Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen Infektionsschutzrecht (Land Berlin); Coronavirus (SARS-CoV-2); Krankenhaus;...
Aufgrund von Wartungsarbeiten konnten seit Januar 2024 keine neuen Entscheidungen veröffentlicht werden. Alle Entscheidungen mit Stand vom 31. Dezember 2023 sind jedoch abrufbar. Zurzeit werden die noch ausstehenden Entscheidungen nachgepflegt.

Infektionsschutzrecht (Land Berlin); Coronavirus (SARS-CoV-2); Krankenhaus; Kapazität; Intensivbetten; Freihaltung; Reservierung; planbare Operationen und Eingriffe; Covid-19-Erkrankte; ausreichende Behandlungmöglichkeiten; Ermächtigungsgrundlage; Generalklausel; Zitiergebot; Verhinderung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten; Beschwerde;Stattgabe Antragsgegner


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 1. Senat Entscheidungsdatum 30.04.2021
Aktenzeichen OVG 1 S 66/21 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2021:0430.OVG1S66.21.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 28 Abs 1 S 1 IfSG, § 32 IfSG, § 25 Abs 3 S 1 CoronaV2V BE, § 6 Abs 2 CoronaVKHV BE 2

Leitsatz

§§ 28 Abs. 1 Satz 1, 32 Satz 1 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) i.V.m. § 25 Abs 3 Satz 1 der Zweiten SARS-CoV-2-Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (2. InfSchMV) enthalten eine verfassungsgemäße Ermächtigungsgrundlage für die Verordnung über Reservierungs- und Freihaltequoten in Notfallkrankenhäusern gemäß § 6 Abs. 2 der Zweiten Krankenhaus-Covid-19-Verordnung (CoronaKHV) vom 22. Februar 2021 (GVBI. S. 170), in der fortgeltenden Fassung der Ersten Änderungsverordnung vom 19. März 2021 (GVBI. S. 299).

Tenor

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 8. April 2021 wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt die Antragstellerin.

Der Wert des Beschwerdegegenstands wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde des Antragsgegners hat Erfolg.

I. Die Antragstellerin ist Trägerin eines Notfallkrankenhauses, das den Beschränkungen in § 6 Abs. 2 der Zweiten Krankenhaus-Covid-19-Verordnung (CoronaKHV) vom 22. Februar 2021 (GVBI. S. 170), in der fortgeltenden Fassung der Ersten Änderungsverordnung vom 19. März 2021 (GVBI. S. 299) unterliegt. Die Vorschrift lautet:

1In allen Notfallkrankenhäusern und Notfallzentren dürfen unter Einhaltung der vorgegebenen Reservierungs- und Freihaltequoten nur noch medizinisch dringliche planbare Aufnahmen, Operationen und Eingriffe bei Patientinnen und Patienten durchgeführt werden. Medizinisch dringlich sind insbesondere Operationen und Eingriffe,

1. die geeignet sind, potentiell oder im Verdachtsfall einer reduzierten Lebenserwartung entgegenzuwirken,

2. deren Verschiebung potentiell oder im Verdachtsfall zu einer reduzierten Lebenserwartung oder zu einer dauerhaften und unverhältnismäßigen Funktionseinschränkung führen würde

oder

3. deren Verschiebung potentiell oder im Verdachtsfall mit einer unzumutbaren Einschränkung der Lebensqualität einhergehen würde.

2Soweit unter Einhaltung der Vorgaben nach den Sätzen 1 und 2 hinaus noch weitere intensivmedizinische Betten mit maschineller Beatmungsmöglichkeit zur Verfügung stehen, dürfen Operationen und Eingriffe durchgeführt werden, wenn anschließend die intensivmedizinischen Betten mit maschineller Beatmungsmöglichkeit mit großer Wahrscheinlichkeit nicht länger als 12 Stunden belegt werden.“

Das Verwaltungsgericht hat dem (sinngemäßen) Eilantrag,

im Wege einstweiliger Anordnung festzustellen, dass die Antragstellerin vorläufig beim Betrieb des von ihr getragenen Krankenhauses („-Kliniken Berlin “) nicht verpflichtet ist, die Behandlungsverbote einzuhalten, die sich aus der Zweiten Verordnung zu Regelungen in zugelassenen Krankenhäusern während der Covid-19-Pandemie ergeben,

im Wesentlichen mit folgender Begründung stattgegeben:

