Wind, Flaute oder Sturm

Streitgespräch: Cuba libre oder Kuba falsch?

Filmtipp zum Thema:
19. September, Montag, 19:30 Uhr, Bahnhof Langendreer, Wallbaumweg 106, 44984 Bochum. Mediziner aus Cuba helfen in Haiti, Mit Victor Manuel Rodríguez Guevara und Jean Piere Brisma.

Hans van Heijningen erzählt die Geschichte von Ramon aus Honduras, der in Kuba mehrere Jahre Medizin studierte. Nach jahrelangem Aufenthalt in Kuba ist Ramon endlich wieder zuhause bei seinen Eltern, Brüdern und Schwestern. Dabei ergibt sich ein Streitgespräch über Kuba , das ein widersprüchliches Bild des Landes zeigt.

Erschienen in der Tribune, der Zeitung der Sozialistischen Partei in den Niederlanden am 22.Oktober 2004:

Hier streiten Vater und Sohn im fernen Honduras sozusagen stellvertretend für swiola2 und spencer im forum.derwesten.de oder stellvertretend für die linken EU-Parlamentarier über Kuba. Da es in der LINKEN wegen der Sicht auf Kuba einigen Streit gab, insbesondere ob es richtig sei, eine Resolution zu unterstützen, die Missstände in Kuba anspricht, finde ich diesen Text so interessant. Ich habe ihn aus dem Niederländischen übersetzt. Olaf Swillus.

Tribune 22, Oktober 2004

Cuba libre oder Kuba falsch?

„Gewöhnliche Kubaner setzen sich täglich mit Korruption, Machtmissbrauch und Mangel an Professionalität auseinander“,

sagt Ramon aus Honduras, der in Kuba Medizin studiert.

„In Kuba haben sie genug zu essen und Zugang zu Bildung und zur Gesundheitsversorgung. In Honduras sterben sie, weil sie keinen Arztbesuch bezahlen können“,

wirft sein Vater ein.

Ein Blick auf ein widersprüchliches Landes. (aus dem Jahr 2004!)

Text: Hans van Heijningen, vom Niederländischen ins Deutsche: Olaf Swillus

Der Sohn

„Die ersten zwei Jahre meines Medizinstudiums in Havana-Stadt war ich intern. Mit sechszehn Jungen in einem Schlafsaal. Das war gewöhnungsbedürftig. Als ausländische Studenten hatten wir kaum Kontakte zu Kubanern.

Ab dem dritten Jahr bekamen wir mehr Freiheit um unser eigenes Leben zu führen. Wenn man etwas Geld hat, kann man allein oder zusammen mit anderen Studenten für wenig Geld in der Stadt ein Zimmer mieten.“

„Durch meinen Umgang mit Kubanern sind mir die Schuppen von den Augen gefallen. Nicht nur meine kubanischen Freunde – Studenten und Lehrer – sondern eine Mehrheit der Bevölkerung hat das Regime gründlich satt. Nicht einmal so sehr wegen der Armut, aber vor allem durch Machtmißbrauch und Willkür, mit denen Menschen täglich zu tun haben. Menschen fühlen sich nicht frei öffentlich ihre Meinung zu äußern. Unterschwellig sind sie sehr zynisch und es werden viele Witze über die Regierung gemacht. Gewöhnliche Kubaner werden täglich konfrontiert mit Mangelsituationen und Einschränkungen, aber die Probleme verschwinden wie Schnee vor der Sonne, wenn man die richtigen Kontakte hat, oder Geld“

„Ich hätte gern gewollt, dass es anders wäre, weil die Regierung von Kuba es mir ermöglicht zu studieren. In Honduras kannst du das vergessen, wenn deine Eltern nichts auf der hohen Kante haben. Gleichzeitig habe ich bemerkt, dass ziemlich viele Kubaner hinsichtlich der internationalen Solidaritätspolitik des Regimes sehr kritisch sind. Wir helfen der halben Welt, als ob wir hier in Kuba nicht genug Probleme hätten, höre ich täglich um mich herum. An Erklärungen der wirtschaftlichen Malaise von Seiten der Obrigkeiten haben die Menschen schon lange kein Bedarf mehr Tag um Tag, Jahr um Jahr werden sie überhäuft mit Berichten über den ökonomischen Boykott der USA. Da ist natürlich was dran, und die Menschen begreifen das auch, aber es ist nur eine Seite der Geschichte. Die andere Seite ist die Korruption, der Machtmissbrauch und Mangel an Professionalität der kommunistischen Bürokratie, mit der jeder Kubaner täglich konfrontiert ist, die aber offiziell nicht vorhanden sind.“

