Illegale Aktivitäten : Sex, Drogen und Waffen für das BIP
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Bild: Peter von Tresckow
So senken wir die Schuldenquote: Ab September werden auch illegale Aktivitäten zum Bruttoinlandsprodukt hinzugezählt. Forschungsausgaben werden anders verbucht. Das erhöht die Wirtschaftsleistung.
Statistik ist ein mächtiges Werkzeug. Wer die Macht über statistische Definitionen hat, kann unser Bild der Wirklichkeit verändern. Vom 1. September an wird es eine solche Veränderung geben. Dann tritt das neue „Europäische System der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung“ (ESVG) 2010 in Kraft. Diese EU-Richtlinie bringt einige Neuerungen, die das nominale Bruttoinlandsprodukt (BIP) vergrößern – und umgekehrt die Schuldenquoten der EU-Länder sinken lassen. Die Richtlinie dürfte hochverschuldeten Staaten gerade recht kommen. „Dahinter stehen politische Interessen“, meint ein langjähriges Mitglied des Haushaltsausschusses des Bundestages. „Dieser statistische Effekt spielt vor allem den Ländern mit hohen Schuldenständen in die Karten.“
Versuche, die Statistik drastisch aufzublähen, hat es in der Eurozone schon gegeben. Griechenland wollte 2006 – also vor Ausbruch der Schuldenkrise – seine BIP-Statistik um 25 Prozent aufblähen, indem es eine viel größere Schattenwirtschaft unterstellte. Die EU wies das zurück. Athen durfte das BIP damals einmalig um 9,6 Prozent erhöhen. Allein dieser Fall zeigt, welche Brisanz in Statistikänderungen steckt.
Das Statistische Bundesamt bestreitet vehement, dass hinter der neuen ESVG 2010 eine politische Absicht stehe, das BIP aufzublähen. Tatsächlich sind die Dimensionen maßvoll. Allerdings hat sich die deutsche Statistikbehörde vor Jahren noch heftig gegen die Änderungen der ESVG gesträubt. Die Statistiker in Wiesbaden kritisierten vor allem die Verbuchung von Waffenkäufen als „Investitionen“, die das BIP erhöhen. „Wir zweifeln es sehr an, ob militärische Waffen, deren Hauptzweck wie allgemein bekannt die Zerstörung von Werten ist, als Kapitalbildung angesehen werden sollen“, schrieb Walter Radermacher, damals Vizepräsident des Statistikamts, in einem Brief, der der F.A.Z. vorliegt, an den Chef der UN-Statistikbehörde. Die deutschen Statistiker wurden jedoch in den internationalen Gremien überstimmt und fügen sich nun den EU-Vorgaben.
400.000 Prostituierte in Deutschland - darunter 5 Prozent Männer
Drei umstrittene Bereiche regeln diese neu: Prostitution wird nun erstmals in allen Ländern der EU als Wirtschaftszweig positiv für das Bruttoinlandsprodukt gewertet; bislang war das nur in einigen, darunter Deutschland, der Fall, weil sie dort legal ist. Die Wiesbadener Statistiker haben wissenschaftliche Untersuchungen über das Ausmaß der Prostitution ausgewertet. Auf dieser Basis veranschlagten sie in einem internen Papier von 2013 den Umsatz der geschätzt 400.000 Prostituierten (darunter 5 Prozent Männer) auf 14,6 Milliarden Euro. Abzüglich diverser Vorleistungen, von der Miete in Bordellen bis hin zu Kleidung und Kondomen, kommen die Statistiker auf eine „Bruttowertschöpfung“ von 7,3 Milliarden Euro im Sex-Gewerbe. Das entspricht knapp einem drittel Prozent des BIP in Deutschland. In dieser Woche wird die Behörde neue Zahlen zum BIP inklusive Prostitution veröffentlichen. „Wir werden eine sehr konservative Schätzung machen“, sagt Norbert Räth, der für die BIP-Berechnung zuständige Abteilungsleiter.