Die Antragstellerin habe sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund in einer die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigenden Weise glaubhaft gemacht. Die als Ermächtigungsgrundlage in der CoronaKHV angegebenen § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 und § 28a Abs. 1 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) und § 25 Abs. 3 Satz 1 der Zweiten SARS-CoV-2-Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (2. InfSchMV) entsprächen nicht den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 GG. Das angegriffene „Behandlungsverbot“ gehöre weder zu den in § 28a Abs. 1 IfSG beispielhaft aufgeführten Schutzmaßnahmen und weise auch keine inhaltliche Nähe dazu auf noch könne das Verbot unter den Begriff der „notwendigen Schutzmaßnahmen" im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG subsumiert werden. Zwar sei dieser Begriff umfassend zu verstehen, weil sich die Fülle der bei Ausbruch einer übertragbaren Krankheit in Frage kommenden Maßnahmen nicht von vornherein übersehen lasse, so dass den Infektionsschutzbehörden durch diese Generalklausel ein möglichst breites Spektrum an geeigneten Maßnahmen eröffnet werden solle. Dies ändere jedoch nichts daran, dass zu diesem Spektrum einzig solche Maßnahmen zählten, die der Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten dienten. Dies ergäbe sich bereits aus dem eindeutigen Wortlaut von § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG. Allein mit dieser übergeordneten Zielsetzung „zur Eindämmung der Weiterverbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2“ könnten Maßnahmen ergriffen bzw. durch Rechtsverordnung geregelt werden. Das „Behandlungsverbot“ bezwecke lediglich die Möglichkeit der Aufnahme und der bedarfsgerechten Versorgung von COVID-19-Erkrankten sowie die notwendige medizinische Versorgung der übrigen Berliner Bevölkerung in Krankenhäusern sicherzustellen. Dieser Zweck setze erst an einer höheren Eskalationsstufe an, indem es Gefahren für die Gesundheit der Bevölkerung sowie für die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems abwehren oder zumindest begrenzen solle, welche drohten, wenn die Weiterverbreitung der Krankheit trotz aller Bemühungen nicht ausreichend verhindert werden könne. Die von dem Antragsgegner aufgezeigten Infektionsschutzvorteile, die mit dem „Behandlungsverbot“ einhergingen, seien nicht der Hauptzweck von § 6 Abs. 2 CoronaKHV, sondern allenfalls Reflexe, bei denen es primär um die Freihaltung von Krankenhauskapazitäten zur Sicherstellung der Behandlung von an Covid-19 erkrankten Personen gehe. Die landesrechtliche Ermächtigung in § 25 Abs. 3 der 2. InfSchMV könne den derart begrenzten Rahmen der bundesrechtlichen Ermächtigung nicht erweitern.

Die Antragstellerin habe auch dargetan und glaubhaft gemacht, dass ihr infolge des Behandlungsverbots nicht unerhebliche Einnahmeausfälle entstünden, solange in ihrer Klinik keine Patienten mehr behandelt werden dürften, deren planbare Operationen und Eingriffe nicht medizinisch dringlich im Sinne des § 6 Abs. 2 CoronaKHV seien. Überdies sei nachvollziehbar, dass sie bei der Abweisung potentieller Patienten wegen des „Behandlungsverbots“ auch mit einem Reputationsverlust bzw. einer zukünftig geringeren Empfehlungsquote durch niedergelassene Ärzte und infolgedessen mit unkalkulierbaren negativen Auswirkungen auf das zukünftige Patientenaufkommen rechnen müsse.

II. Das für die Prüfung des Senats gemäß § 146 Abs. 4Satz 3 und 6 VwGO maßgebliche Beschwerdevorbringen rechtfertigt den angegriffenen Beschluss zu ändern. Dies gilt auch in Ansehung der Replik der Antragstellerin (Schriftsatz vom 27. April 2021).

1. Die Beschwerdebegründung des Antragsgegners dringt damit durch, dass die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch nicht dargetan habe.

a. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts bestehen bei der im Eilverfahren allein möglichen summarischen Prüfung keine durchgreifenden Bedenken gegen die Heranziehung des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG als Rechtsgrundlage für die beanstandeten Regelungen.

