TERFs Falsche Freundinnen – Feminismus für privilegierte Frauen

Was genau ist eigentlich trans*exklusiver, "radikaler Feminismus"? Und warum ist es eigentlich so wichtig, dass Feminismus den vielfältigen Problemen der Gegenwart gewachsen sein muss?

Trans* Fahne

Ein Tweet, der das Fass zum Überlaufen brachte. Die Schriftstellerin J.K. Rowling stand schon länger in der Kritik. Immer wieder erntete sie Vorwürfe beispielsweise dafür, dass sie sich mit Menschen solidarisierte, die in der Vergangenheit durch offene Trans*feindlichkeit auffielen.  Als sie schließlich Anfang Juni 2020 auf dem Kurznachrichtendienst Twitter die trans*inter*nonbinary1  sensible Formulierung "Menschen die menstruieren" ins Lächerliche zog, war das für viele eine Bestätigung eines lange gehegten Verdachts: J.K. Rowling ist eine TERF

TERF, das steht für trans*exclusionary radical feminist (trans*ausschließende, radikaleR FeministIn). Und das Beben im Potterversium steht nicht für sich, sondern ist Teil eines größeren Ganzen. Es lohnt sich also ein Blick darauf, was trans*exklusiver, "radikaler Feminismus" genau ist. Gerade jetzt wo, mitten in einer weltweiten Pandemie, die Debatte um soziale Teilhabe marginalisierter Gruppen bei gleichzeitigem Rechtsruck umso wichtiger ist.

Feminismus, Radikalität und Trans*exklusion

Das Kürzel TERF geht auf Viv Smythe zurück. Die Autorin und Bloggerin analysierte 2008 radikalfeministische Standpunkte und schuf mit TERF eine Bezeichnung für Gruppen, die trans*Personen mehr oder weniger weit aus ihrem Feminismus ausschlossen. Radikalfeminismus bezeichnet (vereinfacht) vor allem die Position, gesellschaftliche Ungleichheitsverhältnisse als Produkte der männlichen Vorherrschaft (Patriarchat) zu analysieren. Zentrale Forderung: Gleichberechtigung von Männern und Frauen im bestehenden System reiche nicht weit genug. Es brauche eine grundsätzliche (daher: "radikal" = von der Wurzel her) Umwälzung und Abschaffung bestehender, Menschen einengender Geschlechterrollen und damit verbundener Hierarchien. Aktuelle feministische Bewegungen verdanken dem Radikalfeminismus beispielweise antikapitalistische Standpunkte und die Politisierung aller Lebensbereiche ("Das Private ist politisch"). Es zeigt sich: Radikalfeminismus muss nicht trans*exklusiv sein. Die Argumentationslinien der TERFs verbreiten sich zunehmend. Auch im Deutschland gibt es die Vorwürfe der Trans*feindlichkeit gegen Feministinnen wie Alice Schwarzer , die von ihr gegründete Zeitschrift  EMMA oder auch gegen die Menschenrechtsorganisation Terre des Femmes .

TERF – ein ideologischer Flickenteppich

Die Argumente, die TERFs verwenden, bestehen aus einem Flickenteppich unterschiedlicher ideologischer Richtungen. TERFs behaupten, Trans*menschen, queere Feminist:innen und ihre Unterstützer:innen würden die gesellschaftliche Diskriminierung von cis Frauen nicht anerkennen.

Auf dieser Grundlage werden vor allem Ressentiments gegen Trans*personen formuliert, die bei Geburt männlich zugeordnet wurden. Die Inklusion von Trans*weiblichkeiten in Frauenräume wird als Schreckenszenario imaginiert. Folgt mensch der Argumentation der TERFs ist die Anwesenheit einer Trans*weiblichkeit in einem Frauenschutzraum gleichzusetzen mit der eines Vergewaltigers. Trans*weiblichkeiten würden leugnen, dass sie "eigentlich Männer" seien, um Einlass in Frauenräume erlangen.  Die gleichberechtigte Betrachtung von Trans*- und Inter*Feindlichkeit neben klassischem Sexismus gegenüber cis Frauen wird von TERFs als "Genderideologie" abgetan und abgelehnt, da sie sich davon unterdrückt fühlen, das mehrere Diskriminierungsformen gleichzeitig betrachtet werden sollen – Sexismen gegen trans*Personen werden von TERFs ignoriert.

