Vegetarischer Waldbesitzer darf Jagd verbieten

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte misst dem Eigentumsschutz mehr Gewicht bei als deutsche Gerichte

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Am Dienstag verkündete die Große Kammer des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) überraschend ein Urteil, das einem Vegetarier Recht gibt, der auf seinen zwei Wald- und Wiesengrundstücken keine Jäger dulden will (Az.: 9300/07). Dem stand die deutsche Rechtslage entgegen, die die Besitzer von Waldgrundstücken über 75 Hektar dazu verpflichtet, Abschusspläne aufzustellen und diese entweder selbst umzusetzen oder einen Jagdscheininhaber zu benennen, der dafür sorgt, dass sich das Wild nicht zu stark vermehrt. Ist das Grundstück kleiner als 75 Hektar, dann übernimmt diese Aufgaben eine Jagdgenossenschaft, bei der die Mitgliedschaft verpflichtend ist.

Diese Pflicht wollte der vegetarisch lebende Rechtsanwalt aus Baden-Württemberg, dessen Grundstücke in Rheinland-Pfalz liegen, nicht akzeptieren und beschritt deshalb den deutschen Instanzenweg bis zum Bundesverfassungsgericht, das die Annahme seiner Verfassungsbeschwerde 2006 ablehnte. Der EGMR kam dagegen zu dem Ergebnis, dass der in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankerte Eigentumsschutz des Waldbesitzers auch dann in unangemessener Weise verletzt sei, wenn Dritte erhebliche Sachschäden aus seiner Verweigerung befürchten müssen. Deshalb darf der Waldbesitzer nicht nur Jägern, sondern auch Treibern und Hunden die Begehung seiner Grundstücke zum Zwecke der bewaffneten Regulierung des Wildbestandes untersagen.

Sieht nicht nur hübsch aus, sondern schmeckt auch gut: Reh. Foto: Amanda77. Lizenz: CC BY-SA 3.0

Bleibt Wild in Rückzugsräumen ohne natürliche Feinde ungejagt, dann vermehrt es sich mit Raten bis zu 300 Prozent, was dazu führt, dass die Tiere hungern und verstärkt außerhalb Nahrung suchen. Leidtragende sind unter anderem die Landwirte, deren Grundstücke an das des Rechtsanwalts grenzen und die nun befürchten müssen, dass ein nicht regulierter Wildbestand zu größeren Ernteschäden führt. In solchen Fällen ist es Bauern (sofern sie nicht gleichzeitig Jagdpächter sind) auch auf ihrem eigenen Grund und Boden nicht erlaubt, selbst zur Flinte greifen. Und Fallen dürfen sie nur in ihren Gärten aufstellen - nicht jedoch auf den Feldern. Erlaubt sind lediglich Elektrozäune - aber auch nur dann, solange nicht baurechtliche Vorschriften entgegenstehen.

Inwieweit Schadensersatzforderungen, die von Bauern in solchen Fällen normalerweise bei der Jagdgenossenschaft und dem Jagdpächter geltend gemacht werden, zu Ansprüchen gegen den vegetarischen Waldbesitzer als maßgeblichen Verstärker des Effekts führen, ist bislang noch ungeklärt. Ähnliches gilt für die Verbissschäden in den umliegenden Wäldern, die bei entsprechend viel Wild auch zum Absterben größerer Bäume führen. Weil mehr Wild zu mehr Wildwechsel führt, sind auch mehr Verkehrsunfälle zu erwarten. Auch hier ist denkbar, dass Autofahrer Schäden nicht einfach selbst tragen, sondern mit Forderungen an den Jagdverweigerer herantreten.

Der Deutsche Jagdschutzverband (DJV), der gemeinsam mit der Bundesarbeitsgemeinschaft der Jagdgenossenschaften und Eigenjagdbesitzer als Drittbeteiligter an dem Beschwerdeverfahren vor dem EGMR teilnahm, geht davon aus, dass das Beispiel des Baden-Württembergers nach seinem Erfolg Schule machen und dazu führen wird, dass mehr Waldbesitzer die Jagd auf ihrem Grund verbieten, obwohl sie dadurch finanzielle Verluste erleiden (weil ihnen dann kein Anteil aus der Jagdpacht zukommt). Dies sei vor allem bei Erben zu befürchten, die selbst keinen Bezug zur Land- und Forstwirtschaft und entsprechend städtische Vorstellungen von Tierschutz haben. Darauf deuten auch Reaktionen auf Websites und Foren von Jagdgegnern hin, wo man die derzeit praktizierte Regulierung des Wildtierbestandes für einen "besonders feigen Mord am chancenlosen Mitgeschöpf" hält und das Urteil als großen Sieg über eine "Nebenform menschlicher Geisteskrankheit" bejubelt.

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