Zur Qualifikation für fortgeschrittenen Smalltalk gehört es, in Gespräche beiläufig die These einwerfen zu können, dass Frauen zu Multitasking fähig sind, Männer hingegen nicht. Dafür lassen sich nur anekdotische Belege finden, etwa eine 2003 von Intel beauftragte Telefonumfrage. Dabei gab eine Mehrzahl der Männer an, sich lieber auf eine Sache zu konzentrieren, während eine knappe Mehrheit der Frauen sagte, sie würden gerne mehrere Dinge gleichzeitig tun.

Gender-Entwarnung

Einen besonders originellen Beleg liefert das Arbeits-abc.de: Wenn in einer Familie mit männlichen wie weiblichen Fußballfans ein Bundesliga-Bericht gebracht wird, könne man beobachten, dass Männer alle Tätigkeiten unterbrechen und konzentriert zuhören, während Frauen zwar konzentriert zuhören, aber "ohne dabei ihre sonstigen Verrichtungen einzustellen".

Im heurigen Sommer gab dann das Institut für Arbeit und Gesundheit der deutschen Unfallversicherung eine Gender-Entwarnung in dieser brisanten Frage und befand Männer wie Frauen einfach gleich schlecht: Eine Studie anhand von Fahrsimulationen und Büroarbeiten habe gezeigt, dass mit wachsender Anforderung bei Männern wie Frauen die Leistung sinke.

Alles klar also? Wie oft modellieren wir anhand der Maschinen, die wir bauen, auch unser Verständnis davon, wie Menschen ticken. Sigmund Freud sprach vom "psychischen Apparat"; hundert Jahre später entdeckten wir mit PCs, die mehrere Aufgaben gleichzeitig abarbeiten können, die menschliche Fähigkeit zum Multitasken.

Konzentration auf eine Sache

Dass wir sie alle haben, ist schwer zu leugnen, schließlich stellen wir beim Lesen der Zeitung nicht das Atmen ein und nehmen auch andere Dinge in unserer Umgebung wahr. Dass Konzentration auf eine Sache einen Unterschied macht, ist wohl auch unstrittig - obwohl man zu unterschiedlichen Einschätzungen kommen kann, wie viel Ablenkung (die neue Anregungen bringt) es braucht, um bei etwas weiter zu kommen. In der Pädagogik ist klar, dass ein reichhaltiges Umfeld die Entwicklung anregt - Maria Montessori wäre vom Internet begeistert.

Aber alles kann zu viel werden, und wir befinden uns derzeit in einer Phase, in der wir die Flut an Impulsen infrage stellen und nach Lenkung suchen. Es gibt inzwischen Computerprogramme, die Benutzern den Zugang zu Mail und Internet für festgesetzte Zeiträume sperren, damit sie sich nicht andauernd von ihrer eigentlichen Aufgabe ablenken.

Ausblenden, was zu viel ist

Vielleicht ist das einer der Erfolgsfaktoren des iPad: Sein primäres User-Interface ist die Konzentration auf jeweils eine Sache. Um anderes zu machen, muss ein Programm beendet, ein anderes gestartet werden - statt ständig neuer Pop-up-Fenster, die auf Mail, Tweets oder Facebook hinweisen. Apple will diese Konzentration auf "nur eine Sache auf einmal" künftig auch am Mac einführen - eine Ironie der Geschichte, denn das war die Standardansicht von Windows-PCs bis vor wenigen Jahren.

So oder so, beides wird passieren: Wir werden unsere Fähigkeiten zum Multitasking ausbauen - und auszublenden lernen, was uns zu viel ist. (helmut.spudich@derstandard.at/ DER STANDARD Printausgabe, 29. Oktober 2010)

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