Gleichzeitig bezeichnen sich TERFs als genderkritisch. Das bedeutet, dass sie Geschlecht als grundsätzlich biologisch angelegt verstehen. Eine tiefer-gehende Betrachtung gesellschaftlicher Gemachtheit jedes Geschlechterverständnisses muss darunter zwangläufig leiden. Folglich lehnen sie geschlechtliche Selbstbestimmung ab und erklären den Kampf um trans*, inter* und nonbinary Rechte als Angriff zur „Genderideologie“ deren Ziel es wäre, den Begriff Frau abzuschaffen. Die Welt wird in zwei Teile geteilt, anhand der Genitalien, mit denen mensch auf die Welt kommt. Aus dieser Perspektive werden Menschen, die mit einem Penis zur Welt kommen, automatisch in die Rolle der Unterdrücker hineingeboren. Tatsächlich radikalfeministische Untersuchungen weisen jedoch einen viel größeren Nuancenreichtum auf und beziehen gesellschaftliche Machtkonstellation ein. Ein bloßer Rückgriff auf biologische Kategorien erlaubt keine vergleichbare Komplexität. 

TERFs beziehen sich gern und oft auf "objektive" biologische Naturwissenschaft. Gerade die Biologie ist jedoch nie objektiv. Sie ist abhängig von kulturellen und gesellschaftlichen Einflüssen und wird selbst häufig genug zum Werkzeug verschiedener sexistischer und rassistischer Diskriminierungen.2  Das bleibt bei TERFs aber gerne unerwähnt, solange ein veraltetes Biologie Verständnis Trans*exklusion begründet. An anderer Stelle wird sich wiederum auf die sonst abgelehnte „Genderideologie“ bezogen, wenn es dem Zweck dient, das Selbstbestimmungsrecht geschlechterdiverser Menschen in Frage zu stellen: Laut TERFs heißt es, Trans*weiblichkeiten könnten nicht weiblich sein, da sie männlich sozialisiert wurden, während Trans*männlichkeiten mit der Erfahrung weiblicher Sozialisation automatisch der Kategorie Frau zuordenbar seien. Nichtbinäre Personen sind, wenn sie überhaupt erwähnt werden, nur ein Produkt neoliberaler Individualisierung. Und inter* Personen werden in den Diskursen von TERFs meist komplett unsichtbar gemacht.3 

Feminismus für wen?

Anders als TERFs es behaupten, geht es aber nicht darum, die Kämpfe von Frauen unsichtbar zu machen. Es geht auch nicht um individuelle Befindlichkeiten von trans*, inter* und nichtbinären Personen. Sondern es geht darum die Debatte um strukturelle Ausschlüsse, um Selbstbestimmung und tatsächliche Gleichberechtigung zu erweitern. Sexismus betrifft eben nicht nur cis-Frauen, und Ungleichbehandlung aufgrund von trans*- und inter* Feindlichkeit muss thematisiert werden. Es geht um eine Arbeitslosigkeitsrate von trans* Personen, die im europäischen Schnitt zwei Mal höher ist, als die von cis-Personen (Stand vor der Corona Pandemie).4  Es geht um die lebensbedrohlichen Auswirkungen, die Ignoranz und Nicht-Akzeptanz  gerade für jugendliche trans* Personen haben. Es geht um Fetischisierung und sexualisierte Gewalt gegen Trans*weiblichkeiten, die in Debatten um Sexismus und sexualisierte Gewalt zu oft zu unsichtbar bleiben. Es geht allein in Deutschland um ca. 1700 legale Genitalverstümmelungen an inter* Kindern pro Jahr. Es geht um trans* Refugees, denen der überlebensnotwendige Zugang zum deutschen Gesundheitssystem verwehrt wird. Es geht um Abschiebungen, weil Queerfeindlichkeit weitgehend nicht als Fluchtursache anerkannt wird. Die Debatte, die TERFs führen, ist daher verkürzt: Es geht nicht um männliche oder weibliche Sozialisation, sondern um eine Sozialisation in einer Gesellschaft, die trans*, inter* und nichtbinären Menschen beibringt, dass ihre Existenz verkehrt, falsch, beschämend, krank und nicht lebenswert ist – trans*, nichtbinäre und inter* Sozialisation heißt nicht, männliche Privilegien zu genießen (wie TERFs behaupten), sondern zu verinnerlichen, dass in dieser Welt ein Platz für dich höchstens die Ausnahme ist.