Nach dieser Generalklausel (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 - 3 C 16.11 - BVerwGE 142, 205 ff., juris Rn. 24) trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden. Wie schon die Vorgängerregelung in § 34 Bundesseuchengesetz (vgl. dazu BT-Drs. 8/2468, zu A.) enthält auch das Infektionsschutzgesetz (vgl. BT-Drs. 19/18111, zu A.) weitreichende Befugnisse zur Verhütung (§§ 16 ff. IfSG) sowie zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten (§§ 24 ff. IfSG). Auf diese umfassende Zweckbestimmung des Infektionsschutzgesetzes auch zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten bzw. auf den übergeordneten Zweck „Leben und Gesundheit des Einzelnen wie der Gemeinschaft vor den Gefahren durch Infektionskrankheiten zu schützen" (vgl. BT-Drs. 14/2530 S. 43) weisen bereits die amtliche Bezeichnung des Gesetzes „zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen“, die Überschrift des 5. Abschnitts „Bekämpfung übertragbarer Krankheiten“ sowie die Ermächtigung in § 32 Satz 1 IfSG zum Erlass entsprechender „Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten“ hin. Angesichts dessen überzeugt das Argument nicht, dass der Wortlaut von § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG eindeutig sei.

Bereits mit der Vorgängerregelung (§ 34 BSeuchG) sollte in Anbetracht der Fülle der Schutzmaßnahmen, die beim Ausbruch einer übertragbaren Krankheit infrage kommen, eine „generelle Ermächtigung in das Gesetz“ aufgenommen werden, wobei die möglichen Maßnahmen nicht nur gegenüber Kranken, Krankheitsverdächtigen und Ansteckungsverdächtigen, sondern auch gegenüber „Nichtstörern" in Betracht kommen (vgl. BT-Drs. 8/2468, S. 27 sowie BVerwG, Urteil vom 22. März 2012, a.a.O., juris Rn. 25 m.w.N. bzgl. § 28 Abs. 1 IfSG). Der Begriff der „Schutzmaßnahmen“ in § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG ist auch nach Ansicht des Verwaltungsgerichts (vgl. Beschluss, S. 6) umfassend und ermöglicht den Infektionsschutzbehörden ein möglichst breites Spektrum an geeigneten Maßnahmen, wobei ihnen hinsichtlich Art und Umfang der Bekämpfungsmaßnahmen, das „Wie" des Eingreifens, ein Ermessen eingeräumt ist, das durch die Notwendigkeit des Engreifens und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz begrenzt wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. März 2012, a.a.O., juris Rn. 24). Auch der Wortlaut des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG verdeutlicht durch die Verwendung des Begriffs „insbesondere", dass die in Betracht kommenden Schutzmaßnahmen nicht abschließend sind.

Schon danach spricht Überwiegendes dafür, dass auch die streitgegenständlichen „Reservierungs- und Freihaltequoten“ als notwendige Schutzmaßnahmen aufgrund der bundesgesetzlichen Ermächtigung in § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 IfSG i.V.m. § 25 Abs. 3 der 2. InfSchMV angeordnet werden durften. Zwar zielen die Beschränkungen in § 6 Abs. 2 CoronaKHV in erster Linie auf die Bewältigung eines im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie erwarteten Notstands in der stationären Versorgung ab. Zugleich tragen die Regelungen aber zur Verhinderung der Ausbreitung mithin zur „Bekämpfung“ des Coronavirus bei, indem sie sicherstellen sollen, dass die an COVID-19 erkrankten Personen möglichst wirksam in den dafür vorgesehenen medizinischen Einrichtungen isoliert behandelt werden können. Auch dies dient dem Zweck des Infektionsschutzgesetzes (vgl. § 1 IfSG), die Weiterverbreitung des SARS-CoV-19-Virus zu verhindern (ebenso VG Ansbach, Beschluss vom 25. April 2020 - AN 18 S 20.00739 - juris Rn. 26). Der Antragsgegner hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die isolierte Unterbringung infektiöser Patienten letztlich auch der Verhinderung nosokomialer Infektionen (Krankenhausinfektionen) und damit auch dem vom Verwaltungsgericht als angeblich allein in Betracht kommenden Zweck dient, die Verbreitung übertragbarer Krankheiten zu verhindern. Der Einwand der Antragstellerin, dass dieser Zweck lediglich eine „Modalität der Krankenbehandlung“ darstelle, überzeugt nicht.

