Als Manuela Bombosch zu ihrem Beratungsgespräch ins Jobcenter Kiel kam, war alles schon vorbereitet. Es gehe um ein freiwilliges "Experiment", erklärte die Fallmanagerin und gab ihr einen Fragebogen mit nach Hause. Bombosch erklärte sich bereit, ihn auszufüllen. "Ich dachte mir, eine neue Vermittlungsmethode kann ja nicht schaden", erinnert sie sich. Die 38-Jährige Hartz-IV-Empfängerin ist schon seit einigen Jahren ohne Job. "Ich hatte die Hoffnung, dass ich durch dieses Experiment vielleicht meinen Wunschberuf im Einzelhandel bekomme", sagt sie.

Erst in ihrer Wohnung schaute sie sich den Fragebogen genauer an. Und konnte es nicht fassen: Bombosch sollte ihren Tagesablauf und den ihres Kindes aufschreiben, von 6:30 Uhr bis 21:00 Uhr, eine ganze Woche lang, möglichst genau, unter Auflistung jeder Aktivität und des dafür benötigten Zeitaufwands. Am 27. Januar hatte sie den Bogen bekommen, am 8. Februar seien ihre Antworten einzureichen, schrieb die Fallmanagerin.

Rund einen Monat später folgte die zweite Hausaufgabe. Dieses Mal sollte Bombosch eine "soziale Netzwerkkarte" erstellen, mit den Namen aller Freunde und Bekannten inklusive Ärzte und Nachbarn. Zusätzlich gab ihr die Sachbearbeiterin einen Katalog aus 26 Fragen mit nach Hause: "Von wem können Sie sich eine größere Geldsumme borgen?" stand da, "Wenn es Ihnen schlecht geht, was tun Sie, zu wem gehen Sie dann?" und "Wo ist ihr Lieblingsplatz in der Stadt, was machen Sie dort?".

Auch über ihre persönlichen Beziehungen wurden Bombosch ausgefragt: "Mit wem haben Sie sich letzte Woche getroffen / telefoniert / gemailt?" Ihre Antworten sollte sie per Mail oder als Kopie bis zum 26. März einreichen. (hier der komplette Fragenkatalog als .pdf-Datei)

Die Hartz-IV-Empfängerin reagierte empört – und verweigerte die Antworten, mit Verweis auf ihre Freiwilligkeit. "Warum sollte ich mein ganzes Privatleben offen legen? Das bringt mir auch keinen Arbeitsplatz", sagt sie. Doch die Fallmanagerin ließ nicht locker und forderte Bombosch in ihren Einladungen zu weiteren Beratungsgesprächen vom 8. April und 2. Juni auf, die Hausaufgaben mitzubringen. Darunter stand eine Rechtsfolgebelehrung, laut der die Mittel gekürzt würden, wenn Bombosch der Einladung nicht Folge leiste. Sie fühlte sich unter Druck gesetzt. 

Sind solche "Experimente" wirklich nötig, um Arbeitslose besser zu vermitteln? Bombosch fühlte sich zum Versuchskaninchen degradiert. Das Jobcenter Kiel aber versteht ihren Ärger nicht. Arbeitssuchende entschieden "frei und ohne Druck", ob sie die "vertiefte Zusammenarbeit" mit ihrer Integrationsfachkraft wünschten und bereit seien, ihre Lage zu offenbaren, schreibt Britta Kempcke, Bereichsleiterin Interner Service des Jobcenters, in einer Stellungnahme. Kempcke verteidigt die Hausaufgaben für Hartz-IV-Empfänger: Diese dienten immer und ausschließlich der Selbstreflektion. "Mittelbar" beträfen sie auch die Vermittlungsfähigkeit der Arbeitslosen, denn diese würden durch die Fragen angeregt, ihr "persönliches Umfeld zu erkunden und ihre Ressourcen zu erkennen". Ohnehin verwende man die Methode "nur in Einzelfällen mit besonderer Problemlage".

Problemlage: Das ist wohl das bürokratische Wort für Bomboschs kompliziertes Leben. Sie wuchs in Heimen auf, nach dem Hauptschulabschluss fand sie keine Ausbildung. Seit Jahren ist sie arbeitslos. "Ich erwarte, dass mir das Jobcenter auf der Suche nach einer Ausbildung im Einzelhandel hilft, statt mich über mein Privatleben auszufragen", sagt sie.

Ihr soziales Netzwerk müsse der Lokalpolitikerin der Linken nicht durch eine Fallmanagerin klar gemacht werden. "Natürlich überlegt man ständig: Wer könnte mir bei der Jobsuche helfen? Wer hat etwas gehört?" Aus Furcht vor Sanktionen sagte sie in einem Beratungsgespräch, sie habe die Hausaufgaben zu Hause vergessen. Später suchte sie Rat beim Kieler Sozialrechtler Helge Hildebrandt. Der riet ihr, die Fragen unbeantwortet zu lassen. Die Rechtsfolgebelehrung in den Briefen beziehe sich nur auf das Erscheinen bei dem Beratungstermin. Bombosch atmete auf: Sanktionen blieben aus.