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FOCUS Magazin | Nr. 16 (2009)
Evolution: Fruchtbarer Glaube
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In Deutschland gibt es immer weniger Kinder. Deshalb werden viele sehr verwöhnt
Colourbox.de In Deutschland gibt es immer weniger Kinder. Deshalb werden viele sehr verwöhnt
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Die Zukunft gehört allein den Religionen, die erfolgreich dazu animieren, Kinder zu bekommen, meinen einige Forscher.

Der 29-jährige Wissenschaftler war praktizierender Christ, und genau darauf legte seine Auserwählte großen Wert. Der Heirat stand nichts im Weg, das Paar bekam zehn Kinder. Später brachte Charles Darwin mit seinen Arbeiten das Fundament der Kirche ins Wanken, zum Leidwesen seiner tief religiösen Frau Emma. Aber da hatte er sich bereits fortgepflanzt. Der Schöpfer der Evolutionstheorie demonstrierte so auch in der Praxis, wie man sich evolutionär erfolgreich verhält.

Darwins Leben zeigt fast mustergültig, dass Frömmigkeit (zur rechten Zeit demonstriert) den biologischen Erfolg erhöhen kann, sprich: die Zahl der Nachkommen. Religiöse Personen haben im Schnitt mehr Kinder als nicht gläubige, und das ist ein entscheidender Grund, weshalb weltweit Menschen an einen Gott oder Götter glauben – so argumentieren jedenfalls der Religionswissenschaftler Michael Blume und der Journalist Rüdiger Vaas. Sie gehen in ihrem neuen Buch „Gott, Gene und Gehirn“ einer faszinierenden These nach: Die Konfessionen haben sich über die Erde verbreitet – und werden dies auch in Zukunft tun -, weil sie einen evolutionären Vorteil verschaffen. „Religion überlebt, weil sie Kinder zeugt, nicht weil sie wahr ist“, so die Autoren.



Die provokante Aussage untermauern Blume und Vaas mit einer Fülle an Material. So ergab eine Umfrage mit 267870 Teilnehmern aus 82 Nationen, dass die Menschen umso mehr Nachwuchs bekommen, je öfter sie beten – also je religiös aktiver sie sind. Das gilt auf allen Kontinenten, auch speziell in Deutschland (Grafik oben rechts).

Welche Religionen am erfolgreichsten Nachwuchs produzieren, lässt sich hierzulande nicht klären, da aktuelle Daten fehlen. So wurde die Zahl der Muslime in Deutschland seit der Volkszählung von 1987 nicht mehr erhoben. Aus der benachbarten Schweiz sind die Geburtenziffern aus dem Jahr 2000 bekannt (Grafik oben links). Am gebärfreudigsten zeigen sich danach Hindus mit 2,79 Kindern pro Frau, gefolgt von Muslimen mit einem Schnitt von 2,44. Juden sind nahe an dem Wert 2,1, bei dem die Bevölkerung konstant bleibt, Katholiken und Protestanten deutlich darunter. Am zeugungsunwilligsten verhalten sich die Konfessionslosen: Sie kommen gerade auf 1,11 Geburten pro Frau.


Quer über den Globus zeugen Nichtreligöse signifikant weniger Kinder als Religöse, selbst wenn sie der gleichen Bildungs- und Einkommensschicht angehören, ergaben Studien. Zwar gibt es weltweit einen Trend zur Säkularisierung – die Kirchen verlieren mehr Mitglieder, als sie gewinnen -, doch die Atheisten versäumen es, Nachwuchs zu generieren. Sie schaffen sich sozusagen wieder selbst ab.

„Die Säkularen, die sich als Speerspitze des Fortschritts verstehen, sind in der Folgegeneration stets schwächer vertreten“, erklärt Blume, der an der Uni Heidelberg forscht und einen preisgekrönten Internet-Blog zur „Natur des Glaubens“ führt (www.chronologs.de). „Schon aus demografischen Gründen dürfte der religiöse Grundwasserspiegel in Europa weiter steigen.“

Doch vergrößerte die Religion den Kindersegen schon in vormodernen Gesellschaften? Dafür gebe es nur spärliche Hinweise, räumen die Buchautoren ein. Und so sieht etwa Michael McCullough von der Universität Miamiandere Faktoren als entscheidend an. Die Religionen haben sich entwickelt, vermutet der Psychologe, weil sie den Menschen helfen, mehr Selbstbeherrschung zu üben – sodass sie erfolgreicher ihre Ziele verfolgen können.

Vaas und Blume argumentieren mit Studien zum Naturvolk der !Kung San, die im heutigen Botswana leben. Auch dort ermutigen die religiösen Überlieferungen die Frauen, Kinder zur Welt zu bringen – so wie in praktisch allen erfolgreichen Konfessionen. „Seid fruchtbar und mehret euch“, lauten die Worte Gottes im Alten Testament.

„Es gibt eine natürliche Auswahl auch innerhalb der großen Religionen“, ergänzt Blume, „und dabei setzen sich immer die kinderreichen Strömungen durch.“ Die Gemeinschaft der christlichen Shaker etwa, die im 18. Jahrhundert in den USA gegründet wurde, lebt streng zölibitär. Die Shaker verzichten auf eigenen Nachwuchs, müssen Neumitglieder von außen werben – und sind fast ausgestorben.

Ein Zölibat für wenige, wie es in der katholischen Kirche gilt, könne dagegen die Geburtenzahl fördern, meint Blume. Nonnen etwa übernähmen oft soziale Aufgaben, entlasten die Eltern und fördern so den Reproduktionserfolg der Gemeinde insgesamt.

„Typisch für die großen Religionen ist eine strikte Sexuallehre“, fügt Blume an, „weil das die Leute in den Familien hält.“ Dies sei von jeher besonders im Interesse der Frauen, die sich um die Kinder kümmern und dabei auf stabile Gemeinschaften angewiesen sind. „Männer wollen tendenziell ihre Freiheit maximieren, Frauen verbindliche soziale Strukturen schaffen“, so der Forscher. Sie seien daher weltweit gläubiger als die Herren, selbst wenn die Religion sie diskriminiert.

Mehr Chancen auf einen Sexpartner: Die Männer können beim weiblichen Geschlecht punkten, wenn sie sich religiös gebärden und so Zuverlässigkeit und Treue signalisieren – als ein attraktives Merkmal wie die Schwanzfedern beim Pfau. „Männer zeigen ihre Religiösität, Frauen leben sie“, folgert Blume.

Das indes war schon Goethe vor gut 200 Jahren bekannt. Im „Faust“ formuliert er die berühmte Gretchenfrage: „Nun sag, wie hast dus mit der Religion?“, und Mephistopheles kommentiert: „Die Mädels sind doch sehr interessiert, ob einer fromm und schlicht nach altem Brauch. Sie denken: duckt er da, folgt er uns eben auch.“
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