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Ein Kurde in Deutschland. Autor Yavuz Ekinci

© Muhsin Akgün

„Schreiben sollte gefährlich sein“: Der kurdische Autor Yavuz Ekinci im Gespräch

In seiner türkischen Heimat ist der Schriftsteller unter anderem wegen „Terrorpropaganda“ angeklagt. Davon lässt er sich nicht beirren

Herr Ekinci, hatten Sie vor den türkischen Wahlen die Hoffnung, Präsident Erdogan könne abgelöst werden?
Ja, ich habe geglaubt, dass Kemal Kilicdaroglu gewinnen würde. Aber ich habe mich mal wieder geirrt.

Werden die nächsten Jahre unter Erdogan noch bedrückender?
Die meisten Menschen erwarten das. Aber wir wissen auch, dass Erdogan unerwartet den Kurs wechselt.Er schafft es immer wieder, seiner Basis zu vermitteln, warum gerade diese 180 Grad-Wendungen gut sind. Besondere Hoffnung mache ich mir aber nicht.

Seit Mitte Juni leben Sie in Deutschland. Sie waren fünf Wochen Gast im Literarischen Colloquium Berlin und Sie werden sich mit Hilfe des PEN Berlin bis auf Weiteres hier aufhalten. Befinden Sie sich im Exil?
Nein, ich bin nicht im Exil. Ich habe ja kein Ausreiseverbot in der Türkei. Ich kann kommen und gehen, wann ich will. Ich werde ziemlich bald zurückkehren.

Aber es sind verschiedene politische Prozesse gegen Sie anhängig …
Es gibt einiges, was ich von hier aus verfolgen kann. Aber in einigen Fällen werde ich wohl auch zurückreisen, um an den Verhandlungen teilzunehmen.

Im Oktober erscheint die deutsche Übersetzung Ihres ursprünglich 2012 veröffentlichten Romans „Das ferne Dorf meiner Kindheit“ im Verlag Antje Kunstmann. Worum geht es?
Es ist ein Familienroman, in dem ich die Geschichte der Türkei und Kurdistans im 20. Jahrhundert veranschauliche. Er kam in einer Zeit heraus, als in der Öffentlichkeit sehr viel über  Vergangenheitsaufarbeitung und Versöhnung diskutiert wurde. Das hing mit den Ambitionen der Regierung zusammen, eine EU-Vollmitgliedschaft zu erwirken.

Ist dies der radikalste Ihrer bisherigen Romane?
Radikaler war wohl mein erster Roman „Auf die Haut geschriebene Verse“ von 2010. Es geht darin um Koranverse, die auf die Haut geschrieben wurden. Damit habe ich mich im Prinzip mit der Hisbollah angelegt, der damaligen, in der Türkei ansässigen islamistischen Miliz, die man als Vorläufer des Islamischen Staats bezeichnen kann. Da lief ich Gefahr, auf deren Todesliste zu geraten.

„Das ferne Dorf meiner Kindheit“ schildert plastisch die Brutalität türkischer Soldaten.
Ich war beim Schreiben noch jung, gerade einmal Ende zwanzig, und sehr, sehr wütend. Und ich fand, dass dieser Stoff eine harte, eine realistische, aber auch zerstörerische Sprache erfordert. „Die verlorene Erde des Paradieses“, wie der Roman im Original hieß, drückt es aus.

Eine Blutspur zieht sich durch die Geschichte der Türkei …
Das Land ist in eine Art Hölle verwandelt worden, in einen verfluchten Ort. Seit hundert Jahren gibt es Gewalt mit unglaublich vielen Toten und schrecklichem Leid. Und in jeder Runde wird wie beim Pokern der Einsatz erhöht.

In einem inneren Monolog erfährt der Leser vom Schicksal der Großmutter. Sie ist eine Überlebende des Genozids an den Armeniern, Augenzeugin der Massaker. Haben Sie selbst dazu biografische Berührungspunkte?
Ich habe keine Großmutter, die Genozid-Überlebende war. Aber ich kenne aus meiner eigenen Kindheit viele Geschichten von jungen Frauen, die als Überlebende des Genozids „gerettet“ wurden, in dem man sie verheiratete.

Wie gefährlich ist es, heute als Schriftsteller in der Türkei zu leben?
Ich glaube, dass Schriftstellerei gefährlich sein sollte. Menschen, die dieses Risiko nicht eingehen, wollen sich oft nur nicht die Hände schmutzig machen. Sie meiden bestimmte Themen, weil sie ihre Wut verloren haben. Autoren sind Menschen, die provozieren, die stören, die sich gegen etwas wenden und helfen, andere Perspektiven einzunehmen.

Muss man zwischen Schriftstellerei und Politik nicht unterscheiden?
Ja. Politik hat das Ziel, andere Menschen zu verurteilen, sie polarisiert. Schriftstellerei dagegen sollte uns helfen, andere Menschen zu verstehen, uns auch in jene einzufühlen, mit denen wir gar nicht übereinstimmen. Politik möchte immer, dass wir die anderen verurteilen. Deswegen spaltet sie. Wenn man an Dostojewskis „Schuld und Sühne“ zurückdenkt: Es ist natürlich wahnsinnig leicht, jemanden zu verurteilen, der mit der Axt eine Pfandleiherin und deren Schwester umbringt. Aber ein Schriftsteller wie er bringt uns eben bei, wie man das Ganze auch aus einer anderen Perspektive betrachten kann.

(Übersetzung: Oliver Kontny)

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