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Ölstaaten wollen keine Flüchtlinge aufnehmen – weil sie Instabilität fürchten

Amnesty International hat die geringe Bereitschaft reicher Länder zur Aufnahme syrischer Flüchtlinge kritisiert. Die «klägliche Anzahl an Aufnahmeplätzen» sei schockierend. Als besonders beschämend wurden die reichen arabischen Golfstaaten gerügt.

Michael Wrase
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Syrische Flüchtlinge

Syrische Flüchtlinge

Keystone

Amnesty International hat die geringe Bereitschaft reicher Länder zur Aufnahme syrischer Flüchtlinge kritisiert. Nur etwa 65 000 der 3,8 Millionen Heimatvertriebenen seien ausserhalb des Nahen Ostens, meist in Europa, aufgenommen worden.

Die «klägliche Anzahl an Aufnahmeplätzen», welche die internationale Staatengemeinschaft angeboten habe, sei «wirklich schockierend».

Als ganz besonders «beschämend» rügte die Menschenrechtsorganisation das Verhalten der reichen arabischen Golfstaaten.

Diese würden trotz gemeinsamer Sprache und Religion überhaupt keine Flüchtlinge aufnehmen und es zulassen, dass Syriens Nachbarländer Türkei, Libanon, Jordanien, Irak sowie Ägypten weiterhin die Hauptlast tragen müssten.

Auch die Vereinten Nationen haben die nicht vorhandene Bereitschaft der arabischen Golfstaaten zur Aufnahme von Flüchtlinge schon mehrfach angeprangert. Es blieb jedoch bei freundlichen Ermahnungen, denen bis heute keine Taten folgen. Flüchtlinge aus Syrien und anderen Staaten waren und sind auf der Arabischen Halbinsel unerwünscht. Denn sie könnten die reichen Golfstaaten destabilisieren, das zerbrechliche Gleichgewicht der regierenden Dynastien stören.

Natürlich sind diese Sorgen berechtigt. Das sieht man im Libanon, wo mehr als 1,3 Millionen Flüchtlinge aus Syrien für wachsenden Unmut in der Bevölkerung sorgen. Denn unter den Heimatvertriebenen sind auch solche Syrer, die sich von den Terrormilizen des «Islamischen Staats» anwerben liessen und schon an Bombenanschlägen beteiligt gewesen waren.

Das soll sich in Staaten wie Saudi-Arabien und Kuwait oder dem Emirat Qatar, das wegen der Fussballweltmeisterschaft an anhaltender Friedhofsruhe interessiert ist, nicht wiederholen.

Die Anheizer der Bürgerkriege

Deshalb versucht man sich abzuschotten und behandelt jene meist ostasiatischen Arbeitsmigranten, auf welche man zur Mehrung von Wohlstand und Wachstum nicht verzichten kann, wie Sklaven.

Ausserhalb der Landesgrenzen, die Saudi-Arabien und Kuwait durch elektrische Zäune zu sichern versuchen, legen sich die arabischen Golfstaaten dagegen keine Beschränkungen auf. Besonders in Syrien, aber auch im Irak, sind sie massgeblich an der Anheizung der Bürgerkriege beteiligt.

Der in Syrien aktive Kaida-Ableger «Nusra Front» wird seit zwei Jahren vom katarischen Geheimdienst unterstützt. Das Schüren religiöser Feindschaften ist auch ein wesentlicher Bestandteil der saudischen und kuwaitischen Aussenpolitik.

Ziel der arabischen Golfstaaten war und ist der Sturz des alawitischen Assad-Regimes und die Schwächung des mit Damaskus verbündeten schiitischen Iran. Dabei gehen alle Konfliktparteien über Leichen und nehmen die Flucht von fast vier Millionen syrischen Zivilisten in die Nachbarländer und sieben Millionen Binnenflüchtlinge achselzuckend in Kauf.

Barmherzigkeit und Nächstenliebe

Kommentar von Michael Wrase

Europa, wo 65 000 der 3,8 Millionen syrischen Heimatvertriebenen aufgenommen wurden, war nicht gemeint mit den «reichen Ländern». Sondern die arabischen Golfstaaten. Es sei beschämend, kritisiert Amnesty International, dass Länder wie Saudi-Arabien, Katar und Kuwait trotz gemeinsamer Sprache und Religion überhaupt keine Syrien-Flüchtlinge aufnehmen würden. Dafür das arme Jordanien, der Libanon und die Türkei.

Zweifellos könnte Europa noch mehr Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen. Aber Europa steht auch anders in der Pflicht. Wir haben das Recht und die Pflicht, den Finger in die arabischen Wunden zu legen. Es ist die Aufgabe unserer Regierungen, die arabischen Golfstaaten in deutlicher Form zu ermahnen. Ignorieren wir ihr menschenverachtendes Verhalten gegenüber den syrischen Flüchtlingen, machen wir uns mitschuldig. Mit arabischen Kriegstreibern, die humanitäre Grundrechte mit den Füssen treten, sollten wir nicht Geschäfte machen.

Die von Amnesty International kritisierte Nichtaufnahme der syrischen Flüchtlinge auf der Arabischen Halbinsel ist mehr als nur «beschämend».

Sie ist Teil einer menschenverachtenden Grundeinstellung, die vom Westen allenfalls halbherzig gerügt wird. Staaten wie Libanon und Jordanien, die mehr als zwei Millionen syrische Flüchtlinge aufgenommen haben, können sich Kritik an den arabischen Golfstaaten überhaupt nicht leisten, weil sie von diesen finanziell abhängig sind.

Üppig ist die Unterstützung nicht. So mussten 1,7 Millionen syrische Flüchtlinge um ihre Lebensmittelgutscheine fürchten, weil Golfaraber sie nicht mehr bezahlen wollen. Nun will aber die UNO die Hungerhilfe weiter finanzieren.

Seit dem Start der Spendenkampagne des Welternährungsprogramms (WFP) sind binnen 24 Stunden 21,5 Millionen Dollar eingegangen. Um bis Ende des Jahres Lebensmittelmarken an die in die Türkei sowie nach Libanon, Jordanien und Ägypten geflüchteten Syrer verteilen zu können, fehlten aber weitere 42,5 Millionen Dollar, sagte eine WFP-Sprecherin am Freitag.