„Als ausländische Studenten sprechen wir natürlich kaum über Politik. Weil wir in Kuba zu Gast sind, aber auch weil die Kubaner vorsichtig sind, aus Angst Probleme zu bekommen. Doch geschehen Dinge, an die Menschen einfach nicht vorbei kommen. Als vor kurzem eine weitere Verschärfung des Helms-Burton-Gesetzes drohte – die ausländische Wirtschaftskontakte mit Kuba unter Strafe stellt – erhöhte das Regime alle Preise um 20 Prozent. Als der amerikanische Kongress den Gesetzentwurf der Verschärfung des Embargos jedoch verwarf – blieb die Preiserhöhung einfach in Kraft. Aus Anlass wachsender Unzufriedenheit darüber erklärte Fidel Castro kürzlich, dass Bürokraten für den Misstand verantwortlich seien, und die Preiserhöhungen wurden zurückgenommen. Diese Art von Vorfällen nähren die Zweifel vieler Kubaner, ob Fidel Castro, der als Leiter immer noch hohes Ansehen genießt, nicht doch verantwortlich für die Missstände in seinem Land ist. Ob er schlichtweg befangen ist durch einen Hofstaat, der ihm die Sicht auf die Wirklichkeit entzieht Selbst gehe ich davon aus, dass Castro seine Hände in Unschuld wäscht, aber unterdessen durchaus Bescheid weiß über die Missstände.
„Was mit Kuba geschieht wenn Castro einmal sterben wird, ist schwer vorauszusagen. Es kann sein, das das System dann wie ein Kartenhaus zusammen fällt, aber es kann auch sein, dass die Hardliner unter Führung von Raul Castro die Repression noch weiter steigern und auf diese Weise das Machtmonopol der Kommunistischen Partei behaupten.“

„Was mögliche Alternativen zu Castro’s kommunistischer Partei angeht, mache ich Unterschiede zwischen der Miami-Clique und die zarte Demokratisierungs-Bewegung auf Kuba. In die Miami-Opposition habe ich keinerlei Vertrauen, aber vor der Varela-Bewegung habe ich großen Respekt.

Von Haus zu Haus sammelt sie Unterschriften für ihr Bestreben ein Mehrparteiensystem in Kuba in Kraft zu setzen. Die kubanische Regierung passte das Wahlrecht an, als es schien, dass die Varela-Bewegung gegen alle Erwartungen die geforderte Anzahl der Unterschriften zusammen hatte um eine Verfassungsänderung zu ermöglichen. Das Regime sah sich gezwungen zu zweifelhaften Maßregeln Zuflucht zu nehmen um der Demokratisierungsbewegung in die Quere zu kommen.

Aus der Leichtigkeit mit der Ramon die Frage beantwortete, was die Konsequenzen eines plötzlichen ‘regime change’ für einen ausländischen Medizinstudendeten im fünften Jahr sein würden, ist klar, dass er nicht das erste Mal darüber nachdenkt. „Nicht allein der kubanische Staat, aber auch die UN und die Europäische Union sind formell beteiligt an unsere Ausbildung in Kuba. Ich gehe dann auch davon aus dass sie dann ihre Zuständigkeit auch ernst nehmen, wenn die Situation in Kuba sich plötzlich stark verändern sollte.“
Ramon, mit gewelltem langen Haar und einem sorgfältig rasierten schmalen Bartring – nach meiner 17jährigen Tocher, die Vorstufe eines Players, formuliert sorgfältig und spitz. Als wir die Beziehung zu seinem Vater zur Sprache bringen, dämpft er seine Stimme. „Er findet dass ich komisch aussehe mit meinen langen Haaren und er wird zornig, wenn er hört was ich über Kuba erzähle. Fidel Castro kann ihm und seinen linken Freunden nun einmal nichts Böses antun. Er hat Angst dass ich rechts geworden bin, aber das finde ich Unsinn. Er verwechselt seinen ideologischen Ausgangspunkt mit der Wirklichkeit und wird sauer wenn ich ihn mit der Wirklichkeit konfrontiere. Wenn er dann auch noch ein paar Bierchen intus hat, kann man gar nicht mehr mit ihm sprechen.“

Über seine Zukunft als Arzt hat Ramon noch keine klar umrissende Ahnung. Nach seinem Grundstudium will er sich in jedem Fall gerne spezialisieren. Weiter hat er sich fest vorgenommen seine Fähigkeiten nicht nur für Menschen mit gefülltem Geldbeutel einzusetzen, sondern auch Armen zu helfen.

Der Vater

Wenn ich an der Bar ein Bierchen bestelle, antwortet Ramom’s Vater, dass die auf kosten des Geschäftes sind. Ja es stimmt, dass er sich bisweilen Sorgen über seinen Sohn macht. „Für unsere Kinder scheint alles was sie haben selbstverständlich. Deshalb wissen sie Dinge nicht mehr in ihrem wahren Wert zu schätzen. Bei uns im Dorf kommen die Menschen vernünftig miteinander aus, aber vergiss dich nicht Ramon, sage ich zu meinem Sohn, morgen steigst Du mit mir ins Auto, und wir fahren sechs Kilometer aus dem Dorf heraus. Die Menschen dort sind bettelarm und haben kaum zu essen. Und auf Kuba: Drei Mahlzeiten am Tag. Drei Mahlzeiten am Tag, sage ich ihm. Und hier ? Eine, vielleicht zwei. Da haben die Menschen drei Mahlzeiten pro Tag. Und Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung. Schau es dir aber mal hier an. Arme Menschen in Honduras sterben weil sie keine Lempira haben um einen Arztbesuch zu bezahlen. Eine Lempira – ein paar Eurocent – und das haben sie nicht.“