Die am Wortlaut des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG orientierte Auslegung des Verwaltungsgerichts, wonach auf das Infektionsschutzgesetz gestützte Maßnahmen nach dem Willen des Gesetzgebers „ausschließlich … zur wirksamen Eindämmung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019“ ergriffen bzw. durch Rechtsverordnung nach § 32 Satz 1 in Verbindung mit den §§ 28, 28a IfSG geregelt werden könnten, ist zu eng. Die Unterscheidung zwischen diesem angeblichen „Hauptzweck“ des Infektionsschutzgesetzes bzw. „dem einzigen zulässigen Zweck möglicher Schutzmaßnahmen“ und den durch § 6 Abs. 2 CoronaKHV bewirkten bloßen „Reflexe(n)“ auf einer „höheren Eskalationsstufe“ führt auf eine konstruierte und bei summarischer Prüfung nicht überzeugende Verengung des Anwendungsbereichs von § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG, dessen Zielsetzung auch darin besteht, zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beizutragen.

Von diesem weiten Verständnis des Regelungsbereichs von § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG und der Möglichkeit, durch Rechtsverordnung entsprechende „Reservierungs- und Freihaltequoten“ als notwendige Schutzmaßnahmen vorzuschreiben, ist der Bundesgesetzgeber offenbar auch bei den Regelungen über Ausgleichszahlungen nach § 21 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (KHG) ausgegangen. Danach erhalten zugelassene Krankenhäuser, die zur Erhöhung der Bettenkapazitäten für die Versorgung von Patientinnen und Patienten, die mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 infiziert sind, planbare Aufnahmen, Operationen und Eingriffe verschieben oder aussetzen, Ausgleichszahlungen für Ausfälle der Einnahmen, die dadurch entstehen, dass Betten nicht so belegt werden können, wie es vor dem Auftreten der SARS-CoV-2-Pandemie geplant war. Diese Ausgleichszahlungen werden durch die Länder bewirkt und vom Bund refinanziert (vgl. § 21 Abs. 4a KHG). Dadurch sollen die Länder in die Lage versetzt werden, die Liquidität der Krankenhäuser zu sichern (siehe dazu noch 2. a.).

Dass die umfassende Zweckbestimmung des Infektionsschutzgesetzes zur „Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten“ nur durch ein funktionierendes Gesundheitssystem effektiv geleistet werden kann, wenn ausreichend freie Kapazitäten zur Diagnostik, Behandlung und Isolation infizierter Personen vorgehalten werden, liegt auf der Hand. Wenn infizierte Behandlungsbedürftige in Ermangelung von intensivmedizinischen Krankenhauskapazitäten nicht mehr stationär aufgenommen werden könnten, würde dies auch zu einer Intensivierung des Infektionsgeschehens außerhalb eines Krankenhauses beitragen. Auch unter diesem Aspekt können Maßnahmen zum Schutz des Gesundheitssystems vor einer Überlastung auf die Generalklausel des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG gestützt werden. Von daher geht die Bezugnahme der Antragstellerin auf die sog. „Wesentlichkeitsdoktrin“ ins Leere.

Der weitere Einwand der Antragstellerin, § 6 Abs. 2 Satz 1 CoronaKHV sei zumindest wegen Verstoßes gegen Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG nichtig, weil Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in § 32 IfSG nicht genannt sei, überzeugt nicht (vgl. zudem § 32 Satz 3 IfSG i.d.F. vom 22. April 2021). Der Bundesgesetzgeber musste nicht im Wege des Zitiergebots darauf hinweisen, dass das „Behandlungsverbot“ in § 6 Abs. 2 CoronaKHV in das Recht auf körperliche Unversehrtheit derjenigen Patienten eingreife, die aufgrund der Verordnung trotz körperlicher und seelischer Leiden nicht im Krankenhaus der Antragstellerin behandelt werden könnten. Dies könnte allenfalls in Betracht kommen, wenn medizinisch notwendige Behandlungen auch in anderen Krankenhäusern aufgrund der „Reservierungs- und Freihaltequoten“ unterblieben. Dies ist jedoch weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.

