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„Eine Quote für den Buchpreis ist Frauenkohlsuppe“

Schriftstellerin Kathrin Schmidt erhielt für ihren Roman „Du stirbst nicht“ den Deutschen Buchpreis 2009 Schriftstellerin Kathrin Schmidt erhielt für ihren Roman „Du stirbst nicht“ den Deutschen Buchpreis 2009
Schriftstellerin Kathrin Schmidt erhielt für ihren Roman „Du stirbst nicht“ den Deutschen Buchpreis 2009
Quelle: picture-alliance/ dpa
Ist der Literaturbetrieb sexistisch? Die Schriftstellerin Kathrin Schmidt antwortet auf Marlene Streeruwitz’ Kritik am Deutschen Buchpreis – und erklärt, warum man sie ruhig „Autor“ nennen darf.

Wenn einer die Macht hat (in diesem Fall der Börsenverein des Deutschen Buchhandels) und der andere hat sie nicht (die Autorin oder der Autor), ist es gut, sich unaufgeregt und klar dazu zu äußern. Da Marlene Streeruwitz eine Autorin ist und in diesem Sinne jenseits der Macht steht, folge ich ihr gern.

Ich kann nahezu jeden Satz unterschreiben, ich sehe das auch so, wenn ich ihren Standpunkt einnehme. Ich bin aber eine große Freundin des Perspektivwechsels, ja, ich bin sogar eine „Gewinnerin“ des Deutschen Buchpreises. Womöglich unterstellt das von vornherein eine andere Sicht? Das wäre fatal, weswegen ich meine Perspektive wieder und wieder hinterfragen und vor allem hinterfragt wissen möchte.

Marlene Streeruwitz’ Verdikt wider die Eindeutigkeit des Konzeptes der Absatzwirtschaft, sprich Buchmarketing des Börsenvereins, ist die eine Sache. Die andere ist die Frage nach den Möglichkeiten des Aufstandes, der Rebellion gegen diese Eindeutigkeit, in der der Buchmarkt im festen Griff seiner absatzpolitischen Verwalter erscheinen soll. Aber gehen wir es langsam an.

Alle Neuerscheinungen zu sichten ist unmöglich

Seit nunmehr fast zehn Jahren wird diese Eindeutigkeit durch die Vergabe eines Deutschen Buchpreises gehypt. Der „beste Roman“ eines Jahrgangs? Natürlich kann ich so nicht denken. Ja, es ist „undemokratisch“, einen Roman so zu bezeichnen. Es ist nicht nur „undemokratisch“, weil es schier unmöglich ist, alle, aber auch wirklich alle Neuerscheinungen gründlich zu sichten, ganz zu schweigen von jenen Büchern, die verlagspolitisch auf jeweils längere Bänke geschoben werden, obwohl sie längst fertig sind und auf Veröffentlichung warten.

Schmidt, Kathrin: „Du stirbst nicht“, 352 Seiten, btb Verlag, gebundene Ausgabe 19,95 Euro
Schmidt, Kathrin: „Du stirbst nicht“, 352 Seiten, btb Verlag, gebundene Ausgabe 19,95 Euro
Quelle: Kiepenheuer & Witsch

Es ist „undemokratisch“, weil es gar nicht demokratisch sein kann, ein Buch herauszuheben aus allen anderen – denn Demokratie, in diesem Verständnis, hätte subjektive Verfasstheit und Gestimmtheit der (wenigen) Jurorinnen und Juroren ebenso außer Gefecht zu setzen wie zum Beispiel Rückbezüglichkeiten auf politische (oder unpolitische) Brisanzen, die in der Luft, auf dem Land liegen. Und mir bleibt nichts, als zu staunen, dass ein – aus meiner Sicht – so gutes Buch wie Regina Scheers „Machandel“ es nicht auf die Longlist geschafft hat. Ich weiß ja: Ich kenne beileibe nicht alle anderen, die sich darauf finden.

Der Buchpreis ist ein Instrument, ein Buch, das nach unserem Verständnis allenfalls in seinem physischen/virtuellen Körper eine Ware ist, zu einer profitablen ebensolchen umzumodeln. So macht man sich Freunde, und so hält man sie sich. AutorIn und Verlag werden (ab-)gespeist. Mein buchpreisgekrönter Roman dümpelte vom Februar, dem Monat seines Erscheinens, bis zum Tag der Preisverleihung, in überhaupt nicht satt machenden Verkaufszahlen herum. Wie alle meine Bücher.

Es gab tatsächlich Geld, viel Geld

In den Tagen und Wochen danach fand ich es auf Platz 2 der Bestsellerliste, und dass es einen Platz 1 gab, der nicht mit meinem Namen belegt war, hatte „nur“ damit zu tun, dass Herta Müller kurz zuvor den Nobelpreis bekommen hatte. Es gab tatsächlich Geld. Viel Geld. So viel, wie ich zuvor nie gehabt hatte.

Da ich Leuten und Vereinen zu danken hatte, die in den vielen Jahren zuvor vor allem unseren fünf Kindern beigestanden hatten in schwierigen Lebenslagen, und vielleicht auch, weil ich nicht wusste, was man mit viel Geld Besseres anfangen kann, spendete ich die Hälfte von dem, was nach Steuern übrig war. Nur fort mit Schaden. Uff, das war schön. Es lastete nicht mehr auf den Schultern.

Wohlgefühlt habe ich mich in dieser relativen Geldmenge nie. Ja, mir hatte jemand dazu „verholfen“ – in genau jenem Sinne, den Marlene Streeruwitz inkriminiert. Schon um die Tage der Preisverleihung herum hatte ich, trotz – oder wegen – der journalistischen Überrumpelung, an jene Bücher und ihre Autorinnen und Autoren gemahnt, die keine Chance haben, auf Long- oder Shortlist zu erscheinen.

