Politik

Wahlkampf ohne Gummistiefel Merkel und die "geforderten Bilder"

Land unter: Die Bundeskanzlerin auf dem Flug nach Pirna.

Land unter: Die Bundeskanzlerin auf dem Flug nach Pirna.

(Foto: REUTERS)

Mit Wahlkämpfen in Hochwassergebieten haben deutsche Bundeskanzler unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Gerhard Schröder hat mit einer Flutkatastrophe eine Wahl für sich entscheiden können. Seinen Vorgänger dagegen hat die Oderflut nicht gerettet. Angela Merkel setzt mit ihrer Wahl der Fußbekleidung einen neuen Akzent.

"Das Hochwasser hat der Partei wohl den Wahlsieg beschert", sagt der Vorsteher des SPD-Ortsvereins im sächsischen Grimma. Es ist der 22. September 2002, die Wahllokale haben noch nicht einmal geschlossen, als Johann Wächter dem Journalisten des "Spiegel" seine Analyse diktiert.

Ähnlich und doch anders: Gerhard Schröder am im August 2002 in Grimma, Angela Merkel in Passau.

Ähnlich und doch anders: Gerhard Schröder am im August 2002 in Grimma, Angela Merkel in Passau.

(Foto: dpa)

Natürlich war es nicht nur die Flutkatastrophe, der die rot-grüne Regierung ihren Wahlsieg zu verdanken hatte. Ein zentrales Thema im Wahlkampf war der drohende Angriff der USA auf den Irak, der von Bundeskanzler Gerhard Schröder vehement abgelehnt wurde. Doch den letzten Ausschlag gab tatsächlich Grimma. Auf einmal dominierte nicht mehr die Arbeitslosigkeit den Wahlkampf. Sondern das Wasser. Auf einmal lagen nicht mehr Union und FDP in den Umfragen vorn. Sondern SPD und Grüne. Edmund Stoiber, der Kanzlerkandidat der Union, wurde von diesem Stimmungsumschwung kalt erwischt.

"Seit August haben wir eine andere Zeitrechnung", sagte die Chefin des Umfrage-Instituts Allensbach, Renate Köcher, vor der Bundestagswahl 2002. Mitte August war die Altstadt von Grimma bei der "Jahrhundertflut" zu großen Teilen zerstört worden. Schröders Antwort auf die Flut war ein Versprechen: "Keinem wird es nach der Flut schlechter gehen als vorher."

Opposition zur Nebenrolle verdammt

Während Schröder in Gummistiefeln und mit besorgtem Blick durch Grimma stapfte, spazierte Stoiber über die Dünen der Nordseeinsel Juist. Stoiber tauchte erst zwei Tage nach Schröder in Dresden auf, um sich mit Sandsäcken fotografieren zu lassen. Eine gute Figur machte er dabei nicht, im Gegenteil: Als Journalisten ihn fragten, wer denn unter einem Kanzler Stoiber Umweltminister werden würde, hatte er keine Antwort.

Für die Opposition sind Hochwasserkatastrophen grundsätzlich eine undankbare Zeit. Das ist in diesem Jahr nicht anders. Vorläufig belässt es SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück dabei, eine Presseerklärung zu verschicken, in der er mitteilt, dass er als "Rheinanwohner, der früher ein paar Mal das Wasser meterhoch im Keller hatte", die Nöte der Betroffenen "nur zu gut verstehen" könne. Wahrscheinlich ist dies die eleganteste Lösung: In Gummistiefeln würde Steinbrück nur riskieren, sich lächerlich zu machen.

Es geht um die Bilder

Bundeskanzlerin Angela Merkel besucht derweil die Katastrophengebiete, um sich, wie es immer so schön heißt, einen "Eindruck" von der Situation zu verschaffen. Jeder weiß selbstverständlich, dass es Merkel wie seinerzeit Schröder nicht um den "Eindruck" vom Einsatz der Hilfskräfte oder von der Lage der Betroffenen geht. Es geht um den Eindruck, den sie hinterlässt. Es geht um die guten Bilder.

In Passau weiß das auch die Bundeswehr. Ein Kommandierender gibt den Soldaten kurz vor Merkels Eintreffen den Befehl, sich Schaufeln zu besorgen, damit "die geforderten Bilder" zustande kommen. Begleitet wird Merkel von Ministerpräsident Horst Seehofer, der eine Woche vor der Bundestagswahl eine Landtagswahl zu gewinnen hat. Auch er dürfte sich über die Fotos freuen.

Foto mit Sandsack: Angela Merkel in Pirna.

Foto mit Sandsack: Angela Merkel in Pirna.

