Die deutsche Steuerlüge

Was ist eigentlich Wirtschaft? Teil 2

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Im zweiten Teil seiner Serie Was ist eigentlich Wirtschaft erklärt Alexander Dill vom Basel Institute of Commons and Economics die deutsche Steuerlüge in vier Abschnitten: Die Propaganda des Bundes der Steuerzahler, die Lüge vom Nettoeinkommen, die Lüge von der Progression, die Lüge von den Steueroasen.

Merkwürdige Frage: Wenn ein Land 50 Jahre lang einen Überschuss nach dem anderen erwirtschaftet - wie kann es dann eine Staatsschuld von 2 Billionen aufbauen? Darauf gibt es derzeit mindestens zwei Antworten.

Die erste, die offizielle, durch die staatlichen Institute für Volkswirtschaft attestierte, lautet: "Der Staat" lebt über "seine" Verhältnisse. Er hat teure Schwimmbäder und Museen gebaut. Er steckt den faulen Beamten und Arbeitslosen, den Ossis, Studenten und Politrentnern buchstäblich das Geld in den Hintern. Der deutsche Staatshaushalt ist zum Selbstbedienungsladen der Subventionen, Alimente und Vergünstigungen verkommen.

Diese Antwort wird derzeit auch ohne Widerspruch für Irland, Griechenland und Portugal gegeben, die deshalb inzwischen 50% ihrer Steuereinnahmen für Zins und Tilgung ihrer Staatsschulden aufwenden müssen.

Die inoffizielle, aber volks- und betriebswirtschaftlich einzig mögliche Antwort lautet: Der Staat hat Schulden gemacht, weil er nicht genügend Steuern eingenommen hat.

Dass diese einzige ebenso klare wie bittere Wahrheit nicht den Weg in die Wirtschaftspresse und erst Recht nicht an die VWL-Lehrstühle oder gar zu den Herren Steinbrück und Schäuble gefunden hat, liegt an einer jahrzehntelangen Tradition, die man als die deutsche Steuerlüge bezeichnen könnte. Es lohnt sich, ihre wesentlichen Elemente einmal allgemeinverständlich zusammenzufassen.

Erstens: Die Propaganda des Bundes der Steuerzahler

Der Bund der Steuerzahler findet jedes Jahr mit seinem Schwarzbuch den Weg in alle Medien. Seine Message: Der verschwenderische Staat verjubelt unsere mühsam erarbeiteten Steuergroschen. Seit neuestem dürfen die wutbürgerischen Fans des Bundes selbst die Top Ten der Verschwendung bewerten. 2011 ist es ein Campingplatz in Niedersachsen, der etwa 500.000 Euro gekostet hat.

Zwischeninformation: Die Bundesrepublik Deutschland hat ihre Staatsschulden zwischen August 2010 und Mai 2011 um etwa 230 Milliarden Euro erhöht (laut Bund der Steuerzahler).

Auf Platz zwei der Verschwendungsliste steht die Anschaffung von fünf Alphörnern für 5500 Euro.

Als das Basel Institute of Commons and Economics Ende 2009 den Bund der Steuerzahler darüber informierte, dass die 79 Milliarden Euro Zuschuss zur staatlichen Rentenversicherung, um Beamte, Gutverdiener (Beitragsbemessungsgrenze) und Selbständige von der Versicherungspflicht auszunehmen, auch eine Steuerverschwendung sei, schrieb der Geschäftsführer des Bundes der Steuerzahler, Reiner Holznagel, "derartige" Ausgaben berücksichtige der Bund der Steuerzahler nicht.

Natürlich sind dann auch Hilfen für Griechenland und Hypo Real Estate oder die Subvention der Kernkraft keine Steuerverschwendungen.

Zweitens: Die Lüge vom Nettoeinkommen

Das Bundesfinanzministerium, noch unter Peer Steinbrück, wusste es in seiner Werbung ganz genau: Einer Krankenschwester mit 1.850 Euro brutto verbleiben 1.241,30 Euro "in der Tasche". Da die Dame des Beispiels in Köln arbeitete, regte dies zur Nachberechnung an. Wie viel aber hat die Dame tatsächlich in der Tasche?

Man mag einwenden, die Krankenschwester könne für 500 Euro nicht in Köln leben, sollte doch zu Fuß zur Arbeit gehen, kein Handy und kein Internet haben. Faktisch bekommt die Krankenschwester jedoch Hartz IV, muß aber dafür 38 Stunden im Schichtdienst arbeiten.