Die angebliche Unbestimmtheit der Tatbestandsmerkmale „unverhältnismäßigen Funktionseinschränkungen" und „unzumutbaren Einschränkungen" in § 6 Abs. 2 Satz 2 Ziff. 2 und 3 CoronaKHV überzeugt schon angesichts der nicht abschließenden („insbesondere“) Umschreibung medizinisch dringlicher Operationen nicht.

Die Generalklausel des § 28 IfSG wird auch nicht durch die spezielleren Regelungen in den §§ 28a, 29 bis 31 IfSG verdrängt, so dass darin nicht explizit aufgeführte Schutzmaßnahmen auf § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG gestützt werden können, zumal die spezielleren Vorschriften über den Infektionsschutz bei bestimmten Einrichtungen, Unternehmen und Personen in §§ 33 ff. IfSG ebenfalls nicht abschließend sind. Dies gilt auch für § 28a IfSG, durch dessen Absatz 1 „die Regelbeispiele in § 28 Absatz 1 Satz 1 und 2 IfSG speziell für die SARS-CoV-2-Pandemie klarstellend erweitert“ (und nicht ersetzt oder beschränkt) werden sollten (vgl. BT-Drs. 19/23944, S. 31).

b. Angesichts des durch den Bundestag festgestellten Fortbestehens einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite (vgl. das entspr. Gesetz vom 29. März 2021, BGBl. 370) aufgrund der noch gegenwärtigen und erheblichen Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung durch die Verbreitung der übertragbaren Covid-19-Krankheit sowie wegen der aktuell sehr hohen Auslastung der intensivmedizinischen Abteilungen in den Notfallkrankenhäusern (vgl. www.intensivregister.de/#/aktuelle-lage/laendertabelle) sind die Beschränkungen nach § 6 Abs. 2 Corona-KHV notwendig im Sinne von§ 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG und verhältnismäßig. Dies stellt auch die Antragstellerin nicht substantiiert in Frage.

aa. Zunächst ist zu berücksichtigen, dass eine Verschlechterung des Zustands von an Covid-19-Erkrankten vergleichsweise schnell eintreten kann, weshalb Patienten mit schwerem Verlauf nach den unwidersprochenen Angaben des Antragsgegners meist innerhalb der ersten Wochen der Erkrankung hospitalisiert und teilweise von einem Tag auf den anderen intensivmedizinisch behandelt werden müssen. Darauf müssen die Krankenhäuser angesichts steigender bzw. derzeit auf sehr hohem Niveau stagnierender Infektionszahlen mit weiter drohender exponentieller Entwicklung der Infektionen aufgrund von vordringenden Mutationen des SARS-CoV-2-Virus auf die kurzfristige Aufnahme vieler isolationspflichtiger Personen vorbereitet sein. Dies setzt naturgemäß die Freihaltung eines Anteils an intensivmedizinischen Betten und Behandlungskapazitäten voraus (zu den Einzelheiten vgl. § 7 ff. CoronaKHV sowie die näheren Ausführungen der Beschwerde, S. 11). Hiergegen hat die Antragstellerin in ihrer Antragsbegründung sowie in ihrer Erwiderung nichts vorgebracht.

bb. Unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit ist festzustellen, dass der vom Verwaltungsgericht verwendete Begriff eines „Behandlungsverbot(s)" überzogen erscheint; denn auch bei Einhaltung der angegriffenen Restriktionen aufgrund von § 6 Abs. 2 CoronaKHV verbleiben der Antragstellerin nicht unerhebliche Freiräume für Aufnahmen, Operationen und Eingriffe (zu den finanziellen Auswirkungen vgl. noch 2.). Zum einen ist die Durchführung medizinisch notwendiger und nicht planbarer Aufnahmen, Operationen und Eingriffe sowohl in zugelassenen Krankenhäusern (§ 6 Abs. 1 CoronaKHV) als auch in Notfallkrankenhäusern und Notfallzentren (Abs. 2) nach wie vor erlaubt (Umkehrschluss aus § 6 CoronaKHV); folglich sind nur planbare, d.h. vorhersehbare Aufnahmen, Operationen und Eingriffe von den Beschränkungen betroffen. Aber auch diese können in Notfallkrankenhäusern und Notfallzentren durchgeführt werden, wenn die in § 7 ff. CoronaKHV i.V.m. der Anlage zu § 7 Abs. 2 CoronaKHV vorgegebenen Reservierungs- und Freihaltequoten eingehalten sind und es sich um „medizinisch dringliche planbare Aufnahmen, Operationen und Eingriffe bei Patientinnen und Patienten“ i.S.v.§ 6 Abs. 2 Satz 1 CoronaKHV handelt.