(Foto: dpa)

Gummistiefel trägt Merkel übrigens nicht, bei aller offensichtlichen Nähe will sie nicht wirken wie Schröder elf Jahre zuvor. Sie trägt auch keine Regenjacke. Sie trägt praktische Schuhe und eine dunkelblaue Jacke - und, das muss man anerkennen, ihre Kleidung wirkt nicht so, als habe ein Mitarbeiter sie eigens für diesen Auftritt besorgt. Neben Seehofer, der sich eine leuchtend rote Jacke vom Deutschen Roten Kreuz besorgt hat, fällt Merkel kaum auf.

Merkel verspricht 100 Millionen Euro Soforthilfe, 75 Millionen davon fordert Seehofer gleich für Bayern. Dann fliegt Merkel ins sächsische Pirna. "Wir werden den Menschen, die das zu erleiden haben, zur Seite stehen", sagt sie dort und lässt sich mit einem Sandsack fotografieren - um sich nach Thüringen aufzumachen. Dort verspricht sie, auch den Menschen zu helfen, die keine Hausratversicherung haben.

Schmidt, das heimliche Vorbild

Heimliches Vorbild aller Katastrophenpolitiker ist der zweite Sozialdemokrat im Bundeskanzleramt: Helmut Schmidt war 1962 Innensenator in Hamburg, als die Hansestadt von einer Sturmflut heimgesucht wurde. 315 Menschen starben, tausende Gebäude wurden zerstört.

"Nicht ins Grundgesetz geschaut": Nach der Katastrophe dankt Helmut Schmidt Bundeswehrsoldaten für ihren Einsatz in Hamburg.

"Nicht ins Grundgesetz geschaut": Nach der Katastrophe dankt Helmut Schmidt Bundeswehrsoldaten für ihren Einsatz in Hamburg.

(Foto: dpa)

Schmidts Handeln im Angesicht der Katastrophe wurde legendär. Er machte sich selbst zum Einsatzleiter, übernahm die Koordination der Rettungshelfer und kümmerte sich dabei nicht um die Verfassung. Er telefonierte mit dem Nato-Oberbefehlshaber und bat um Hilfe, er forderte britische und deutsche Hubschrauber und Motorboote an. "Ich habe das Grundgesetz nicht angeguckt in jenen Tagen", sagte Schmidt später. Und: "Ich hatte keine Zeit zu fragen, ich habe gesagt: 'Sofort!'" Bundeskanzler wurde Schmidt erst zwölf Jahre später, nachdem Willy Brandt zurückgetreten war. Doch es waren diese Tage, in denen er sich den Ruf eines Machers erwarb.

Der "Deichgraf" gab den Stil vor

Spätestens seit Schröders Erfolg im Wahlkampf 2002 gelten Hochwasserkatastrophen als politische Kraft. Zuvor hatte bereits der brandenburgische Umweltminister Matthias Platzeck bei der Oderflut 1997 einen starken Popularitätsschub erlebt. Platzeck stand zu diesem Zeitpunkt zwar nicht unmittelbar im Wahlkampf. Seiner politischen Karriere war das Hochwasser dennoch zuträglich.

Helmut Kohl im September 1997 im Oderbruch.

Helmut Kohl im September 1997 im Oderbruch.

(Foto: dpa)

1998 gewann der "Deichgraf" die Wahl zum Oberbürgermeister von Potsdam mit großem Abstand, im Juni 2002 wurde er brandenburgischer Ministerpräsident. Anders als sein Vorgänger Manfred Stolpe überließ Platzeck beim Hochwasser 2002 die öffentlichen Auftritte nicht dem eigentlich zuständigen Umweltminister Wolfgang Birthler. Wieder stand er selbst auf den Deichen. Auch Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm von der CDU musste zähneknirschend zusehen, wie Platzeck ihm die Show stahl.

Beim Oderhochwasser von 1997 hatte Platzeck mit Jeans und Vollbart geradezu stilbildend gewirkt. Imagemäßig hatte Bundeskanzler Helmut Kohl keine Chance: Gegen Platzeck wirkte der Christdemokrat bei seinen zwei Besuchen an der Oder wie ein älterer Herr auf einer Strandpromenade an der Ostsee.

Der Fall zeigt, dass Hochwasser nicht zwangsläufig für politischen Erfolg sorgen. "Was immer in unseren Kräften steht, wird getan, muss getan werden", versprach Kohl 1997. Ein Jahr später wurde er abgewählt.

In Greiz wird Merkel von einem Anwohner freudig begrüßt: "Schön, dass sie vor der Wahl gekommen sind!" Die Kanzlerin wehrt ab: "Ich wäre auch ohne Wahl gekommen. Ob Wahl ist oder nicht, das interessiert mich nicht."

Quelle: ntv.de

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