angeles Times" ausdrückte.

Schmutzfinken im Portfolio

Die Zeitung dröselte diese Investments nun mühsam auseinander - und stellte fest, dass "Hunderte" davon in Firmen lägen, "die den gemeinnützigen Zwecken oder sozialbewussten Zielen der Stiftung widersprechen". Insgesamt seien Gates-Anlagen im Wert von mindestens 8,7 Milliarden Dollar derart ethisch fragwürdig.

In der Tat fand auch SPIEGEL ONLINE in den Bilanzberichten, die die Gates-Stiftung auf ihrer Website veröffentlicht, folgende Investments: in Umweltverschmutzer wie ConocoPhillips, Dow Chemical und Tyco; in internationale Raffinerieunternehmen wie Royal Dutch Shell; in den Bergbaukonzern Anglo American, dessen Papierfabrik im südafrikanischen Durban mit seinen Schadstoffen "Kinder krank macht, während die Stiftung versucht, ihre Eltern vor Aids zu retten" ("Los Angeles Times"); in Pharmariesen wie Abbott, deren Aids-Mittel für Patienten, die die Stiftung behandeln lässt, unbezahlbar sind.

Das jüngste Gates-Portfolio, das 4714 getippte Anlageseiten zum Bilanzbericht 2005 umfasst, beinhaltet auch den Nahrungsmittelkonzern Archer Daniels Midland (wegen Kinderarbeit und hoher Staatssubventionen in der Kritik) und die Hypothekenbank Fannie Mae (wegen Bilanzbetrug im Visier der Justiz). Die Stiftung, so resümiert die "Los Angeles Times", halte Anteile "an vielen Companys, die im Test sozialer Verantwortung durchfallen, wegen Umweltsünden, Diskriminierung, Missachtung von Arbeiterrechten oder unethischen Praktiken".

Lieber ein "passiver Investor"

Diese Firmen sind natürlich auch in zahllosen anderen Portfolios und Fonds enthalten, ohne dass dagegen groß etwas eingewendet wird. Wohltätige Stiftungen dagegen, sagt Bauer, "müssen sich nun einmal höheren Ansprüchen unterwerfen lassen als normale Investoren".

Andere haben das Problem nach Angaben Douglas Bauers bereits erkannt und umzudenken begonnen. "Wenn man schon mit den Spenden kreativ ist", so Bauer, "dann kann man doch genau so mit den Investments Gutes tun." Allein fünf Prozent des gesamten US-Stiftungsguthabens von fast 600 Milliarden Dollar in "soziale Investments" zu stecken - also Firmen und Fonds, die sozial und ethisch unantastbar seien - wäre ein enormer Schritt.

Unter den Stiftungen, die soziale Gerechtigkeit, Firmenethik und Umweltbewusstsein immer mehr zur Grundlage ihrer internen Investments machen, befinden sich die Ford Foundation (die zweitgrößte US-Privatstiftung), die MacArthur Foundation und die Rockefeller Foundation. Rund ein Drittel aller Stiftungen beteiligen sich außerdem aktiv an Shareholder-Initiativen.

Gates-Geschäftsführerin Scott dagegen bestätigte, dass sich ihre Stiftung bisher grundsätzlich nicht um eine ethische Bewertung ihrer Investments bemüht habe. Auch scheue die Stiftung eigentlich von sozialem "Shareholder-Aktivismus" zurück: Man agiere lieber als ein "passiver Investor".