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Christa Ritter's Blog

Open Space am Sonntag

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An meinen Kopfschmerzen sind die Piraten schuld.  Hier in München haben sie sich vor den Wahlen wirklich angestrengt: Info-Stände bei Regen und Sonne, Ständer geschreinert und plakatiert, haufenweise Flyer, ab und zu einen Event, der nicht wirklich funzte, den Datenklau nicht zeitgemäß verstanden und genutzt. Es funzte dann auch nicht die Wahl. Gerade mal das Ergebnis von vorgestern, keine Zugewinne. Ist hier in Bayern die Piratenpartei eine Beschäftigungsbeschaffungsmaßnahme? Auch für mich? Bin ich also im falschen Club? Als Kind spielte ich mit dem Kaufladen, jetzt, gestern fuhr ich zu Open Space. Dieser Trip fand in der Münchner Piraten-Geschäftsstelle statt. SurfenRaus aus der Wahl-Depression, rein in: Was können wir bei künftigen Wahlkämpfen besser machen – und wie umsetzen? 14 Piraten saßen erst im Kreis, dann in kleinen Gruppen und brainstormten, woran sie bei der Wahl gescheitert sind

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Es waren nicht die emsigen Macher, da saßen ein paar eher Nachdenkliche, die sowieso bisher wenig zu melden haben. Trotzdem: Kann man ja mal versuchen. Wir wollten dann vier Themen in die Umlaufbahn schicken. Zuerst: Köpfe besser supporten. Als wären Köpfe je supportet worden. Bisher vermeiden die Piraten Köpfe, wie der Teufel das Weihwasser. Die Basis will raunen und die Oben beshitstormen, wenn sie auch nur einen Hauch von Eigenständigkeit wagen. Könnte man jetzt ja mal ändern. Zum Beispiel durch einen Spitzenkandidaten, der ab zwei Jahre vor einer Bundestagswahl aufgebaut wird. Der dann das Kommunizieren übt: mit den Medien, dieser Info-Gesellschaft. Fähige Piraten aufstellen, kein Klüngel. Diese müssten ihren eigenen Unterbau aktiv in die Hand nehmen, indem sie sich Follower suchen, also Leute ansprechen, statt nur auf die Eigeninitiative der Basis zu hören.

Zweites Thema. Wer sind wir Piraten und welches Menschenbild macht uns im Kern aus? Ponader war schon richtig aber gleichzeitig too much. Sind wir uns einig. Was war an ihm authentisch piratig? Keiner benennt es. Wir sind uns einig: Piraten wollen keine Macht topdown, sie wollen alle Menschen demokratisieren, mit Hirn und Herz. Wir Piraten sind ein neues Betriebssystem: Post-Gender, Kiffen statt Alkohol, Net-Citizens statt Konsum-Bürger. Hartmut unterbricht: An der Deutung dieses neuen Betriebssystems sind die Piraten nicht interessiert. Die würde sofort vom Tisch gefegt. Reflexion im Grunde unerwünscht. Erst recht bitte keine Ethik: Eine ethische Vision sei bei Technokraten igitt. Die Piratenpartei als Vertreterin der Netzgemeinde will bewusstlos bleiben, jammert Martin. Sie müssten ja sonst auch in die Privatsphäre schauen und die ist tabu, sage ich. Tabu? Wir reden plötzlich heftig auf- und ineinander. Überall in unserer Gesellschaft rücke das Private ins Zentrum. Selbst die Kanzlerin lässt sich beim Brigitte-Forum befragen: Kocht sie für ihren Mann? Wenigstens sonntags? Und wir Piraten halten verklemmt die privaten Infos zurück und wirken irgendwie daneben, wenn es um Wollsocken in Sandalen beim Jauch-Talk geht, statt daraus ein politisches Statement zu machen. Dumm gelaufen. Woher aber soll Glaubwürdigkeit  kommen?  Zum Schluss fliegt eine Idee herbei: Sollten wir beantragen, dass es auch einen Beauftragten für das Innere gibt, der Köpfe um sich sammelt, hilfreich Unterstützendes von Innen für die Macher-Piraten, die außen Politik vertreten? Könnten die Piraten auf diese Weise auch die weggebrochenen Intellektuellen zur eigenen Inspiration nutzen? Auf dem Weg in eine fundamental neue Gesellschaft, für die sie ursprünglich mit genannten 14 % Wählerstimmen mal sehnsuchtsvoll für ein paar Monate auserkoren waren?