Weißer Feminismus für privilegierte Frauen

Das Streben danach, cis-Frauen als einzige Betroffene gegenderter Gewalt anzuerkennen, verlangt einen ideologischen Spagat. Zentrales Ziel scheint dabei der Schutz eigener Privilegien zu sein. Auf diese aufmerksam gemacht, wird mit Fragilität reagiert: Anstelle einer empathischen Reaktion und dem Schließen von Bündnissen gegen Diskriminierung folgen Abwehrstrategien, die marginalisierte Gruppen als Unterdrücker:inen und Aggressor:innen imaginieren. Letztlich ist in vielen linken Kreisen die Bezeichnung TERF daher mittlerweile dem Begriff FART gewichen: Feminismus aneignende regressive Trans*hater. So zeigt sich am Beispiel US-amerikanischer FARTs, dass selbsterklärte Feministinnen Allianzen mit rechtskonservativen Stimmen eingehen, um ihre Privilegien abzusichern und ihre Identitätspolitik für weiße cis-Frauen der Mittelklasse zu verteidigen.  Und auch hier in Deutschland findet der offene Schulterschluss mit Konservativen Sittenhütern statt, solange es dazu dient, trans*, inter* und nichtbinären Menschen Rechte abzusprechen.5 

Ein kurzer Blick in die EMMA offenbart, dass das Label "Feminismus" für FARTs wie Alice Schwarzer schlicht nicht passt. Durch trans*feindliche Attacken, anti-muslimischen Rassismus und Ablehnung von Sexarbeit, stellen sie sich gegen die Rechte anderer Frauen und Weiblichkeiten. In der Manier weißer Retterinnen schreiben gut situierte, privilegierte cis-Frauen über die Frauenfeindlichkeit, die "dem" Islam inhärent sei. Nikap, Burka, Hijab werden gleichgesetzt und als Instrument frauenfeindlicher Unterdrückung abgelehnt. Jeder Gedanke an eine Selbstbestimmung muslimischer Frauen geht in der rassistischen, weißen Bevormundung von Women of Color verloren. Ebenso sind es prominente Stimmen der EMMA, die Sexkaufverbote und weitere Illegalisierungen von Sexarbeit – insbesondere Prostitution – fordern, weil sie ein Werkzeug der patriarchalen Ausbeutung sei. Eine Durchsetzung dieser Ideen beispielsweise in Schweden zeigt: Darunter leiden vor allem die, die damit geschützt werden sollten – prekarisierte FLINTs6  deren einziges Auskommen die Sexarbeit ist. 