Diese Reservierungsquote der in Betracht kommenden Behandlungskapazitäten des in Level 2 der v. g. Anlage eingeordneten Notfallkrankenhauses der Antragstellerin betrug nach Angaben des Antragsgegners (GA, S. 106, 120) rd. 30 Prozent, was 10 von 32 intensivmedizinischen Betten bei einer genehmigten Gesamtzahl von insgesamt 525 Betten entspricht. Weitere intensivmedizinische Betten mit maschineller Beatmungsmöglichkeit dürfen nach § 6 Abs. 2 Satz 3 CoronaKHV für Operationen und Eingriffe genutzt werden, wenn diese mit großer Wahrscheinlichkeit nicht länger als 12 Stunden belegt werden; diese Freihaltequote lag am
16. April 2021 bei fünf Prozent (2 Betten). Hinzu kommt, dass die Reservierungs- und Freihaltequoten nicht statisch sind, sondern sich dem Infektionsgeschehen und der damit einhergehenden Belegung von Intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten anpassen (vgl. § 9 Abs. 3 und Abs. 4 Halbs. 1 CoronaKHV). In diesem Zusammenhang hat der Antragsgegner darauf hingewiesen, dass für Notfallkrankenhäuser und Notfallzentren im Dezember 2020 sogar eine Reservierungsquote von 45 Prozent bestanden habe (vgl. GA, Bl. 106 und 124).

2. Angesichts des bereits fehlenden Anordnungsanspruchs der Antragstellerin gehen die Ausführungen in der Beschwerdeerwiderung zum „überschießende(n) Anteil des Anordnungsanspruchs“ ins Leere. Entscheidend ist vielmehr, dass der eine Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmende, vorbeugende Eilrechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG nur ganz ausnahmsweise in Betracht kommen kann, wenn andernfalls unzumutbare, nicht mehr ausräumbare Nachteile entstünden. Dies hat die Antragstellerin nicht dargetan, geschweige denn glaubhaft gemacht.

a. Soweit das Verwaltungsgericht einen Anordnungsgrund unter Hinweis auf „nicht unerhebliche Einnahmeausfälle der Antragstellerin infolge des Behandlungsverbots“ angenommen hat, wird diese Einschätzung im angegriffenen Beschluss nicht ansatzweise belegt. Die Antragstellerin hat erstinstanzlich lediglich auf ihre Ausführungen in dem Eilverfahren - VG 14 L 20/21 - (Antragsschrift vom 12. Januar 2021, S. 10 ff.) verwiesen. Danach habe sie bis zum 31. Januar 2021 Ausgleichszahlungen in Form von Tagessätzen aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds in Höhe von 90 Prozent ihrer Ausfälle erhalten (vgl. § 21 Abs. 2a Satz 2 KHG). Diese Zahlungen, deren Höhe der Antragsgegner in seiner Beschwerdebegründung (S. 5 und 14 ff.) bis einschließlich 14. April 2021 beziffert hat (vgl. hierzu bereits seine erstinstanzliche Erwiderung, S. 2 ff.), stellen auch nach Ansicht der Antragstellerin eine wirtschaftlich erhebliche staatliche Kompensation dar (Antragsschrift vom 12. Januar 2021, a.a.O., S. 30). Entgegen ihrer Ansicht kann dies bei der Prüfung, ob sie vorbeugenden Rechtschutz in Anspruch nehmen kann, nicht ausgeblendet werden. Von daher wären im vorliegenden Verfahren konkrete Darlegungen erforderlich (gewesen), warum es ihr wegen der angeblich verbleibenden, indes nicht hinreichend konkretisierten finanziellen Ausfälle nicht zuzumuten sei, eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Dies gilt insbesondere, weil das befürchtete Auslaufen der „Rettungsschirm-Leistungen“ nicht stattgefunden hat, weshalb sich ihre Befürchtung, dass es „spätestens ab 1. Februar 2021 nach heutiger Rechtslage zu irreversiblen Einnahmeeinbußen kommen“ werde (Antragsschrift vom 12. Januar 2021, a.a.O., S. 17 f.), nicht realisiert hat. Vor diesem Hintergrund sind die im Parallelverfahren - VG 14 L 20/21 - eingereichten Modellrechnungen anhand von Daten aus 2020 ohne Relevanz und die darauf gestützte Befürchtung, dass die Antragstellerin „im Vergleich zum Wirtschaftsplan für das Jahr 2021 für das Jahr 2021 mit einer Ergebnisverschlechterung von EUR 5,1 Mio. rechnen“ müsse, ohne Überzeugungskraft, zumal die Antragstellerin selbst angedeutet hat, dass die Erlösausfälle, die sie in Folge der verpflichtenden Einbeziehung in die Behandlung von Covid-19-Patienten zu verzeichnen gehabt habe und noch erleiden werde, auch vollständig ausgeglichen werden könnten.

