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Mehr Diskussion zum Gutachten des Nobelpreisträgers

Hadmut Danisch
12.12.2010 20:13

Auch andere schreiben über den Fall des Gutachtens Alfred Eigens:

Ein schöner, kritischer Artikel (auch wenn ich ihm nicht in jedem Punkt zustimmen kann) findet sich auf Freiewelt.net, geschrieben von Professor (!) Adorján F. Kovács. Lesenswert.

Zitat:

Eigen hatte – wohl nach Gutsherrenart auch etwas knapp – beanstandet, dass die Arbeit nur nachvollziehenden Charakter habe und insofern kein Neuland betrete, was für eine Habilitation aber Voraussetzung sei. Da hat Eigen natürlich sehr recht – allerdings würde ein überwiegender Anteil der Habilitationsschriften nach diesem Kriterium nicht anerkannt werden, was sachlich zwar zu begrüßen wäre, aber die Motivation zur Forschung großenteils lahmlegen würde. […]

Positiv an der Entscheidung der Karlsruher Richter ist, dass “eine Habilitationsschrift nicht nur deshalb abgelehnt werden dürfe, weil der Habilitationsausschuss anderer Meinung ist.” Eine abweichende wissenschaftlich sauber begründete Meinung ist anzuerkennen, eigentlich eine Selbstverständlichkeit.

Sehr schön ist auch die Anekdote am Ende des Artikels zur polyrhythmischen Musik der Pygmäen, mit der sehr anschaulich (und in voller Übereinstimmung mit meinen Beobachtungen und Erfahrungen) erklärt wird, warum Professor in der Regel die werden, die vom Fach am wenigsten Ahnung haben. Der Leser sei an das von mir in Karlsruhe untersuchte Berufungsverfahren erinnert, in dem man Berufserfahrung in der Realität nicht nur nicht positiv, sondern sogar als unerwünscht wertete.

Allerdings verkennt Kovács durchaus einige Aspekte des Prüfungsrechts. Die Aspekte, die er hier ausdrücklich begrüßt, nämlich daß auch abweichende Meinungen akzeptiert werden müssen, und daß ein Prüfer seine Bewertung begründen muß, sind nicht neu, sondern vom Bundesverfassungsgericht wortwörtlich so in der Neuordnung des Prüfungsrechts 1991 eingeführt worden. Nur haben unsere deutschen Fakultäten das auch nach 20 Jahren noch nicht kapiert, weshalb das BVerfG es nur wiederholte und durchsetzte, aber keineswegs erst jetzt einführte. Deshalb kann man an einer Habilschrift auch nicht allein deshalb zweifeln, weil sie 8 Jahre alt und damit nicht mehr aktuell sei. Denn wie das BVerfG eindeutig klarstellt, ist auch das Habilitationsverfahren eine Berufszugangsprüfung und unterliegt dem ganz normalen Prüfungsrecht. Und damit ist sie nicht danach zu beurteilen, ob sie irgendeiner Wissenschaftsöffentlichkeit noch gefällt, sondern ob nach den gesetzlich vorgegebenen Anforderungen und Bewertungsmaßstäben die Prüfungsanforderungen objektiv erfüllt sind. Die wenigsten deutschen Professoren kennen sich aber mit ihren Dienstpflichten aus.

3 Kommentare (RSS-Feed)

AntoninArtaud
13.12.2010 13:20
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Hm. Verstehe nicht, wie es kein Neuland sein kann, wenn man untersucht, inwieweit und ob unser (biochemisches/psychiatrisches/neurologisches) Wissen über Schizophrenie ein gesichertes Wissen ist. Vor allem, wenn man zum Schluß kommt, daß das vielleicht gar nicht so sicher ist, was wir da zu wissen meinen; vor allem, wenn es eine Pathologie betrifft, die angeblich die Pathologie unserer Zeit sein soll. Den allgemein geteilten “Konsens” (aka: Mond anbellen und Meinung abnicken) auf Stichhaltigkeit zu untersuchen, müßte sogar einem nicht ironischen Zeitgenoßen als Neuland erscheinen…


Hadmut Danisch
13.12.2010 14:08
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„Mond anbellen” ist sehr schön gesagt. Das muß ich mir merken. 😀


Erwin Lück
15.12.2010 20:46
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Folgt man den Ausführungen in der taz, hat sich Gutachter Eigen auf folgenden Standpunkt gestellt:

“Sie [die Habil] öffne keine neuen Türen für das Verständnis eines wissenschaftlichen Problems, so der Nobelpreisträger, sondern bleibe bei Beschreibung und Kritik des Bestehenden stehen.”

Autor Prof. Adorján F. Kovács verfälscht Eigens Aussage ins triviale, weil er den Kritik-Aspekt weglässt:

“Eigen hatte – wohl nach Gutsherrenart auch etwas knapp – beanstandet, dass die Arbeit nur nachvollziehenden Charakter habe und insofern kein Neuland betrete, was für eine Habilitation aber Voraussetzung sei. Da hat Eigen natürlich sehr recht …”

Das Gutachten von Eigen ist ein perfides Gefälligkeitsgutachten:

Der jeweilge Stand einer Wissenschaft ist durch eine Menge von Wenn-Dann-Hypothesen gekennzeichnet. Solange eine Hypothese nicht widerlegt ist, wirkt sie (mehr oder winiger) in der Welt.

Ist eine als gültig angesehene Hypothese falsch, kann sie verheerend wirken.

Durch Widerlegung von Hypothesen ändert sich der Stand der Wissenschaft. Ausgeschiedene Hypothesen können keine verheerende Wirkung mehr entfalten.

Da sich der Stand der Wissenschaft beim Ausscheiden zuvor als gültig angesehener Hypothesen ändert, ist für die betroffene Wissenschaft dauerhaft Neuland betreten worden. Man weiß weniger, dafür aber vorläufig gesichert.

Die verbreitetere Fortschrittsvorstellung funktioniert gerade andersherum und muss nicht zwingend dauerhaftes Neuland für eine Wissenschaft zur Folge haben.

Postuliert jemand eine neue Hypothese und wird diese anerkannt, ändert sich der Stand der Wissenschaft. Es ist Neuland betreten worden.

Solchen Arbeiten wohnen zwei Risiken inne. Schon im Prüfungsprozess oder erst nach Jahrzehnten kann sich die neue Hypothese als falsch erweisen (bei Newton hats 200 Jahre gedauert). In beiden Fällen wäre nicht dauerhaft Neuland betreten worden.

Eigen fordert vom Habilitanden Fleissner im Prinzip etwas, was dieser unmöglich leisten konnte: das ganz große Neuland in einem Schritt, die Benennung der korrekten Schizophrenie-Marker. Daran sind zuvor nicht nur Generationen von Wissenschaftlern gescheitert, sondern die sind auch noch zu falschen Ergebnissen gekommen.

Die Kritik am falschen Bestehenden öffnet immer die Tür zum richtigen Weg in der Zukunft. So funktioniert Wissenschaft, Schritt für Schritt, und das weiß auch der Gefälligkeitsgutachter Eigen.