Drittes Thema: die Unübersichtlichkeit der piratigen Internet-Tools. Technisch komplizierte Inseln, die viele abstoßen. Ein einfaches Tool wäre daher sinnvoll, eins, das die vorhandenen auf übersichtliche Weise miteinander verlinkt. Ein Tool wie anfangs Facebook. Das ich morgens als erstes anwerfe weil es so viel Spaß macht. Müsste doch von einer Internet-Partei zu bauen sein. Um nicht nur Versprechungen zu dreschen, sondern tatsächlich alle Menschen in die Post-Demokratie einzuladen. Das Tool einer echten Mitmachpartei, das auch Nicht-Piraten täglich befeuern könnten. Sebastian sagt, da gäb es schon was: Friendica. Könnten die Piraten übernehmen. Resumee: Eine AG gründen, um einen Antrag für den Bundesparteitag im Frühjahr zu formulieren. Ein solches Tool müsse von allen abgesegnet werden, damit seine Entwicklung anlaufen kann. Inhalte für das Tool als Unterbau erarbeiten. Techniker für die Umsetzung gäbe es genug.

Es gab noch ein viertes Thema: Innere Kommunikation, Umgang mit Dissenz, Trollen und Kritik. Es fehle das Bewusstsein für die unfähige Kommunikation der Piraten, am vielleicht deutlichsten bei ihren TV-Auftritten zu sehen. Aber auch intern gäbe es zwar unübersichtliche Tools, jedoch kennen sich darin die meisten gar nicht aus. Unübersichtlichkeit: Die Berge vor der eigenen Nase seien meist unüberwindlich. Und die Shitstorms dürften nicht nach außen dringen. Nur sachliche Debatten, kein chaotischer Streit. Aber ohne den kann man nicht Neuland betreten. Oder? Auch wird geklagt: Keine Hinterzimmer-Mentalität. Wenn eine Mehrheitsentscheidung steht, müsste die Basis diese unterstützen, statt oft mit Intrige zu feuern.

Als ich ging, hatte ich Kopfschmerzen. Sollte, hätte, müsste… Eigentlich machen mir ja solche Diskussionen Spaß. Doch ich habe das Gefühl, dass wir hier gegen Wände diskutierten und die Ideen schon morgen wieder versanden. Andererseits sitzen vermutlich überall im Land verdrossene Piraten mit rauchenden Köpfen herum und suchen nach Verbesserung. Profil schärfen, Kern-Kompetenz. Hab ich schon oft gehört. Marina wird’s richten. Auch schon gelesen. Männer die auf Ziegen starren / Men Who Stare at Goats, TheDass diese Internet-Welt mit dem 68er Aufbruch begann, die langsame Auflösung bürgerlichen Besitzdenkens, dieser konsumistisch-materialistischen Gesellschaft der Gewalt, zunächst ökomäßig aufgegriffen von den Grünen und dass die Piraten historisch in dieser Erbfolge stehen, nimmt  niemand bewusst wahr. Sicher läge in solcher Analyse ein wichtiges Kraft-Potenzial. Und dann die Köpfe, die bisher vermieden wurden. Könnten sie, die vielleicht dank persönlicher Erfahrung und Reife mehr wissen, die Piraten auf ihrem Weg in die post-materialistische Welt helfen? Gibt es in unserem Land hilfreiche Intellektuelle mit Weitblick? Während ich durch den herbstlichen Park zurück nach Hause radle, muss ich lächeln. Es geht doch nicht um Wahlen gewinnen, es geht um Bewegung, Stupid. Die Internet- Welt rückt uns immer näher zusammen und doch verstehen wir sie und uns darin bisher kaum. Oder doch schon besser als je zuvor? Ich glaube, auch deshalb habe ich eben gelächelt.

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