Zum Inhalt springen

Web-Abkürzungen Liebling, ich habe die URL geschrumpft

Lange Web-Adressen ganz kurz: Mit einem Klick erhält man für eine ellenlange Adresse eine kurze Alternative, die sich dann über Twitter und Co. weitergeben lässt. Doch die kurzen Adressen sind nicht nur praktisch, sondern auch eine direkte Abkürzung in die Internet-Hölle.

Lange Internet-Adressen sind ein Greuel. Statusmeldungen und Kurznachrichten bei Facebook, Twitter und Co. lassen nur eine begrenze Anzahl Zeichen zu, nach ein paar Worten ist für einen Link kaum mehr genügend Platz. Noch dazu, wenn er auf eine bestimmte Seite und nicht nur auf eine Domain zeigt. Die URL, der Uniform Resource Locator, sprengt dann die maximale Zeichenanzahl.

Abhilfe schaffen Websites, die lange URLs auf handliche Formate eindampfen. Aus der Adresse dieses Artikels - http://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,623724,00.html - wird dann zum Beispiel http://is.gd/xLx0 , 17 Zeichen statt 56. Wenn man wie bei Twitter für die gesamte Nachricht nur 140 Zeichen zur Verfügung hat, kann man so noch ein paar hilfreiche Worte verlieren und beschreiben, was denn unter dem Link zu finden ist oder warum man tunlichst dorthin klicken sollte.

Die URL-Abkürzer sind kein neues Web-Phänomen, nur ein aktualisiertes. Früher waren es störrische E-Mail-Clients oder Newsgroup-Reader, die eine Zeile nach 80 Zeichen umbrachen. Links wurden dadurch auseinandergerissen und ließen sich nicht mehr ohne weiteres nutzen. Die Zeit der harten Zeilenumbrüche ist zwar noch nicht ganz vorbei, aber viele Anwendungen können mit umgebrochenen Links mittlerweile umgehen.

Dann kamen die Sozialen Netzwerke mit ihren limitierten Kurznachrichten und die Zahl der URL-Kürzer explodierte. Längst gibt es mehr als hundert dieser verkleinernden Seiten, arm.in , bit.ly , cli.gs , is.gd , kl.am , Short.ie , tinyurl.com , tr.im , twurl.cc - die Aufzählung ließe sich lange fortsetzen. Das Aufsetzen einer solchen Website ist recht simpel, meist stecken dahinter ein PHP-Script und eine MySql-Datenbank. Auch die verbreitete Blog-Software Wordpress lässt sich einfach umrüsten. Ein paar Klicks  und einer eigenen Domain steht dem individuellen URL-Kürzdienst nichts im Weg.

URL-Kürzer sammeln Millionen

Praktisch sind nicht nur die verringerte Zeichenzahl der Links, sondern auch Zusatzfunktionen. Am häufigsten anzutreffen sind Statistiken, die anzeigen, wie oft und von wo die Abkürzungen genommen wurden. Dienste wie bit.ly  stellen eine Programmierschnittstelle bereit, so dass Web-Entwickler den Dienst in ihre eigenen Anwendungen einbauen können. So gibt es zum Beispiel Blogs, deren Artikel man mit einem Klick auf Twitter verlinken kann, eine verkürzte URL wird gleich mitgeliefert.

Gerade wurde bit.ly in den Mikroblogging-Dienst Twitter integriert und verdrängt damit einen ähnlichen Anbieter, lange Adressen werden nun automatisch geschrumpft. Hinter dem Service steckt ein Start-up-Unternehmen in New York, das in diesem Frühjahr zwei Millionen Dollar Risikokapital einsammeln konnte. Viel Geld für nützliche Links - denn wer sich als hilfsbereiter "man in the middle" zwischen Surfer und Ziel stellt, spekuliert auf Werbeeinnahmen und hohe Nutzerzahlen.

Auch Anwender von Kurz-URLs können damit Mikrobeträge verdienen: Der Dienst adf.ly  leitet erst auf eine Werbeseite und dann auf das Ziel um, beteiligt Nutzer an den Einnahmen. Das freut den Verlinker - und zeigt eine der beiden großen Schwächen der Abkürzungen: Man weiß nie so genau, was sich hinter einem abgekürzten Link verbirgt. Vielleicht hat man überhaupt keine Lust, Werbeseiten anzuklicken.

Abkürzung in die Internet-Hölle

Hinter den so praktisch gekürzten Adressen könnte sich die Internet-Hölle auf Erden verbergen oder auch nur ein gekaufter Werbelink - man merkt es erst, wenn es zu spät ist. Dem Problem begegnen Seiten wie is.gd  oder bit.ly , indem sie die Links mit speziellen Spam-Verzeichnissen abgleichen und so den gröbsten Mist herausfiltern. Auf der Seite LongURL lassen sich kurze URLs eingeben, danach bekommt man angezeigt, wohin einen der Link denn führen würde. Was natürlich alles andere als praktisch ist.

Zum noch größeren Problem werden die Abkürzungen, wenn so ein Dienst den Betrieb einstellt und seine Link-Datenbank vom Netz abklemmt. Dann führen die abgekürzten URLs nurmehr ins digitale Nirwana. Einige kleinere Anbieter sind schon wieder verschwunden, andere weisen darauf hin, dass sie Daten nach ein paar Monaten automatisch löschen. So geht es hin, das Link-Gedächtnis.

Oder einer der Anbieter ändert seine Nutzungsbedingungen und löscht dann Weiterleitungen aus seiner Datenbank. Oder eine Datenbank wird versehentlich gelöscht. Oder der Betreiber vergisst, die Domain-Registrierung zu verlängern. Oder der Service wird Opfer eines Hacker-Angriffs und seine Links zu Phishing-Attacken genutzt. Oder der Anbieter schaltet tonnenweise Werbedreck dazwischen. Internet-Entwickler Joshua Schachter hat in seinem Blog beschrieben , welche Nachteile ein zusätzliches Internet-Adresssystem mit sich bringt.

Auswege aus der drohenden Link-Apokalypse

Zur Minimierung der Unsicherheit starteten zwei Web-Entwickler der "New York Times" einen eigenen Kürzungsdienst, nur für Links auf Artikel der Zeitung. So konnten sich Surfer sicher sein, dass sich hinter den mit NytUrl.com  kryptisch abgekürzten Adressen Qualitätsinhalte verbergen. Momentan ist die Seite außer Betrieb, angeblich wegen eines Programmierproblems. Der Ansatz könnte aber Schule machen: Auch die populäre Technik-Nachrichtenseite TechCrunch setzt auf Kurz-URLs unter der eigenen Adresse tcrn.ch .

Nicht ohne Hintergedanken setzt Twitter auf einen Kurz-URL-Service mit millionenschwerem Investment: Man versucht das Risiko zu minimieren, dass die vielen tausend Links in den Twitter-Nachrichten plötzlich ins Nichts führen. Noch sicherer wäre es natürlich, böte Twitter das Schrumpfen als eigene Funktion an. Solange es das Twitter-Archiv gibt funktionierten auch die gekürzten Links.

Denn so einfach zu benutzen und so praktisch die generischen URL-Kürzer auch sind: Sie zerstören das Vertrauen der Web-Surfer in Internet-Verweise. Die Nutzer der Dienste wiederum verlassen sich zu sehr auf Angebote, über deren Verlässlichkeit sich kaum Aussagen treffen lassen und deren Fortbestand alles andere als gesichert ist.

Mehr lesen über

Verwandte Artikel