Das Geschwätz über Menschenrechte, pure Propaganda. Wofür ich mich wirklich schäme ist die Haltung von unserem Präsidenten Maduro. Ein Tag nach einer Zwischenlandung in Washington legte er auf einer Versammlung der Organisation der Amerikanischen Staaten einen Antrag zur Missbilligung Kubas vor, wegen Menschenrechtsverletzungen. Wie kommt er dazu? Wenn wir über Menschenrechtsverletzungen reden, sollte er erst einmal sich um unser eigenes Land, Honduras, ansehen. In unserem Land haben Menschen keine Arbeit, es wird Hunger gelitten, die Kriminalitätsziffern steigen, tausende Jugendliche machen mangels Perspektiven einen Teil der Banden aus, die die Städte unsicher machen. Und unser Präsident macht sich Gedanken über Menschenrechtverletzungen in Kuba.

Weißt Du, wir Hondurianer haben erst eine Scheißregierung. Warum, so frage ich dich, sendet unser Präsident Soldaten nach Irak? Für eine handvoll Dollars als Hilfe von den Amerikanern. Wir werden regiert von Söldnern, nicht mehr und nicht weniger.
Es ist warm und vom Reden bekommt man Durst. Erneut werden Fläschen Bier geöffnet. „Wo ich mir wirklich Sorgen mache“, führt Ramon’s Vater weiter aus, ist die Haltung meines Sohnes. Die Hand die dich nährt, die beißt du nicht, was nichts daran ändert, dass mein Sohn zurückkommt mit Kritik an der kubanischen Regierung, die es ihm möglich macht zu studieren. Und unsere Regierung ? Die hat die Dreistigkeit von Studenten, die in Kuba studieren, für ein Ausreisevisum 27 Dollar zu verlangen. Auf dem Flughafen in San Pedro Sula habe ich Studenten heulen sehen, die mit 30 Dollar von ihren Eltern nach Kuba abfliegen um für ein Jahr zu studieren und dann um 27 Dollar beklaut wurden.

„Das einzige was ich für ihn hoffen kann, ist das Ramon als Arzt die Ideale von Che Guevara en Fidel Castro hoch hält. Er wäre, was mich betrifft, ein völliger Versager, wenn er sich später als Arzt nur durch das Geldverdienen leiten ließe. Diese Spezies von geschulten Menschen haben wir zur Genüge in Honduras. Sie lassen die Armen krepieren und wenn du sie darauf ansprichst, sagen sie, dass nicht sie sondern die Regierung verantwortlich für den Mangel an Versorgung für einfache Menschen ist. Woran wir hier Bedarf haben, ist an geschulten Menschen, die sich für die Armen einsetzen

Ein Kommentar

  • Zu: http://www.derwesten.de/nachrichten/politik/Nach-Castro-Huldigung-Wut-ueber-Fuehrungsduo-der-Linken-id4983651.html
    Unter diesem Artikel hatte ich einen Kommentar gschrieben, den ich auch hier gerne zitiere:

    Dass Kuba ein „Beispiel und Orientierungspunkt für viele Völker der Welt“, ist, und dass die für Lateinamerika „beispiellosen sozialen Errungenschaften“ von Kuba gelobt werden ist richtig.

    Je stärker der Kapitalismus in die Krise gerät, umso mehr suchen Menschen nach Alternativen, und umso mehr wird von gewissen Medien gegen diese Alternativen gehetzt: (gestern die BILD, etwas subtiler andere Zeitung.) Klaus Lederer tut seiner Partei einen Bärendienst an, wenn er sich diesem medialen Antikommunismus anpaßt. In der Bevölkerung ist er jedenfalls nicht vorhanden.

    Dass der Kapitalismus in einer schweren Krise ist, ist eine Tatsache, die auch von Zeitungen gemeldet wird, die nicht unter Kommunismus-Verdacht stehen. Zum Beispiel zu den Neuigkeiten aus Israel in der Süddeutschen Zeitung:
    http://www.sueddeutsche.de/politik/massendemonstration-in-israel-marschiert-wie-die-aegypter-1.1128851

    – Zitat – Anfang –
    „Netanjahu, hör uns zu. Wir sind das Salz der Erde. Wir wollen Veränderungen. Aber wir brauchen keine Veränderung der gewählten Koalition. Wir, die Jugend, verlangen eine Veränderung des grausamen ökonomischen Systems“, appellierte der Vorsitzende der Studentenunion, Itzak Schmueli, unter lautem Beifall an den konservativen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu.
    – Zitat – Ende –

    Vor diesem Hintergrund ist Kuba ein sehr interessantes Land: http://is.gd/lZaZFR oder:
    http://www.linksdiagonal.de/2011/08/17/streitgesprach-cuba-libre-oder-kuba-falsch/

    „#47 von swiola2 , am 22.08.2011 um 10:39“

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