Von Thilo Sarrazin
Vor einigen Tagen ging die Meldung durch die Medien, dass die neue griechische Regie-rung 9.000 Staatsbediente wiedereinstellen wird, die wegen Absentismus. Faulheit oder Urkundenfälschung entlassen worden waren. Auch hat sie vereinbarte Privatisierungs-pläne im Energie- und Verkehrsbereich gestoppt und möchte stattdessen künftig 300.000 verarmte Griechen unentgeltlich mit Strom beliefern. Griechenland macht damit die Ankündigung wahr, die vereinbarten Konsolidierungsmaßnahmen einseitig auf-zuheben. Diese waren aber die Voraussetzung für vergangene Umschuldungen und Schuldenschnitte im Umfang von rd. 300 Mrd. Euro gewesen.
Der neue griechische Finanzminister Yanis Varoufakis, ein Ökonomieprofessor, der durch seine Veröffentlichungen zur Spieltheorie bekannt wurde, hatte schon Wochen vor der Wahl in einem Interview seine spieltheoretische Einschätzung von Angela Mer-kel bekannt gegeben:
„Frau Merkel ist eine sehr pragmatische und erfahrene Politikerin. Sobald sie fühlt, dass die Strömung sich von ihr wegbewegt, wird sie sich mit der Strömung bewegen ... Wir müssen sicherstellen, dass die Änderungen im `Griechischen Programm´ groß genug sind ... und Frau Merkel eine Verpackung anbieten, die sie ihren Parlamentariern verkaufen kann.“ Außerdem gelte es sicherzustellen, dass die Änderungen „nicht auf Griechenland beschränkt sind“ damit „der ganze Kontinent seiner endlosen Krise entkommen kann.“
Varouflakis will nur die 20 % der griechischen Staatsschulden, die noch von Privaten gehalten werden, weiter bedienen, um ein kapitalmarktrelevantes Kreditereignis zu vermeiden, das Griechenland den künftigen Zugang zu den Kapitalmärkten versperren würde. Die 80 % Schulden in öffentlicher Hand will er dagegen nennenswert senken oder strecken.
Aus spieltheoretischer Sicht ist er sich sicher, dass Griechenland in diesem Spiel gewinnen wird. Woher gewinnt er die Sicherheit? Ganz einfach aus der Analyse des bisherigen Verhaltens der Hauptgegnerin in diesem Spiel, nämlich Angela Merkel. Diese hat seit Mai 2010, dem Sündenfall des ersten Griechenland-Pakets, alle ihre Spielzüge darauf angelegt, ein Ausscheiden Griechenland aus der Euro-Zone zu vermeiden, und stufenweise akzeptiert, dass über 300 Mrd. Euro an griechischen Schulden entweder ganz erlassen oder zu günstigen Konditionen an öffentliche Gläubiger übertragen werden.
Ein Ausscheiden aus dem Euro ist aber die logische und ziemlich kurzfristige Konsequenz, wenn Griechenland die Vereinbarungen mit der Troika (EU, EZB, IWF) bricht und die EZB daraufhin – wie es sich aus dem Vertragswerk zwingend ergibt – die Refinanzierung der griechischen Banken mit Notfallkrediten einstellt.
Wer diese Konsequenzen nicht akzeptiert, steht in Gesprächen mit der griechischen Re-gierung ohne Waffen da und ist objektiv auf eine Appeasement-Politik zurückgeworfen. Griechenland kann dann nach freiem Ermessen auf die Bedienung oder Tilgung öffentlicher Schulden verzichten und vereinbarte Konsolidierungsmaßnahmen unterlassen. Um das Gesicht der düpierten Deutschen zu wahren, wird die griechische Regierung gleichwohl großzügig neue mildere Vereinbarungen unterschreiben, die sie dann in Zukunft nach Belieben einem ähnlichen Revisionsverfahren unterwerfen kann.
Was Griechenland recht ist, muss anderen natürlich billig sein, deshalb der große Jubel den der Wahlsieg der Syriza in allen Südländern des Euro-Raums einschließlich Frankreichs hervorrief.
An dieser Stelle soll gar nicht diskutiert werden, was die falsche oder richtige Konsolidierungsstrategie in Griechenland oder in anderen Südländern ist. Vor dem Euro war das die Angelegenheit der betroffenen Länder. Jetzt dagegen wird Deutschland für Entscheidungen anderer Länder finanziell in Haftung genommen, auf die es gar keinen Einfluss hat. Wahrscheinlich wird sich die griechische Regierung mit ihren Forderungen durchsetzen. Es wird mehr oder weniger genauso laufen, wie es Finanzminister Varouflakis bereits vor der Wahl angekündigt hat.
Dann wird Deutschland künftig im Rat der europäischen Finanzminister genauso entmachtet sein wie heute schon die Bundesbank in der EZB. So ist das, wenn man, wie im Falle der Währungsunion, souveräne staatliche Rechte weggibt in eine europäische Struktur, die dann entweder gar nicht richtig oder jedenfalls nicht in deutschem Sinne funktioniert.
Mit der Währungsunion wurde eine funktionsfähige nationale Kompetenz um der europäischen Idee willen in eine mängelbehaftete europäische Kompetenz eingetauscht. In schöner Anschaulichkeit führt uns der Fall Griechenland die Konsequenzen vor.
Nicht anders ist es mit dem Schengen-Abkommen: Ein funktionierendes nationales Grenzregime wurde in ein nicht funktionierendes europäisches Grenzregime eingetauscht. Asylbewerber und illegale Einwanderer reisen zu Hunderttausenden aus Griechenland und Italien weiter nach Norden. Diese kümmern sich genauso wenig um ihre vertraglichen Pflichten als Aufnahmeland, wie sie sich um die Sparvorgaben unterschiedlicher Konsolidierungspakte scheren.
Im Kleinen wird in der EU ständig wiederholt, woran sie im Großen bereits gescheitert ist: Ein neues Spielzeug, über das mir ein Beamter aus dem Justizministerium voll Entsetzen berichtete, ist die Idee des Europäischen Staatsanwalts. Ohne dass es ein europäisches Strafrecht oder eine europäische Strafprozessordnung gibt, soll künftig eine Europäische Staatsanwaltschaft in allen Ländern der EU Anklage erheben können, wenn es ihr denn so gefällt. Die zuständigen Beamten des Justizministeriums haben nicht einmal einen Adressaten, dem sie ihre Bedenken vortragen können. Auf den Fluren des Ministeriums hört man dazu, das Ganze sei an hoher Stelle politisch gewünscht und das Auswärtige Amt dränge, damit es keinen Ärger in Europa gebe.
Genauso begann es im Frühling 1989 im Bonner Finanzministerium mit dem Euro. Ich war dabei.
Zuerst erschienen in der Weltwoche