Inhalt

VGH München, Beschluss v. 11.08.2020 – 21 AS 17.796
Titel:

Anordnung des Ruhens der Approbation als Arzt

Normenkette:
VwGO § 80 Abs. 7 S. 2, § 88, § 114
Leitsatz:
Für die Frage, ob die Ermessensausübung bei der Anordnung des Ruhens der Approbation als Arzt defizitär ist, ist ohne Bedeutung, unter welche psychiatrische Erkrankung die nach dem Inhalt der Akten auch im Verhältnis zu Patienten auftretenden Verhaltensauffälligkeiten einzuordnen sind, soweit feststeht, dass bis zu einer erfolgreichen medikamentösen Behandlung die gesundheitliche Eignung zur Ausübung des Berufs fehlt und sich daraus konkrete Gefahren für die Patientengesundheit und das Patientenwohl ergeben. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Berufsrecht der Ärzte, Antragsauslegung, Änderung eines Eilbeschlusses abgelehnt, Aufhebung der Vollziehung, Ruhen der Approbation, Gerichtliches Sachverständigengutachten im erstinstanzlichen Hauptsacheverfahren, Von vorangegangener amtsärztlicher Untersuchung abweichende Diagnose, Keine uneingeschränkte gesundheitliche Eignung, Konkrete Gefahren für die Patientengesundheit und das Patientenwohl, Facharzt, Approbation, Ruhensanordnung, Berufsausübung, gesundheitliche Eignung, Erkrankung, Ermessensausübung, Eignung zur Berufsausübung, Gefahren für die Patientengesundheit
Fundstelle:
BeckRS 2020, 19515

Tenor

I. Der Antrag auf Änderung des Beschlusses des Senats vom 5. November 2015 und Aufhebung der Vollziehung wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Änderungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Änderungsverfahren wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.
IV. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung wird abgelehnt.