Feminismus im Hier und Jetzt – bündnisfähig, intersektional und von der Wurzel her

Ein wirklich radikaler, also grundlegender Feminismus, der den vielfältigen Problemen der Gegenwart gewachsen ist, ist mit den Standpunkten von FARTs nicht vereinbar. Die globale Pandemie als Brennglas bereits bestehender gesellschaftlicher Hierarchien zeigt: Es sind vor allem marginalisierte Gruppen, die von Krisen, Ausbeutung und Gewalt betroffen sind.  Feminismus muss den vielfältigen Problemen der Gegenwart gewachsen sein. Dies bedeutet, dass er verschiedene Diskriminierungsformen betrachten, die Wechselwirkung verschiedener Diskriminierungsverhältnisse begreifen und die verwundbarsten Mitglieder einer Gesellschaft in den Fokus nehmen muss – statt sich wie FARTs auf die Belange weißer, studierter cis-Frauen zu beschränken. Diskriminierte Gruppen vom Kampf um mehr Rechte aktiv auszuschließen, widerspricht jedem Feminismus und wirkt letztlich antifeministisch. Denn Feminismus funktioniert nur gemeinsam.
 


1 trans*: aus dem lateinischen: "jenseits von etwas". Trans* ist eine Selbstbezeichnung von Personen die sich jenseits des Geschlechts befinden, dem sie bei Geburt zugeordnet wurden
    inter*: Inter* sind Menschen, die mit Körpern geboren werden, die nicht, bzw. nur teilweise den gängigen Vorstellungen von "männlichen" und "weiblichen" Körpern entsprechen. Inter* ist ein Sammelbegriff für Menschen mit unterschiedlichsten gesunden Variationen körperlicher Merkmale, die gemeinhin mit Geschlecht assoziiert werden. Diese Variationen können sich bei der Geburt, in der Kindheit, während der Pubertät oder zu einem späteren Zeitpunkt im Leben zeigen oder auch unentdeckt bleiben.
    nichtbinär: Eine Selbstbezeichnung für Personen, die weder Mann noch Frau sind oder die sich nur teilweise in diesen Kategorien wiederfinden. Nichtbinär kann auch eine Sammelbezeichnung für verschiedene Geschlechterbezeichnungen sein. Nichtbinäre Personen können trans*, inter*, beides oder keines davon sein.
    cis: aus dem lateinischen: "diesseits von etwas". Cis ist eine politische Bezeichnung für Menschen die sich innerhalb, bzw. diesseits der Geschlechterkategorie befinden, der sie bei Geburt zugeordnet werden. Im Verhältnis von Trans*feindlichkeit nehmen cis-Personen die privilegierte Position ein, da sie keine Trans*feindlichkeit erleben (es sei denn sie sind inter*).
    endo: Als endo/endogeschlechtlich werden Menschen bezeichnet, die nicht inter* sind, deren Körper also in die medizinischen Normen von "männlich" und "weiblich" passen. Der Begriff dyadisch wird synonym verwendet.

2 Vgl.: "Wissenschaften sind die Instanzen, mit denen in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft die Positionen der Menschen und ihre gesellschaftlichen Möglichkeiten festgelegt wurden und werden. [...] People of Color in kolonialisierten Gebieten gar zu versklaven, wurde auf Basis biologischer und medizinischer Zuschreibungen legitimiert. [...] Die Wissenschaften erweisen sich [...] als in die Gesellschaft eingebunden." (Heinz Jürgen Voß, Sali Alexander Wolter: Queer und (Anti-)Kapitalismus. S. 102-103. Schmetterlingverlag, 2019.)

3 Vgl.: FaulenzA: Support your sisters, not your cisters: über Diskriminierung von trans*Weiblichkeiten. Edition assemblage, 2017.

4 Vgl.: European Union Agency for Fundamental Rights: Being Trans in the European Union – Comparative analysis of EU LGBT. (2016): https://fra.europa.eu/sites/default/files/fra-2014-being-trans-eu-comparative-0_en.pdf

5 Vgl.: https://lambda-online.de/2020/05/27/stellungnahme-des-referats-trans-zum-verbot-der-konversionsmassnahmen-und-terre-des-femmes/

6 FLINT: Das Akronym steht für Frauen, lesbische Personen, inter*, nichtbinär und trans*.