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Wissenschaft Energierohstoff-Studie

Riesige Gasvorkommen in Deutschland vermutet

Mögliche Lagerstätten für so genanntes unkonventionelles Erdgas - dabei handelt es sich um Erdgas, das sich nicht in einer Falle angereichert hat, sondern fein in Kohleflözen oder Schiefergestein verteilt sitzt Mögliche Lagerstätten für so genanntes unkonventionelles Erdgas - dabei handelt es sich um Erdgas, das sich nicht in einer Falle angereichert hat, sondern fein in Kohleflözen oder Schiefergestein verteilt sitzt
Mögliche Lagerstätten für so genanntes unkonventionelles Erdgas - dabei handelt es sich um Erdgas, das sich nicht in einer Falle angereichert hat, sondern fein in Kohleflözen oder ...Schiefergestein verteilt sitzt
Quelle: Infografik WELT ONLINE
Schatzsuche in der Tiefe: Geologen schätzen, dass allein in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen rund 2200 Milliarden Kubikmeter Erdgas lagern.

Der Norden von Texas ist klassisches Cowboy-Land, denn schier endlos erstreckt sich hier das Grasland der Prärie. Für Ackerbau ist der Boden zu arm, aber für die Rinderzucht ideal. Doch die Zeiten der Rinderbarone sind vorbei. Im Zentrum von Dallas erinnern nur noch die 70 Stiere und drei Cowboys aus Bronze auf der Pioneer Plaza an den früheren Herdenauftrieb, und im Umland grasen die Tiere vor einer Kulisse aus Bohrtürmen, Kompressorstationen und Förderanlagen.

Dallas hat sich zur Gasmetropole gewandelt, denn sie und ihre Nachbarstadt Fort Worth sowie 15 umliegende Landkreise sitzen auf einem gewaltigen Schatz: Im Barnett-Schiefer in rund 2500 Meter Tiefe schlummern große Mengen Erdgas. Experten des Geologischen Dienstes der USA vermuten, dass es bis zu 750 Milliarden Kubikmeter sind. Es ist ein sogenanntes nicht-konventionelles Gasvorkommen, weil der wertvolle Energieträger sich nicht in einer Falle angereichert hat, sondern fein im gesamten Schiefergestein verteilt sitzt.

Solche nicht-konventionellen Gasvorkommen können auch in Kohleflözen auftreten und in dicht schließenden Sandsteinen. Experten sind sich einig, dass das Potenzial dieser Vorkommen gewaltig ist. In ihrer vor wenigen Tagen veröffentlichten Energierohstoff-Studie schätzt es die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover auf gut das Siebenfache der konventionellen Gasvorkommen. Wohlgemerkt: Geschätzt wurde das Vorkommen. Wie viel davon gefördert werden kann, und unter welchen Umständen sich das rechnet, ist eine andere Frage.

Doch in Zeiten sprunghaft steigender Gaspreise sind diese Vorkommen in den Fokus des Interesses gerückt, zumal sich große Teile dieser Vorkommen in politisch stabilen Weltregionen befinden. Den BGR-Angaben zufolge entfällt ein gutes Drittel auf die Industriestaaten der OECD, davon allein ein Fünftel auf Nordamerika. Europa darf immerhin mit rund fünf Prozent rechnen.

In den USA wurde die Erschließung nicht-konventioneller Gasvorkommen seit Mitte der 90er-Jahre forciert, um die Abhängigkeit von ausländischen Lieferanten zu verringern. Nach einem aktuellen Bericht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung hat sich die Förderung in den vergangenen 20 Jahren vervierfacht. 2008 machte sie bereits die Hälfte der US-Gasproduktion aus. Allein aus dem texanischen Barnett-Schiefer wurden seit 1985 rund 250 Milliarden Kubikmeter Gas gewonnen.

„Europa steht dagegen noch ganz am Anfang“, erklärt Harald Andruleit, Wirtschaftsgeologe bei der BGR. Das größte Potenzial wird in Polen und Skandinavien vermutet, doch auch in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen verspricht man sich einiges. Die BGR hat gerade von der Bundesregierung den Auftrag erhalten, die nicht-konventionellen Öl- und Gasvorkommen auf deutschem Gebiet genau zu ermitteln. Viele Zahlen sind nämlich bislang nur grobe Schätzwerte. So hat etwa der Geologische Dienst Nordrhein-Westfalen festgestellt, dass in den Kohleflözen des Landes rund 2200 Milliarden Kubikmeter Erdgas schlummern könnten. Dieser beeindruckende Wert kam zustande, indem man die geschätzten Kohlevorkommen im Land in Bezug setzte zum durchschnittlichen Gasgehalt, der in den Ruhrgebietsbergwerken gemessen wurde.