Gründe

I.
1
1. Der Antragsteller, ein im Jahr 1941 geborener Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, möchte erreichen, dass eine im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangene Eilentscheidung geändert wird und zudem die Vollziehung der im Hauptsacheverfahren angefochtenen Ruhensanordnung und Einziehung der Approbationsurkunde aufgehoben wird.
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Die Regierung von … ordnete mit Bescheid vom 7. Mai 2015 unter anderem gestützt auf das Ergebnis einer amtsärztlichen Untersuchung des Antragstellers das Ruhen der diesem erteilten Approbation an (Nr. 2), zog dessen Approbationsurkunde ein und gab dem Antragsteller auf, die Approbationsurkunde bis 15. Juni 2015 zurückzugeben (Nr. 3). Des Weiteren wurde die sofortige Vollziehung dieser Maßnahmen angeordnet (Nr. 4).
3
Der Antragsteller hat am 10. Juni 2015 Klage zum Verwaltungsgericht Bayreuth erhoben und vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO beantragt. Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 26. August 2015 (B 4 S 15.408) die aufschiebende Wirkung der Klage wiederhergestellt. Auf die Beschwerde des Antragsgegners hin lehnte der Senat mit Beschluss vom 5. November 2015 (Az. 21 CS 15.2052) den Eilantrag unter Änderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts ab.
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Mit Urteil vom 18. Januar 2017 (Az. B 4 K 15.409) hat das Verwaltungsgericht der Klage des Antragstellers stattgegeben und den Bescheid der Regierung von … vom 7. Mai 2015 aufgehoben, soweit der Antragsteller dadurch belastet ist. Der Antragsgegner hat am 27. Februar 2017 die Zulassung der Berufung beantragt.
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Die Bevollmächtigten des Antragstellers haben am 3. April 2017 beim Verwaltungsgericht Bayreuth einen Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO gestellt. Sie führen dazu unter anderem aus, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme im Klageverfahren sei der Antragsteller zur Ausübung seines Berufs befähigt und der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig.
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Das Verwaltungsgericht hat das Verfahren mit Beschluss vom 19. April 2017 an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof als Gericht der Hauptsache verwiesen.
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Mit Beschluss vom 26. Mai 2017 (21 ZB 17.469) hat der Senat die Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils zugelassen.
II.
8
1. Der Antrag, die Nr. 3 des Bescheids des Antragsgegners vom 7. Mai 2015 (Einziehung der Approbationsurkunde) wegen veränderter Sachlage abzuändern und aufzuheben sowie dem Antragsgegner aufzugeben, dem Antragsteller die eingezogene Approbationsurkunde mit sofortiger Wirkung zurückzugeben, ist auslegungsbedürftig. Denn die Regelung des § 80 Abs. 7 VwGO, auf die sich die Bevollmächtigten des Antragstellers ausdrücklich beziehen, sieht die beantragte Änderung des im Verwaltungsverfahren ergangenen Verwaltungsakts nicht vor. Stattdessen kann das Gericht der Hauptsache (gerichtliche) Beschlüsse über Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO jederzeit ändern oder aufheben (§ 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO) und jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen (§ 80 Abs. 7 Satz 2). Der Änderungsantrag ist mithin nach dem erkennbaren Rechtsschutzziel des Antragstellers dahin auszulegen (§ 88 VwGO), dass der im Eilverfahren 21 CS 15.415 ergangene Beschluss des Senats vom 12. Juni 2015 gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO geändert und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Nrn. 2 (Ruhensanordnung) und 3 (Einziehung der Approbationsurkunde) des Bescheids der Regierung von … vom 7. Mai 2015 wiederhergestellt wird. Zudem begehrt der Antragsteller in Hinblick auf die vollzogene Einziehung der Approbationsurkunde die Aufhebung der Vollziehung nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO.
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2. Der so auszulegende Antrag auf Abänderung des Beschlusses des erkennenden Senats vom 15. November 2015 hat keinen Erfolg.
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2.1 Zwar hat das Verwaltungsgericht der Klage mit Urteil vom 18. Januar 2017 stattgegeben und ausgeführt: Die Anordnung des Ruhens der Approbation sei ermessensfehlerhaft, weil die Behörde bei der Ausübung des Ermessens von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgegangen sei. Das eingeholte fachpsychiatrische Gutachten vom 22. November 2016 schließe im Gegensatz zur Stellungnahme des Amtsarztes eine manifeste Persönlichkeitsstörung nach ICD-10 F60 und eine organische Erkrankung im Sinn einer dementiellen Entwicklung aus. Stattdessen liege danach beim Antragsteller eine Bipolar-II-Störung (ICD-10 F31) vor, deren klinischer Verlauf durch wiederkehrende affektive Episoden gekennzeichnet sei, wobei sich lange symptomfreie Phasenintervalle mit nicht vorherzusehenden hypomanen Phasen abwechselten.
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Das rechtfertigt allerdings keine vom Eilbeschluss des Senats zugunsten des Antragstellers abweichende Interessenabwägung. Summarisch geprüft liegen nach derzeitigem Sachstand keine veränderten Umstände im Sinn des § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO vor, weil nach wie vor davon auszugehen ist, dass die Ruhensanordnung vom 7. Mai 2015 zu Recht ergangen ist. Das Verwaltungsgericht hat nicht hinreichend gewürdigt, dass der Antragsteller nach den gutachtlichen Feststellungen der gerichtlichen Sachverständigen nicht uneingeschränkt zur Ausübung des ärztlichen Berufs geeignet ist. Danach leidet der Antragsteller an einer bipolaren affektiven Störung (ICD-10 F31) und ist in den Phasen mit hypomanischer oder manischer Ausgestaltung nicht in der Lage, seinen Beruf auszuüben. Folgerichtig hat die Sachverständige in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht zur Erläuterung ihres Gutachtens ausgeführt, eine durchgehende medikamentöse Behandlung (Phasenprophylaxe) des Antragstellers sei angezeigt. Mithin ist der Antragsteller zur Ausübung seines Berufes erst dann wieder geeignet, wenn er sich erfolgreich einer medikamentösen Behandlung seiner psychiatrischen Erkrankung unterzieht. Vor diesem Hintergrund ist es im konkreten Fall entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts für die Frage, ob die Ermessensausübung defizitär im Sinn des § 114 Satz 1 VwGO ist, ohne Bedeutung, unter welche psychiatrische Erkrankung die nach dem Inhalt der Akten auch im Verhältnis zu Patienten auftretenden gravierenden Verhaltensauffälligkeiten des Antragstellers einzuordnen sind. Wesentlich und für die Ausübung des behördlichen Ermessens maßgebend ist vielmehr die Tatsache, dass dem Antragsteller bis zu einer erfolgreichen medikamentösen Behandlung seiner Erkrankung die gesundheitliche Eignung zur Ausübung seines Berufs fehlt und sich daraus - wie im Beschluss des Senats vom 5. November 2015 dargelegt - konkrete Gefahren für die Patientengesundheit und das Patientenwohl ergeben. Dem entspricht es, dass der Vertreter des Beklagten noch in der mündlichen Verhandlung angekündigt hat, die Ruhensanordnung werde aufgehoben, wenn sich der Antragsteller der vorgeschlagenen Phasenprophylaxe wirksam unterziehe. Es ist bislang weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass das der Fall ist.
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2.2 Der weitere Antrag, die Aufhebung der Vollziehung nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO anzuordnen, hat schon deshalb keinen Erfolg, weil es bei der sofortigen Vollziehung der Ruhensanordnung und der dazu ergangenen Nebenentscheidung verbleibt. Damit erübrigt sich die Frage, ob und inwieweit im Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO der Anwendungsbereich des § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO eröffnet ist (verneinend Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 80 Rn. 186 m.w.N.; bejahend Funke-Kaiser in Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/Albedyll, VwGO, 5. Aufl. 2011, § 80 Rn. 112).
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3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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4. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.
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5. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung ist abzulehnen, weil die Rechtsverfolgung, wie sich aus dem unter Nr. 2.1 Dargelegten ergibt, keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).