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Merkel macht Urlaub Tschüss, Krise!

Noch schnell die Griechen vor der Pleite bewahrt - und dann ab in den Urlaub. Die Kanzlerin ist trotz Chaos-Koalition und Euro-Krise zufrieden mit sich und der Welt. Die miesen Umfragewerte? Da erwidert Angela Merkel schlagfertig: Es wird ja nur alle vier Jahre gewählt.

Berlin - Am letzten Arbeitstag vor dem Urlaub läuft der Mensch an sich gern noch mal zur Hochform auf. Man freut sich auf die freien Wochen, die da kommen. Aufs Wandern, Bücherlesen, Unbeobachtetsein. Irgendwie geht die Arbeit leichter von der Hand als sonst. Und wenn man schließlich auch noch ein gutes Erlebnis mit den Kollegen hatte, dann, ja dann: Bingo.

Das muss ungefähr die Stimmung sein, mit der Angela Merkel an diesem Freitag den Saal der Bundespressekonferenz betritt, um "im Rahmen des Hierseins" ein paar Fragen zu beantworten - in einem alarmroten Blazer, der in seiner Farbgebung an die Boote der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger erinnert. Die Frau hat tatsächlich einiges durchgemacht in der ersten Hälfte 2011. Schwarz-gelber Dauerknatsch, Kehrtwende in der Energiepolitik und immer wieder Euro-Ärger.

Doch damit ist die Kanzlerin fürs erste durch. Am Vortag hat sie gemeinsam mit den Euro-Regierungschefs das zweite Griechenland-Rettungspaket beschlossen. Merkel hat erreicht, dass sich private Gläubiger mit der erstaunlich hohen Summe von 50 Milliarden Euro beteiligen. "Bedeutend", nennt sie die Ergebnisse des Gipfels. Ihre Arbeit bereite ihr "Spaß", und es sei "nicht abzusehen, dass sich das kurzfristig ändert".

Europa auf Deutschland-Kurs

Auch sonst: Alles super. Meint jedenfalls die Kanzlerin. Die Wirtschaft wachse, die Zahl der Arbeitslosen werde unter die Drei-Millionen-Marke fallen, die Jugendarbeitslosigkeit sei seit ihrem Antritt 2005 gar um die Hälfte gesunken, die realen Nettolöhne seien so stark gestiegen wie seit 20 Jahren nicht mehr. "Deutschland geht es so gut wie lange nicht mehr", sagt Merkel in ihrem Sommerurlaubsgefühl.

Und dann fügt sie an: "Das müssen wir auch in Europa schaffen. Ich will, dass Europa stärker aus der Krise herauskommt, als es hineingegangen ist." Das ist ein Schlüsselsatz an diesem Tag. Merkel will Europa auf Deutschland-Kurs bringen. Die europäischen Staaten sollten sich weiter angleichen, "aber immer ausgerichtet an den Stärkeren". Man dürfe sich nicht in der Mitte treffen, sich nicht auf dem Erreichten ausruhen. Ansonsten werde Europa kein globaler Mitspieler mehr sein.

Milliarden für Griechenland - Die Ergebnisse des Euro-Gipfels

"Das ist das, was mich antreibt", sagt die Kanzlerin. "Deswegen kämpfe ich an der Stelle auch sehr hart, muss ich sagen." Und sie weist auf die Reformen hin, die Griechenland, Spanien, Portugal gestartet haben. "Ganz Europa hat begonnen, Reformen zu machen", sagt Merkel. Es ist klar, wem sie das in erster Linie zuschreibt.

Merkel wirbt für sich. Sie bastelt an einer Inszenierung. Aufmerksam hat sie wohl die Schlagzeilen der vergangenen Wochen verfolgt. Warum erklärt sie ihre Politik nicht? Was ist ihre Idee von Europa? Die Elder Statesmen der Generation Kohl meldeten sich schon zu Wort, in Sorge ums europäische Projekt. Für sie war Europa immer eine Frage von Krieg oder Frieden.

Vor der Sommerpause möchte Merkel nun ein paar Musketier-Signale in dieses selbstverschuldete Polit-Vakuum senden: Einer für alle, alle für einen. Es sind Sätze, die sie als überzeugte Europäerin ausweisen sollen. Sie häufen sich an diesem Tag:

  • "Es ist die historische Aufgabe, den Euro zu schützen."
  • "Der Euro ist jede Anstrengung wert."
  • "Das Problem von einem ist auch das Problem von allen."

Und irgendwann fragt ein Reporter nach der Leidenschaft: Was sie jenen Kritikern erwidere, die ihr mangelnde Leidenschaft für die Sache vorwerfen? Merkel muss erst noch eine andere Sache klären, danach ist ihr das mit der Leidenschaft kurzzeitig entfallen. Stirnrunzeln. "Ach so, Leidenschaft, ja, genau." Gelächter im Saal. "Wenn ich für alles so viel Leidenschaft hätte wie für Europa, dann könnte ich meinen Tag mit 48 Stunden füllen", schiebt sie hinterher.

Sehnsucht nach dem Paukenschlag

Es folgt dann allerdings keine Vision der Vereinigten Staaten von Europa, sondern das Werben für Wirtschafts- und Sozialreformen, um dieses Europa wettbewerbsfähig zu halten. "So, also, das ist meine Leidenschaft", sagt sie dann ein bisschen schnoddrig: "Merkelsche Art der Leidenschaft. Und die ist ziemlich intensiv." Lachen. Merkels Leidenschaft erinnert an die eines Berliner Busfahrers, den man nach dem Ziel seiner Linie fragt: "Musste kieken, wat uff die Anzeije steht." Logisch. Hauptsache, man erreicht das Ziel.

Merkel ist keine leidenschaftliche Kanzlerin. Sie ist so wenig Stürmerin und Dränglerin wie Helmut Schmidt einer war. Die Kanzler Adenauer, Brandt, Kohl wollten das Land verändern. Erhard, Kiesinger, Schmidt und nun Merkel wollten und wollen es für die Unbill der Gegenwart ertüchtigen. Im Zentrum von Merkels Denken stehen der Markt und die Wirtschaft. Die muss brummen, dann geht es den Leuten gut. Und die Währung muss stabil sein.

Einfache, plakative Antworten? Gibt es nicht. Merkel: "Es gibt die Sehnsucht nach dem spektakulären Paukenschlag, der alles löst." Diese Sehnsucht sei menschlich zu verstehen, politisch aber sei sie fahrlässig. Dann spricht sie von kontrollierten, beherrschbaren Prozessen, von kontinuierlichen Schritten. Merkel, Maschinistin der Macht. Brände werden gelöscht und Löcher gestopft. Das ist Merkelsche Politik.

Ihre Rolle in den Geschichtsbüchern? Interessiert da nicht. "Ich bewege mich in der Ist-Zeit und löse Probleme und beschäftige mich nicht jeden Tag mit der Nachbetrachtung."

War noch was? Ja, richtig, die schwarz-gelbe Krisenkoalition im zweiten Jahr ihres Bestehens, die miesen Umfragewerte. Merkel, noch immer im Schnodder-Modus: "Ist ja kein Zufall, dass nicht alle zwei sondern alle vier Jahre gewählt wird." Ein kleines Dankeschön an die Mütter und Väter der Verfassung.

Nein, heute soll wirklich nichts die Urlaubsstimmung der Kanzlerin trüben.