Der Antragsgegner hat bereits erstinstanzlich darauf hingewiesen, dass die Klinik der Antragstellerin über die Ausgleichsleistungen nach § 21 KHG hinaus für den Aufbau zusätzlicher Intensivkapazitäten eine Pauschalzahlung von 500.000 Euro für zusätzliche 10 Intensivbetten sowie Zuschläge von zunächst 50 Euro, später 100 Euro, zur pauschalen Abgeltung von Preis- und Mengensteigerungen, insbesondere bei persönlichen Schutzausrüstungen, infolge des Coronavirus gemäß § 21 Abs. 6 KHG und weitere Zuschläge nach § 5 Abs. 3 Buchst. i des Krankenhausentgeltgesetzes (KHEntgG) erhalten habe. Ferner seien Erlösrückgänge wegen der COVID-19 Pandemie im Jahr 2020 gegenüber dem Jahr 2019 nach § 21 Absatz 11 KHG auf Verlangen des Krankenhausträgers in den Verhandlungen mit den Kostenträgern krankenhausindividuell zu ermitteln und würden unter Anrechnungen der Ausgleichzahlungen nach § 21 Absatz 1 und 1a KHG ausgeglichen.

Darauf, ob es eine Frage des Vorteilsausgleiches sei, in welcher Höhe Zahlungen des Bundes auf die Entschädigungshöhe anzurechnen seien, kommt es nicht an. Folglich kann die Antragstellerin nicht gänzlich offen lassen, „ob und in welcher Höhe die behaupteten Verluste über die in § 4 Abs. 3 S. 5 KHEntgG eröffnete Möglichkeit in Zukunft tatsächlich ausgeglichen werden können.“ Ihre nicht hinreichend belegte, geschweige denn glaubhaft gemachte Vermutung (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 ZPO), dass Liquiditätsengpässe nicht auszuschließen seien, genügt nicht, um vorbeugenden Rechtsschutz in Anspruch nehmen zu können.

b. Inwiefern es nach Ansicht des Verwaltungsgerichts nachvollziehbar sein soll, dass die Antragstellerin bei Abweisung potentieller Patienten wegen des „Behandlungsverbots“ auch mit einem Reputationsverlust bzw. einer zukünftig geringeren Empfehlungsquote durch niedergelassene Ärzte und infolgedessen mit unkalkulierbaren negativen Auswirkungen auf das zukünftige Patientenaufkommen rechnen müsse, erschließt sich nicht. Die „Reservierungs- und Freihaltequoten“ treffen alle Notfallkrankenhäuser gleichermaßen und bieten bei objektiver Betrachtung keinen nachvollziehbaren Anlass für Reputationsverluste oder geringere Empfehlungsquoten durch niedergelassene Ärzte, denen der Grund für die Kapazitätsbeschränkungen bekannt ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).