Ein Vorwurf lautet, Thilo Sarrazin zeichne ein Schwarz-Weiß-Bild, wenn er mit seinen öffentlichen Äußerungen die deutsche Einwanderungsgesellschaft beschreibt. Das stimmt nicht: Der Bundesbankvorstand kennt überhaupt kein Weiß, nur Schwarz. Er vermischt Fakten und Vorurteile und braut daraus einen trüben Cocktail. Indem er Halbwahrheiten zu mutigen Statements stilisiert, schrammt er stets knapp an der Lüge vorbei.

So ist es richtig (und alles andere als neu), dass in sämtlichen Schulstudien die türkischen Migrantenkinder besonders schwache Leistungen erbringen. Bei Pisa kommt jeder zweite deutsch-türkische Jugendliche in der neunten Klasse beim Lesen und Rechnen nicht über das Grundschulniveau hinaus. Ebenso richtig ist aber auch, dass italienische Einwandererschüler noch schlechter abschneiden – und die sind nun einmal gute Katholiken. Die These vom muslimischen Macho, dem seine Religion beim Lernen im Wege steht, trifft auf sie nicht zu.

Würde der Islam per se Bildung und sozialen Aufstieg verhindern, wie Sarrazin suggeriert, müssten man die muslimischen Einwanderer in den USA ganz unten in der amerikanischen Gesellschaft finden. Das Gegenteil jedoch ist der Fall. Ebenso spricht die Entwicklung der Türkei nicht für die (religiös bedingte) Stagnation. Der rasante wirtschaftliche Aufschwung in den vergangenen zehn Jahren geht einher mit einer nie da gewesenen Bildungsexpansion in dem Land. Als wichtigen Träger der gesellschaftlichen Umwälzung haben Soziologen die neue gläubige Mittelschicht ausgemacht. Dieser "calvinistische Islam" setzt auf Fleiß – und Bildung.

Die Muslimthese stimmt auch in Deutschland nicht. Zwar ist richtig, dass auch marokkanische und arabische Jugendliche zu den Problemschülern gehören. Andererseits ist kaum eine andere Einwanderergruppe so erfolgreich wie die Iraner. Auch sie stammen bekanntlich aus einem islamischen Land. Anders als die türkischen Einwanderer, die meisten als Hilfsarbeiter nach Deutschland kamen, stammen sie jedoch meist aus wohlhabenden und bildungsbewussten Familien.

Genau das macht auch den Unterschied zu den asiatischen Schülern aus, die Sarrazin als gelungene Vorbilder preist. Vietnamesische Schüler zum Beispiel gelten hierzulande als Musterbeispiele des Schulerfolgs. Tatsächlich gehören sie in den (ost-) deutschen Gymnasien zu den besten Schülern – obwohl auch sie in teilweise schwierigen sozialen Umständen aufwuchsen und ihre Eltern wie die Türken der ersten Generation nur schlecht Deutsch sprechen. Dennoch können die vietnamesischen Jugendlichen gegenüber ihren türkischen Alterskollegen einen entscheidenden Startvorteil vorweisen: Ihre Eltern brachten in der Regel einen guten Bildungsabschluss aus der Heimat mit. Fast alle (DDR-) Vertragsarbeiter, die zu Arbeit und Ausbildung ins sozialistische Bruderland entsandt wurden, verfügten mindestens über einen mittleren Schulabschluss.

Wie sehr Sarrazin, die Fakten verdreht, wird deutlich, wenn er im ZEIT-Interview den neuesten Ländervergleich der Kultusministerkonferenz zitiert. Bei dieser innerdeutschen Pisa-Untersuchung schnitten die Schüler mit einem türkischen Migrationshintergrund erneut schlechter ab als alle anderen Einwanderergruppen. Dazu führt Sarrazin aus: "Dieser Abstand kann, so sagt die Studie, durch sozioökonomische Faktoren nicht erklärt werden." Es müssen also andere Gründe sein, denkt der Leser, die hier eine Rolle spielen, wahrscheinlich die Intelligenz beziehungsweise die Gene.