Wechselnde Gender-Mainstreaming-Debatten

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Weil ihre Verlage zum Beispiel zu klein und „unbedeutend“ sind, um für Marketing zu sorgen. Selten erschienen diese Interviewpassagen tatsächlich in den Zeitungen, aber in einigen schon. Wenigstens das.

Ich weiß, das kann nicht als Rebellion, als Aufstand bezeichnet werden, nach deren Möglichkeit ich am Anfang fragte. Dass ich aber von Anfang an vor allem daran dachte, macht mich im Nachhinein nicht unzufriedener. Bis hierher könnte ich also sagen, d’accord, liebe Marlene Streeruwitz.

Ich!, persönlich! habe Gender-Mainstreaming-Debatten, zum Beispiel im öffentlichen Dienst, erlebt, die ich allenfalls als Frauenkohlsuppe übersetzen kann. Frauenkohlsuppe wäre für mich auch eine Quotenforderung für Long- oder Shortlist. Damit kommt Marlene Streeruwitz auch nicht. Anfang der Neunzigerjahre war ich Redakteurin der Berliner feministischen Frauenzeitschrift „Ypsilon“, habe also meine nötigen Lektionen damals durchaus gelernt.

Unter dem Archilexem Autor rubriziert

Inzwischen aber bin ich eher bereit, mich unter dem Archilexem Autor rubrizieren zu lassen, als darauf zu bestehen, als Autorin durchzugehen. Wie es dazu kam? Bis 2011 musste ein Mensch, der andersgeschlechtlich fühlte, zur Änderung der Personenstandspapiere dauernd fortpflanzungsunfähig sein und sich einer geschlechtsangleichenden Operation unterzogen haben. Welche Zumutung! Welche Menschenverachtung!

Meine wirklich beste Freundin ist nun dreiundsechzig Jahre alt, wurde aber erst vor etwas mehr als zwanzig Jahren durch eine solche Operation das, was man „weiblich“ nennt in unseren Breiten. Zum Glück hatte sie zu jenem Zeitpunkt bereits zwei Kinder gezeugt … Sie ist eine Autorin, eine gute dazu, die aber so recht keinen Fuß in die Türen des Literaturbetriebes bekommt, weil mit ihr noch immer kaum umgegangen werden kann.

Wohl kann sie im Äußeren zur „schönen Frau“ mutieren von einer Stunde auf die nächste, was mit viel Aufwand verbunden ist, den sie in den vergangenen Jahren, nicht zuletzt deshalb, weil sie Hartz IV bekommt, nur noch selten zu leisten bereit ist. Aber sie kann ihre Stimme nicht in eine solche Spontanmutation einbeziehen. Das sorgt für Irritationen, gelinde gesagt.

Maulfaul, smalltalkunfähig, nicht partytauglich

Durch diese meine Freundin kam ich mit den vielen Spielarten der menschlichen Natur in Berührung, die sich jenseits der Bipolarität finden und biologische und nicht biologische Ursachen haben. Ich weiß nicht, ob meine Freundin auch heute noch Zuflucht nähme zur Amputation ihrer biologischen Geschlechtsorgane, denn sie ist eben kein „Sonderfall“, sie ist ein Mensch.

Herta Müller (l.), Trägerin des Literaturnobelpreises 2009, gratulierte Kathrin Schmidt zur Verleihung des Deutschen Buchpreises 2009
Herta Müller (l.), Trägerin des Literaturnobelpreises 2009, gratulierte Kathrin Schmidt zur Verleihung des Deutschen Buchpreises 2009
Quelle: dpa
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Es gibt viele Menschen, die sich zwischen eindeutig Männlichem und Weiblichem finden, schon deshalb will mir das dichothome Denken nicht mehr genügen. An dieser Stelle bin ich bereit, „Autor“ als (vereinfachendes, kürzeres, zugegeben fremdgewachsenes) Archilexem gelten zu lassen und in meinem Denken geschlechtsfrei zu halten, um zum Beispiel meine Freundin nicht auszuschließen, die in der Bipolarität noch immer so recht keinen Platz fände. Was für ein Wort soll ich für sie finden? Sie ist ja kein Neutrum …

Ich bin weder gutaussehend noch fotogen, zu dick, habe zu viele Kinder, bin maulfaul, smalltalkunfähig, nicht partytauglich. Und ich fühle mich wohl damit. Vielleicht ist das ebenso eine Art des Aufstandes, der Rebellion wie mein Fazit: Der Deutsche Buchpreis ist ungefähr so wichtig wie der abgerissene Kunststoffnippel am Stromeingang meines Schlichthandys? Da möchte ich mich nicht festlegen. Und auch nicht mit der Moralkeule auf den Kitzel einschlagen, der mich im Sommer 2009 nach dem überraschenden Auftauchen auf der Longlist, zu dem ich Glückwünsche bekam, ehe ich davon wusste, manchmal packte.

Marlene Streeruwitz ist froh, nicht auf der Longlist zu stehen, denn sie kennt keinen Autor Marlene Streeruwitz. Als Gottfried Honnefelder, seinerzeit Vorsteher des Börsenvereins, im Oktober 2009 auf dem Frankfurter Römer die Bekanntgabe vollzog, benannte er eine Karin Schmidt als Gewinnerin.

Die kannte ich nicht und glaubte tatsächlich für einen Moment, der Kelch sei an mir vorübergegangen. Was jedoch bleibt: Herta Müller hat mir damals in Frankfurt einen Kuss gegeben und mich umarmt. Das war schön. Ich halte sie für weiter und wichtiger als mich selbst. Aber schon gut, das ist – undemokratisch.

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