„Zuverlässigere Daten haben wir nicht“, bedauert GD-Chef Josef Klostermann. Denn die bekommt man nur, wenn man genau nachsieht. Und das bedeutet: Man muss bis in 1500 Meter Tiefe bohren. Dabei werden Bohrkerne aus dem infrage kommenden Muttergestein gezogen und auf ihren tatsächlichen Gasgehalt und ihre Durchlässigkeit analysiert. Diese Durchlässigkeit ist entscheidend: Die nicht-konventionellen Vorkommen sind wesentlich schwerer zu fördern als normale Gasfelder, weil das Gas in winzigen Porenräumen gespeichert ist oder den Mineralen des Muttergesteins anhaftet.

Diese Speicher zu knacken kostet viel Energie und ist teuer. Unter hohem Druck werden große Mengen mit Sand und Chemikalien versetzten Wassers in die gasführende Schicht gepresst, um dort feine Risse ins Gestein zu sprengen, durch die dann das Gas fließen kann. Der Sand dient dazu, die Risse offen zu halten, wenn das eingepresste Wasser wieder abgepumpt wird. Die Chemikalien sollen das Gas mobilisieren und Bakterien im Untergrund abtöten, damit die Risse nicht sofort wieder zuwachsen.

Weil das Gas zudem über eine große Fläche verteilt ist, müssen auch mehr Förderanlagen aufgestellt werden als bei einem konventionellen Gasfeld. Weil auch dies die Förderung verteuert, ist noch unklar, wie viel von den gewaltigen Erdgasvorkommen tatsächlich gefördert werden kann. Als Anfang 2009 wegen der Wirtschaftskrise die Gaspreise sanken, wurden viele Fördertürme auf dem Barnett-Schiefer eingemottet. Es lohnte sich nicht mehr. Als die Preise anzogen, reaktivierte man sie. Inzwischen arbeiten dort wieder 5500 Anlagen.

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Von einer Förderung in derart großem Stil ist man in Europa noch Jahre entfernt. „Wir müssen erst einmal nachschauen, was dort unten überhaupt ist“, erklärt Norbert Stahlhut, Pressesprecher bei ExxonMobil. In Nordrhein-Westfalen beginnt das gerade, das Bundesland hat 19 Felder für Erkundungen freigegeben. Die Claims machen insgesamt rund die Hälfte des Landes NRW aus, auf ExxonMobil entfiel der größte. Jetzt hat das Unternehmen die Erkundungsbohrung in Nordwalde bei Münster beantragt, zwei weitere Anträge werden vorbereitet. In Niedersachsen wird ebenfalls erkundet. Acht Bohrungen wurden nach Angaben des Geologischen Landesamtes beantragt, sechs bereits durchgeführt.

Erst wenn die Untersuchungen vielversprechende Ergebnisse zeigen, wird man den nächsten Schritt gehen und probeweise Gas fördern. Außer der geologischen Eignung wird auch die Akzeptanz bei den Nachbarn eine Rolle spielen. ExxonMobil bemüht sich nach Worten seines Sprechers bereits weit im Vorfeld um weitgehende Information von Behörden und Bürgern. Jedoch werden in Nordwalde schon jetzt Unterschriften gegen das Projekt gesammelt. Schließlich zeigt sich am amerikanischen Beispiel, dass der schöne neue Erdgasreichtum mit einigen Nachteilen einhergeht. So stehen 1100 von den 5500 Fördertürmen auf dem Barnett-Schiefer im Stadtgebiet der Großstadt Fort Worth und auch auf dem Land rücken die Förderanlagen dicht an die Ortschaften heran. Nicht selten werden Bohrtürme in unmittelbarer Nachbarschaft zu Wohnhäusern errichtet. Das führt zu Beschwerden über Luftverschmutzung durch Kompressoren sowie den unvermeidlichen Lkw-Verkehr. Hinzu kommen Berichte über Methan im Grundwasser und Leckagen in Auffangbecken, in denen das Wasser-Sand-Chemikalien-Gemisch aus den Förderbohrungen gelagert wird. Bislang gibt es zu diesen Problemen keine umfassende Untersuchung, nur Einzelstudien und Indizien.

Die Erdgasunternehmen in Texas und im Nordosten der USA, wo der gewaltige Marcellus-Schiefer erschlossen wird, spüren jedenfalls heftigen Gegenwind. Pittsburgh hat Bohrungen auf dem Stadtgebiet verboten, im US-Bundesstaat New York hat die Umweltbehörde so drastische Umweltauflagen erlassen, dass die ersten Unternehmen bereits ihren Rückzug angekündigt haben. Das Parlament hat überdies vor Kurzem ein Moratorium für weitere Bohrgenehmigungen verkündet, das noch durch den Gouverneur bestätigt werden muss.

Das US-Umweltamt hat eine Untersuchung begonnen. In zwei Jahren sollen Ergebnisse vorliegen. Die Gasförderung aus Schiefervorkommen dürfte dennoch ausgebaut werden, zu verführerisch ist die Aussicht auf Unabhängigkeit von Gasimporten. Richard Nevell, der Chef der US-Energiestatistikbehörde, schätzt, dass 2030 rund 75 Prozent der US-Produktion aus nicht-konventionellen Gasvorkommen stammen werden. Nevell: „Dann werden die USA kein Erdgas mehr importieren müssen.“

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