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Politik Khaled el-Masri

Opfer, Psychopath und Brandstifter in einem

Khaled el-Masri Khaled el-Masri
Wurde in die Psychiatrie eingewiesen: Khaled el-Masri
Quelle: AP
Er wurde entführt, verhört und gefoltert. Dann lebte er in totaler Isolation. Und dann zündete Khaled el-Masri einen Supermarkt an. Jetzt wird er in einer psychiatrischen Einrichtung untersucht. Sein Anwalt gibt den Behörden und der Bundesregierung die Schuld.

Fast ein halbes Jahr lang hielt man Khaled el-Masri in einem Gefängnis des US-Geheimdienstes fest. Dort wurde er verhört und gefoltert. Weil sich der Terrorverdacht aber nicht erhärtete, ließ man ihn wieder frei. Das ist fast genau drei Jahre her. Am vergangenen Donnerstag wurde el-Masri in eine psychiatrische Klinik in Memmingen eingeliefert. Und schon bald könnte er zu einer Haftstrafe verurteilt werden. Denn der Libanese mit deutschem Pass hat offenkundig einen Brand in einem Metro-Großhandelsmarkt in Neu-Ulm gelegt. Anlass soll ein Streit um einen defekten i-Pod gewesen sein. Es entstand ein Sachschaden in Höhe von rund 500¿000 Euro. El-Masri hat seinem Anwalt, Manfred Gnjidic, die Tat bereits gestanden. Dieser erhebt nun schwere Vorwürfe gegen die Bundesregierung – wegen unterlassener Hilfeleistung.

Aus Sicht des Anwalts ist el-Masri wohl kaum schuldfähig. Bereits in seiner Vernehmung vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages im Juni 2006 hatte Gnjidic bekräftigt, sein Mandant benötige dringend therapeutische Hilfe. El-Masri habe die Entführung bis heute nicht verkraftet, erklärte der Jurist. Zudem beklagte er, der Staat rühre keinen Finger, um dem Entführungsopfer eine Rückkehr in normale gesellschaftliche Verhältnisse zu ermöglichen. Nicht einmal eine Arbeitsstelle habe man ihm angeboten. Gestern erneuerte Gnjidic diese Vorwürfe. Erst vor etwa einem Jahr habe das Ulmer Behandlungszentrum für Folteropfer eine minimale Finanzierungszusage erhalten und eine Behandlung beginnen können, sagte Gnjidic. El-Masri sei jedoch bis zuletzt völlig isoliert gewesen – bewegt habe er sich nur „zwischen Wohnzimmer und Toilette“. Der Anwalt schrieb deshalb im April einen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und bat um Hilfe für seinen Mandanten. Das Kanzleramt wandte sich daraufhin in einem Schreiben vom 11. Mai an die Bayerische Staatskanzlei. Nur wenige Tage später rastete el-Masri dann offenkundig aus.

Er wirkt eher schüchtern

Der heute 43-jährige Deutsch-Libanese ist ein groß gewachsener, kräftiger Mann. Seine schwarzen Haare hat er zu einem Zopf zusammengebunden. Vor dem Untersuchungsausschuss wirkte er eher schüchtern. Er vergoss sogar Tränen, als ihn die Abgeordneten auf seine familiären Probleme ansprachen. Einige Male schon hat der frühere Autohändler über den Entführungsfall berichtet – im Fernsehen, in Zeitungsinterviews, in den Vernehmungen der Münchner Staatsanwälte und des Europaparlaments und eben im Untersuchungsausschuss des Bundestages. Diese Geschichte allein birgt schon Stoff für einen Agententhriller.

Seinen eigenen Schilderungen zufolge wurde el-Masri Ende Dezember 2003 an der Grenze zu Mazedonien aufgegriffen und von CIA-Agenten ausgeflogen. Er selbst glaubt, dass er nach Afghanistan gebracht wurde. Erst am 29. Mai 2004 ließ man ihn in Albanien frei. Die Ermittler haben wenig Zweifel an dieser Darstellung – inzwischen gibt es eine Reihe von Beweisen, die die Schilderung glaubhaft erscheinen lassen. Nicht zuletzt informierte der damalige US-Botschafter in Deutschland, Daniel Coats, in einem vertraulichen Gespräch Bundesinnenminister Otto Schily über den Vorfall. Unklar sind bisher allerdings el-Masris wahre Motive für die Reise nach Mazedonien. Er selbst gibt an, aufgrund eines Ehestreits von zu Hause abgehauen zu sein.

Internationale Haftbefehle erlassen

Die Münchner Staatsanwaltschaft hat inzwischen internationale Haftbefehle gegen die Entführer ausgestellt, deren Namen und Adressen dank Medienrecherchen ausfindig gemacht werden konnten. Dass die USA die Tatverdächtigen ausliefern werden, damit rechnet jedoch niemand. Akribisch suchen die Münchner Staatsanwälte auch nach einer Person, die sich el-Masri während seiner Gefangenschaft als „Sam“ ausgegeben und ihn verhört hat. Jener Mann, so berichtete der Ex-Häftling im Untersuchungsausschuss, habe ihm einmal eine Metro-Kundenkarte gezeigt.

Möglicherweise schließt sich genau hier ein Kreis. Laut Anwalt Gnjidic betrachtete el-Masri den Metro-Konzern zeitweise als einen Komplizen der CIA. Litt der Deutsch-Libanese an Wahnvorstellungen? Hätte man die Tat also verhindern können, wenn die Diagnose frühzeitig gestellt worden wäre? Oder wird el-Masri von seinem Anwalt als Opfer stilisiert?

Die medizinischen Untersuchungen dauern noch an, sagte der Memminger Staatsanwalt Johann Kreuzpointner gestern. Erst nach Abschluss könne entschieden werden, ob der Deutsch-Libanese in der Psychiatrie bleiben müsse oder freikomme. Inzwischen sind in der Behörde Anzeigen wegen des Vorwurfs der vorsätzlichen Unterlassung einer Hilfeleistung gegen die Sicherheitsbehörden und Bundeskanzlerin Merkel eingegangen. Aus dem Thriller könnte jetzt eine Gerichtsakte werden.

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